Meurisse Olympia Comic  (Foto: Reprodukt)

Bücherdieb, Model und magische Therme

Beeindruckende Graphic Novels Herbst 2018 I

Gerd Heger   09.10.2018 | 08:30 Uhr

Wenn das Comic zur Kunst wird - und zum literarischen Genre, dann nennt es sich gerne Graphic Novel. Auch in der Hoffnung, das reine Comicpublikum hinter sich zu lassen. Eine Hoffnung, die drei neue, ganz unterschiedliche Bildergeschichten aus dem Frankophonen bestärken.

Wenn sich Mauern magisch bewegen (Foto: Reprodukt/Edition Moderne)
Wenn sich Mauern magisch bewegen

Ein Reise auf der Suche nach dem Geheimnis eines mysteriösen Tagebuchs - eine Reise in die nur scheinbar befriedete Bergwelt der französisch-schweizerischen Alpen in den Thermalort Vals - eine Reise in eine Welt, in der Mauern nicht Mauern sind, Themen nicht nur Orte mit warmem Wasser und Geschichten immer auch Tragödien sind. Mit einer ganz speziellen Farbgebung, die Rot- und Blautöne bevorzugt, mit einer fast hergéhaften klaren Strichzeichnung, mit einer Geschichte, die wirklich spannend ist und in ihren Bann schlägt, gelingt dem jungen Pariser Lucas Harari in seiner ersten Komplettnovel (nach Mitarbeit an einigen Fanzines) eine filmische Umsetzung seiner Architekturträume (er war mal kurzfristig auch Student in diesem Fach) - und gleichzeitig eine wirklich magische Parallelwelt, die sich vor keiner großen fantastischen Story mit pausenlosem Durcheinanderwirbeln von Erwartungen und Ebenen verstecken muss.

In der Therme von Vals (Foto: Reprodukt/Edition Moderne)
In der Therme von Vals

Lucas Harari Der Magnet (Edition Moderne)
im Original: L'Aimant (Sarbacane)


 (Foto: Reprodukt)

Sie war eine von denen, die das Massaker bei Charlie Hebdo schwer traumatisiert überlebt haben. In ihrem Buch "La Légerté" (Die Leichtigkeit) hat sie davon erzählt, wie sie durch ein sich Besinnen auf Ästhetik ihren Weg gefunden hat, mit den Greuel umzugehen. Bei ihrem neuesten Werk ist genau das die vielleicht grundlegende Überlegung - doch es kommt etwas dazu, was wir Menschen auch noch in der Hinterhand haben, wenn der Expander zwischen Unerträglichem und Erträglichem wieder einmal bis aufs Äußerste gespannt ist: der Humor (von dem es ja heißt, er unterscheide uns recht eigentlich vom Rest der Schöpfung). Wer die Geschichte von Olympia liest, einem immer splitternackt (Symbol Symbol) durch die Welt hüpfenden, eher schlichten Mädchen mit eher ebenso schlichten Träumen, und wer dabei nicht lacht, dem ist definitiv eine Konsultation beim nächsten Schmerztherapeuten zu empfehlen. Wie Meurisse dann noch die großen Kunstwerke vor allem der vorletzten Jahrhundertwerke, insbesondere aus dem Musée d'Orsay mit leichter Hand als "pastiches" einbaut in die putzige Liebesgeschichte zwischen Julia O. und ihrem Romain-O, wie sie auch noch das Filmmilieu und verschiedenste Hochgeistige parodiert, das macht einen diebischen Spaß -und einen hochintelligenten. Meurisse straft alle die Lügen, die meinen, mit ihrer tödlichen Ernsthaftigkeit könnten sie dem Leben den Garaus machen. Für Kunstliebhaber, Stummfilmfans und Leute zu empfehlen, die dringend ein bisschen Aufmunterung brauchen.

Catherine Meurisse (Foto: Reprodukt)
Catherine Meurisse

Catherine Meurisse: Olympia in Love - eine Komödie in 50 Bildern (Reprodukt)
im Original: Moderne Olympia (Futuropolis/Musée d'Orsay)


 (Foto: Reprodukt)

Eintauchen in das Paris der Nachkriegszeit, de Beauvoir, Sartre und all den anderen legendären Gestalten über den Weg laufen, dazu eine schön französische, mit brutalen, mit sexy und mit intellektuellen Anspielungen gespickte Geschichte erleben - das bieten Alessandro Tota und Pierre van Hove im Bücherdieb. Daniel Brodin, ein abgebrannter, abgeranzter und ahnungsloser Student, der - feine Satire der sogenannten Intelligentsia - steigt mit geklauten übersetzten Gedichten zum hochgejubelten Dichterstar auf und lebt sich über die hochstapelte Fehleinschätzung durch Salons, kommunistische Arbeiterwohnungen, "chambres de bonne" und Studentenzimmer, sogar an großbürgerliche Dinertafeln, insgesamt aber immer im falschen Film. Bis zum Bonnie-und-Clyde-Ende, das aber nicht ganz so blutig abläuft. Ach ja, die Bücher klaut Daniel wirklich, weil ihm an Büchern liegt. An denen liegt auch dem italienischen Comicautor Alessandro Tota, der von Bari 2006 nach Paris zog, um sich in der dortigen Comicszene weiter einen Namen zu machen. Der Illustrator, Graphiker und Zeichentrickfilmer Pierre van Hove fängt die Schwarz-Weiß-Film-Atmosphäre mit viel Geschick in an Kioskcomics erinnernden Zeichnungen ein - der gute filmische Blick kommt dazu (seine Firma Finalement hat mal erotische Cartoons für Canal + gemacht). Für ihren Bücherdieb, der zunächst in Frankreich, in Italien und nun auch in Deutschland erscheint, bekamen die beiden eine Auszeichnung beim Comicfestival von Lucca.

Unter Freunden: Daniel Brodin (rechts) (Foto: Verlag)
Unter Freunden: Daniel Brodin (rechts)

Pierre van Hove / Alessandro Tota Der Bücherdieb (Reprodukt)
Im Original: Le Voleur de Livres (Futuropolis)

Empfang bei Gallimard (Foto: Reprodukt)
Empfang bei Gallimard

Was man sonst noch über BD erfahren kann

Tanzen für den Ruhm (Foto: Reprodukt)
Tanzen für den Ruhm

Sie suchen nach bestimmten Comics - oder wollen einfach nur stöbern? Die bisherigen Artikel unserer Seite zu frankophonen Comics in Deutschland finden Sie hier.


Konzept

Die Comicbegeisterung in Frankreich ist mit dem deutschen Comicmarkt nicht zu vergleichen. Aber sie schwappt auch über die Grenze: Gut die Hälfte aller frankophonen Bücher, die für Deutschland übersetzt werden, sind Comics. Von den Klassikern wie Asterix oder Lucky Luke bis zu heutigen Serien wie Largo Winch oder XIII, von Cartoongrößen wie Sempé oder Pénélope Bagieu bis hin zu den Zeichnern und Zeichnerinnen von Charlie Hebdo oder den Graphic Novels eines Guy Delisle.

Hier bietet SR.de exklusiv für Deutschland eine regelmäßige Auswahl aktueller Titel, aber auch Hinweise auf Klassiker und Gesamtausgaben. Kontakt: gheger@sr.de

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