Klaus-Peter Dencker (Foto: Klaus-Peter Dencker)

Wie das erste SR-Feature mit der EB entstand

  20.12.2011 | 14:00 Uhr

(ab) Keine einzige Filmkamera gibt es noch beim Fernsehen des Saarländischen Rundfunks. Die letzte hatte 2005 ausgedient. Gedreht wird ausschließlich mit elektronischen Kameras. Bis gegen Ende der 1970er Jahre war es genau umgekehrt: Damals wurde, außer im Studio, nur mit Filmkameras gearbeitet. Die erste elektronische Kamera kaufte der SR 1977. Gegen diese neue Technik gab es anfangs viele Vorbehalte. Der Filmemacher und Fernseh-Kulturredakteur Klaus Peter Dencker setzte sie dennoch mit Kameramann Ohm Wegener 1979 erstmals für ein langes Kulturfeature im Ausland ein – und ist stolz darauf, damit beim SR und sogar in der ARD ein Vorreiter gewesen zu sein.   

Ein Rückblick von Klaus Peter Dencker

Schon als freier Mitarbeiter durfte ich meine Vorlieben für experimentelle Literatur und bildende Kunst in meine Arbeit beim Fernsehen des Saarländischen Rundfunks einbringen. Meine immer größer werdende Neugier und die folgenden Entdeckungen wollte ich in meiner Filmarbeit dem Zuschauer so vermitteln, dass er nicht von einem allwissenden Filmemacher belehrt werden, sondern gleichsam mit ihm zusammen auf Entdeckungsreise gehen sollte.

So vermied ich immer häufiger in den Filmen Kommentare (also vom Autor oder einem Sprecher gelesene Texte) und versuchte, wo es sich anbot, den O-Ton-Film zu perfektionieren. Was gesagt und erklärt werden musste, wofür zusätzlich zum Bild noch das Wort wichtig war – das alles sollte von den Menschen kommen, die im Film gezeigt wurden, wie zum Beispiel in dem Portrait des Werbefotographen Charles Wilp: „Der gelbe Wellenmacher. Charles Wilp" (45 Minuten/ Erstsendung 19. Januar 1977 S 3).

Oft arbeitete ich auch mit kleinen Inszenierungen, was für damalige Feature-Produktionen nicht üblich war, so in dem Film "Georg Grosz" (45 Minuten, Erstsendung am 1. Mai 1976 SR 3), in dem ich die Gerichts-Szene des Pornographie-Prozesses in Berlin nachstellte.

Meine Neugier und Freude am Experiment erstreckte sich auch auf das Ausprobieren neuer Aufnahmetechniken. Der SR bekam im Herbst 1977 eine EB-Einheit (Elektronische Berichterstattung). Bis dahin waren elektronische Bild- und Tonaufzeichnungen nur im Studio mit einer 2-Zoll MAZ (Magnetische Bildaufzeichnung) möglich. Mit dieser neuen „Kleinelektronik“ ging das nun auch bei Außenaufnahmen. Sie bestand aus einer RCA-Kamera TK 76 und einer 1-Zoll-Aufzeichnungsmaschine BCN 20 der Firma Bosch. Nach kurzer Einarbeitungszeit des hervorragenden Technikers Rudolf Lang wurde sie dann 1978 erfolgreich im Aktuellen Bericht bei kurzen Film-Beiträgen eingesetzt. Aber es war eigentlich unvorstellbar, mit ihr ein größeres Feature mit Außen- und Innenaufnahmen an ganz unterschiedlichen Aufnahmeorten zu drehen. Und vor allem Aufnahmen, die eine schnelle Reaktion auf spontan sich ergebende Situationen erforderten, schienen mit der EB kaum realisierbar zu sein. Dennoch entschloss ich mich 1979 für die Reihe „Museen der Welt“ ein Feature über die Vatikanischen Museen in Rom nicht auf die herkömmliche Weise mit der 16mm-Film-Kamera sondern elektronisch zu produzieren. Und das auch noch im Ausland.

Um es vorweg zu nehmen, der Test in Rom war ein voller Erfolg – dank eines vorzüglichen Teams u. a. mit Ohm Wegener (Kamera), Rudolf Lang (EB-Technik und Ton) und Günther Meyer (Licht). Gedreht wurde vom 14.  bis 31. Mai 1979, geschnitten vom 25. Juni bis 8. August 1979 mit Unterbrechungen insgesamt zwölf Tage á sechs Stunden (Cutterinnen: Renate Nebe und Margarethe Nielsen). Die Erstsendung erfolgte am 19. September 1979, gefolgt von mehreren Wiederholungen in den dritten Programmen, im österreichischen Fernsehen ORF sowie durch Verkäufe der Telefilm in anderen Ländern wie z. B. Italien und Ungarn. Das Ergebnis wurde wenig später nach der Erstsendung auf dem „EB-Markt“ am 13. Dezember 1979 vorgeführt. Das war eine kleine Fachmesse für die neue Produktionstechnik EB, zu dem der SR fortan nach Saarbrücken einlud.

Gegenüber der üblichen Feature-Länge von 45 Minuten entstand eine Länge von knapp 58 Minuten und die waren schon schwer herstellbar, weil das gedrehte Material im Wesentlichen aus langen Einstellungen bestand, zu denen die EB-Technik herausforderte. Da ich die Kurzschnitt-Technik, mit der ich 1970 noch glücklich war, längst aufgegeben hatte und mit langen Einstellungen dem Zuschauer mehr Ruhe und Orientierungschancen geben wollte, kam mir die Aufnahmetechnik und damit schon die am Drehort vorhandenen Überprüfungs- und Korrekturmöglichkeiten am Monitor sehr entgegen.

So entstand zum Beispiel eine Einstellung von fast zehn Minuten in der Vatikanischen Bibliothek. Während eines Interviews von mir mit dem Direktor der Bibliothek fuhr die Kamera bei uns beginnend durch den ganzen Lesesaal, zeigte die opulente Architektur und wunderschönen Wandmalereien und endete wieder auf uns am Ende des Interviews. Und das alles am Stück, ohne Unterbrechung. Dafür war eine perfekte  Vorbereitung erforderlich. Zudem musste die Konzentration und Ruhe des Kameramannes auch deshalb außerordentlich hoch sein, weil  sich jede noch so kleine Bewegung (bis hin zum „Herzschlag“) übertrug – so empfindlich war die Elektronik. Die Szene musste nach meiner Erinnerung trotzdem nur zweimal gedreht werden.

Überhaupt gab es durch die Kontrollmöglichkeit vor Ort den Vorteil, Anschlüsse genauer zu drehen und ganze Komplexe zu fertigen. So konnte der Schnitt in Saarbrücken zwar auf ein Minimum reduziert werden, aber die Umsicht und Genauigkeit während der Dreharbeiten war erheblich mehr gefordert war als beim 16mm-Film. Denn beim 16mm-Film entstand das endgültige Feature mehr oder weniger am Schneidetisch durch die Montage der Filmmaterialien. Die EB-Produktion ermöglichte die Fertigung aufgrund eines schon ziemlich genauen Drehbuchs weitgehend bereits während der Drehzeit.

Die Lichtsetzung (wegen der Mischlichtproblematik von Tages- und Kunstlicht) und das Legen der Schienen für den darauf fahrenden Elemac (einen  Kamerawagen mit Schwenkarm) kosteten viel Zeit und Mühe. Auch die Installation der Kleinelektronik auf dem Elemac und vieles mehr erforderten erfinderische Pionierarbeit. Aber das Ergebnis, Farbwiedergabe und Schärfe, die Information während der Einstellung, die jeden Kommentar überflüssig machte, rechtfertigte die Anstrengung.
So wurden in Rom insgesamt auf acht Spulen 435 Minuten (7,5 Stunden) aufgezeichnet, mit einer Teambesetzung, von der heutige Produktionsteams nur träumen können: Kameramann, Kamera-Assistent, EB-Techniker (der gleichzeitig den Ton kontrollierte), Beleuchter, Lichttechniker, Bühnenpersonal, Produktionsfahrer. Insgesamt waren das sieben Mitarbeiter, zu denen je nach Bedarf noch weitere Helfer in Rom engagiert wurden und jede Menge Ausrüstung samt Strom-Aggregat.

Nach diesen Erfahrungen wurden wir übermütig und machten die zweite große EB-Produktion für die Reihe „Museen der Welt“ über das Anthropologische Museum in Mexico City (Kamera: Hans Schugg; EB-Technik: Rudolf Lang; Cutterinnen: Monika Solzbacher und Monika Schreiner). Wir merkten aber schnell, dass die Elektronik an ihre Grenzen stieß, denn durch das große Gewicht war es weder möglich, die EB-Einheit auf die Pyramiden zu heben noch sie durch den dichten und finstersten Urwald von Yucatan zu ziehen. Die zur Sicherheit mitgenommene Filmkamera für Außenaufnahmen war somit unverzichtbar. Und so entstand eine Mischproduktion: außen Film, innen EB. Dieses Feature hatte  die übliche Länge von 45 Minuten, wurde am 11. März 1981 gesendet und wieder gleich am 24. März 1981 auf dem Halberg als Beispiel vorgeführt, auf dem „EB-Markt“, der nun „Video Professionell“ hieß.

Nach all diesen und weiteren Erfahrungen bin ich aber im Wesentlichen wieder zum Filmmaterial zurückgekehrt. Das Montieren, das Bild-für-Bild-Timing, die Haptik im Umgang mit Bild und Ton, all dies, das auch in meiner künstlerischen Arbeit eine große Rolle spielte, konnte ich nicht aufgeben. Und insofern begann wohl mit dem Siegeszug der EB-Technik auch ab 1985 (und dem Ende meiner Fernsehzeit beim SR) in mehrfachem Sinne eine andere Generation (technisch, menschlich und fernsehjournalistisch) zunehmend die Produktionsbedingungen und Ergebnisse zu bestimmen. Vielleicht aber waren die 1970er und zum Teil die 1980er Jahre generell die kreativsten und produktivsten Jahre des öffentlich-rechtlichen Fernsehens, und es war ein großes Glück und eine Freude zugleich, dabei gewesen sein zu dürfen!

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