Die Maus, Zeichnung (Foto: WDR/H. Hohl)

50 Jahre „Sendung mit der Maus“

Die Fernseh-Maus hatte auch beim SR ein Zuhause

 

Vor rund 50 Jahren, genau am 7. März 1971, wurden die „Sach- und Lachgeschichten“ – der Vorläufer der „Sendung mit der Maus“ – zum ersten Mal in der ARD ausgestrahlt. Damals ahnte wohl niemand, dass damit das erfolgreichste Kinderprogramm des deutschen Fernsehens geboren war. Mit über 150 Beiträgen hat sich auch das SR-Fernsehen an diesem Erfolgsprogramm beteiligt.
Als Produzent und Planungsredakteur war Dr. Michael Meyer für den SR in die Gestaltung der „Sendung mit der Maus“ eingebunden. Von 1980 bis 2004 arbeitete er mit den „Maus“-Kolleginnen und Kollegen des WDR und des SWF redaktionell zusammen.   

Von Dr. Michael Meyer

Über die „Sendung mit der Maus“ wurde im Lauf der Jahre viel geschrieben. An den Universitäten setzten sich ganze Seminare mit dem Programm auseinander, und es wurden inzwischen sogar Dissertationen darüber verfasst.
Der folgende Beitrag schildert meine teilweise sehr persönlichen Erfahrungen und Erinnerungen und versucht, etwas von der Freude und dem Spaß zu vermitteln, den wir Macher bei der Zusammenarbeit und der Vorbereitung der einzelnen Sendungen hatten.

Ob meine Tochter, damals vier Jahre alt, und ich die Geburt der Sendung bewusst miterlebt haben? Ich kann mich ehrlich gesagt nicht mehr erinnern. Aber ich nehme es stark an, denn wir waren ein eingespieltes TV-Team.
Martina war nämlich einige Jahre vorher überraschend in das Leben eines noch sehr jungen Studentenpärchens hereingeschneit und hatte ihrer Mama und mir ein paar komplizierte Probleme beschert: eine Wohnung finden (und das in München!), das Studium neu organisieren und tagsüber das Kind bespaßen, denn die Kitas hatten damals noch längst nicht einen so guten Ruf wie heute.

Nach einigen Monaten hatten wir das neue Leben aber ganz gut im Griff: Die Mama fuhr wieder täglich in die Uni und setzte ihr Psychologiestudium fort, der Papa kümmerte sich um die Kleine und war so optimistisch, zu glauben, er könnte nebenbei an seiner Dissertation arbeiten. Wie sich immer deutlicher herausstellte, war dies jedoch ein Trugschluss, und jeder Tag endete mit einem schlechten Gewissen: Wieder nichts zu Papier gebracht!

Dennoch erinnere ich mich an eine herrliche gemeinsame Zeit. Sobald Martina laufen konnte, lernten wir alle Hunde der Nachbarschaft und natürlich auch die meisten Kinder mit Namen kennen. Als die Kinder mich einmal fragten, warum ich so viel Zeit hätte, erzählte ich ihnen, ich sei Detektiv und müsste nur nachts auf Verbrecherjagd gehen. Das fanden sie spannend.

Nachmittags jedoch waren wir in der Regel zu Hause und sahen fern. Martina wusste nach einer Weile genau, an welchem Tag welche Sendung im Programm lief und konnte eher Fury-Tag sagen als Dienstag. Und so konsumierten wir alles, was am Nachmittag gesendet wurde: egal, ob Flipper, der Hase Cäsar, der Spaß-Spiel-Sport-Onkel vom Bayerischen Rundfunk oder Lassie und Daktari.
Den Höhepunkt des wöchentlichen Programms aber bildete Bonanza mit der Cartwright-Family und ihrer Shiloh-Ranch.

Sobald die Titelmelodie ertönte, sauste Martina in ihr Zimmer, zog sich Gummistiefel an, setzte einen Cowboyhut auf und griff nach ihrer Zündplättchenpistole, die sie immer für Fasching bereithielt. Dann stellte sie sich vor unseren kleinen Schwarzweiß-Fernsehapparat und spielte alle Szenen mit. Das war also schon richtig interaktives Fernsehen, so, wie es sich gewiss viele Kinderprogramm-Macher damals gewünscht hätten.

Martina und Papa Meyer (Foto: Privat)
Martina und ihr Papa Michael Meyer waren schon früh begeisterte Fernsehzuschauer (1971).

Meine ersten Erfahrungen mit Fernsehen für Kinder machte ich also quasi spielerisch als Konsument, zusammen mit meiner Tochter Martina. Was ich zu diesem Zeitpunkt nicht ahnte, war die Unruhe, die schon des längeren in Sachen Kinderprogramm in den Redaktionen von ARD und ZDF herrschte … Dort galt es nicht nur, eine Front von konservativen Pädagogen und Gremien zu bekämpfen – immerhin stand lange Zeit die Forderung im Raum, man dürfe auf gar keinen Fall ein Programm für Kinder unter neun Jahren ausstrahlen – , es gab auch medienpolitisch unterschiedliche Lager in den Redaktionen, eine Folge der Auseinandersetzung mit den 68ern und deren revolutionären Auswirkungen in den Köpfen.

Zusätzlich Zündstoff für heiße Diskussionen lieferte der Siegeszug der amerikanischen Fernseh-Großveranstaltung „Sesame Street“, die nicht nur in den Vereinigten Staaten jede Menge Erfolge feierte, sondern 1970 beim weltweit hoch angesehenen deutschen Fernsehfestival „Prix Jeunesse“ den Preis der Internationalen Jury errang. An diesem Programm zeigten viele Fernsehanstalten auf dem ganzen Globus außergewöhnliches Interesse. Es richtete sich zwar in erster Linie an Kinder in den amerikanischen Gettos und wollte diesen helfen, Bildungsdefizite zu kompensieren. Aber das schien für die meisten Programmmacher kein Nachteil zu sein.

So leitete „Sesame Street“ eine neue Phase im internationalen Kinderfernsehen ein. Mit einem stringenten Konzept, wissenschaftlich begleitet, geprüft und marktstrategisch lanciert, bildete die Lernserie ein breit angelegtes Multi-Media-Produkt für Kleinkinder. Das Zusammenspiel von Puppen und realen Menschen funktionierte, süffige, immer wiederkehrende Slogans hatten zum Ziel, den Kindern Buchstaben und Zahlen einzuprägen, und lustige Puppen sorgten für witzige Unterhaltung.

Kein Wunder, dass sich auch die deutschen Fernsehanstalten ARD und ZDF für dieses Programm interessierten und man sich um die Lizenz zur Übernahme stritt. Erfolgreich war schließlich der NDR, der sich um die finanzielle Unterstützung anderer ARD-Anstalten bemüht hatte und versprach, durch die Neuproduktion von Realteilen und der Erfindung deutscher Puppen den starken Akzent des amerikanischen Originals von kognitiven Inhalten auf intensiver betonte soziale und emanzipatorische Lernziele zu verlagern.

An dieser an deutsche Verhältnissen besser angepassten Version beteiligte sich ab Mitte der 1970er auch der Saarländische Rundfunk und wurde damit ein kleiner Koproduzent. Die Folge: Alle zwei Monate musste sich ein Mitglied der SR-Redaktion in den Zug setzen und nach Hamburg reisen, um sich dort mit der Redaktion und einem eigens gegründeten wissenschaftlichen Beirat zu treffen und zu beraten. Auch ich hatte von 1980 bis 1992 dieses Vergnügen.

Es zeigten sich aber auch weiterhin Vorbehalte gegen diese Amerikanisierung des Kinderprogramms in den Fernsehanstalten. Teilweise aus Neid gegenüber dieser großartigen und so erfolgreichen Serie, teilweise aber auch aus dem Gefühl, das können wir auch – und wahrscheinlich sogar besser – schossen plötzlich eine Reihe von Sendungen aus dem Boden, die sich besonders der Klientel kleinerer Kinder widmete.

So schickte der Bayerische Rundfunk das „Feuerrote Spielmobil“ auf die Reise, das ZDF die „Rappelkiste“ und „Neues aus Uhlenbusch“, der NDR „Maxifant und Minifant“, und eine Gruppe verschiedener ARD-Redaktionen sammelte sich auch um die „Lach-und Sachgeschichten“, die der WDR federführend entwickelt hatte. Unter ihnen befand sich auch der Kinderprogramm-Chef des Saarländischen Rundfunks, Dr. Peter Werner.

Befeuert durch den damaligen SR-Fernsehprogrammdirektor Karl Schnelting beteiligte sich der SR nicht nur an der späteren „Sendung mit der Maus“, sondern hatte sich auch schon vorher mit einem erheblichen finanziellen Beitrag um die deutsch-tschechiche Produktion „Pan Tau“ verdient gemacht. Schnelting war Ende der 1960er Jahre zum Koordinator des Nachmittags- und damit auch des Kinderprogramms der ARD ernannt worden.

Karl Schnelting (Foto: Gerhad Heisler)
SR-Fernsehprogrammdirektor Karl Schnelting war ein Pan Tau-Freund.

Gert K. Müntefering, nicht nur der Vater der „Maus“, sondern auch der Entdecker von „Pan Tau“, hat mir die Vorgeschichte unlängst wie folgt geschildert: „Kirch (der Film- und Fernsehproduzent Leo Kirch, der anfangs mit von der Partie war; MM) weigerte sich, seine Million an die Tschechen zu zahlen, weil die einen anderen Film, an dem er beteiligt war, nicht herausgaben. Die Redaktion Kinderprogramm (des WDR; MM) saß mit einer Million negativ dumm rum. Also über und mit Siegfried Mohrhof (dem damaligen Leiter des WDR-Familienprogramms; MM) ein Gespräch mit Schnelting, an seine Ehre als neuer Koordinator und auch mögliche Unsterblichkeit appelliert.

Und dann geschah das Wunder von der Saar. Der SR produzierte eine Abendshow für die Unterhaltung weniger und steckte die Million in ,Pan Tau‘. Das war dann auch der Start der engeren Zusammenarbeit mit Peter Werner.“ 

Gert K. Müntefering (Foto: Privat)
Mann der ersten Stunde: „Maus-Vater“ Gert K. Müntefering erfand die Lach- und Sachgeschichten, den Vorläufer der „Sendung mit der Maus“.

Ab Mitte 1972 trafen sich dann, zunächst alle zwei Monate, die Vertreterinnen und Vertreter von HR, RB, SDR, SR, SWF und WDR an verschiedenen Orten und diskutierten über das neue gemeinsame Magazin „Die Sendung mit der Maus“. Jeder interessierte Sender stellte seine Beiträge vor. Diese wurden intensiv diskutiert, gelobt oder niedergemacht – und so auf ihre Eignung für die „Maus“ untersucht. Diese Treffen wurden später kurz „Mäusemeetings“ genannt.
(Übrigens, wenn man die Protokolle der damaligen Meetings liest, fällt auf, dass unter den Teilnehmern des Öfteren auch „Fräuleins“ aufgeführt werden, offensichtlich Kolleginnen, die noch nicht verheiratet waren.)

Mäusemeeting (Foto: Privat)
Teilnehmer eines Mäusemeetings in den 1980er Jahren in Baden-Baden (in der Mitte Michael Meyer).

Der Saarländische Rundfunk war in diesen ersten Jahren ein besonders fleißiger Zulieferer von Beiträgen. Mit dem Tierfilmer Otto Hahn entstanden herrliche Tierbeobachtungen und Naturfilme. Dieser inhaltliche SR-Schwerpunkt wurde übrigens in den 1990ern durch das Engagement der Kölner Tierfilmer Jens Hamann und Elmar Mai mit Erfolg wieder aufgenommen. Ihre Filme schilderten beispielsweise, wie Wanzen übers Wasser gleiten, wie Stechmücken zustechen, wieviel Beine ein Tausendfüßler wirklich hat usw.

Der SR-Kollege Hans Bünte, eigentlich Vorspieler der Zweiten Geigen im Rundfunk-Sinfonieorchester Saarbrücken, erwies sich als Multitalent und lieferte eine Reihe von interessanten Mikro/Macro-Beobachtungen, die alltägliche Gegenstände so verfremdeten, dass man sie erst nach und nach wieder erkannte. Auch Georg Bense steuerte schöne Beobachtungsfilme bei. Es entstanden Sachgeschichten über bestimmte Berufsgruppen, aber auch humorvolle Lachgeschichten. Eine etwa beschrieb den Tagesablauf eines Arbeiters, der morgens sein Frühstücksbrot schmiert, in die Aktentasche packt und seinen Arbeitsplatz aufsucht. Dort setzt er sich an einen Tisch mit einem Schraubstock, in den er sorgfältig eine gerade gewachsene Banane spannt und diese dann mit beiden Händen krumm biegt. Der zusätzliche Gag für Insider: Der Bananenkrummbieger wurde vom SR-Fernsehdirektor Karl Schnelting gespielt!

Mitte der 70er Jahre traten einige ARD-Anstalten aus der „Maus“-Gruppe aus. Die konzeptionellen Ansätze waren dann doch zu unterschiedlich geworden. Übrig blieben nur noch SR und SWF. Zusammen mit dem WDR und unter dessen erfahrener und engagierter Federführung wurden diese drei Sender die Koproduzenten, die jahrelang das Bild der „Maus“ prägten.

Nicht unerwähnt bleiben soll in diesem Zusammenhang auch der wichtige Einfluss des Münchener Trickfilmproduzenten Friedrich Streich, der mit seinen witzigen Spots mit Maus, Elefant und später der Ente dem Programm einen unverwechselbaren optischen und humoristischen Touch verlieh, aber tragischerweise nie die Urheberrechte an der gezeichneten Maus finanziell nutzen durfte. Denn die wurden später gerichtlich der Grafikerin Isolde Schmitt-Menzel zugesprochen. Schmitt-Menzel hatte nämlich die „Ur-Maus“ als Figur für Bildergeschichten der „Lach- und Sachgeschichten“ erfunden, während Friedrich Streich sie später „nur“ animiert, ihr damit aber im wahrsten Sinne des Wortes erst eine Seele eingehaucht hatte.

Originalskizze Maus mit Elefant (Foto: WDR/H. Hohl)
So sieht die Streich-Maus aus, die in über 2000 Sendungen lebendig umherhüpfte und mit Elefant und Ente ihre Streiche spielte.

Trotz des wachsenden Erfolgs der „Sendung mit der Maus“ gab es zwischendurch immer wieder mal Zweifel, ob die bisherige Konzeption, die nur von aneinandergereihten Kurzfilmen lebte, auf Dauer erfolgreich funktionieren würde. Der SR ließ sich auf ein solches Experiment ein und verpflichtete die altehrwürdige Schauspielerin Edith Schultze-Westrum. Die saß in einem bequemen Sessel und erzählte Kindern Geschichten, andere probierten junge Moderatoren aus, die durch das Programm führen sollten – zum Glück blieb es aber bei diesen Versuchen …

Ein besonderes Stilmittel, neben den hervorragend recherchierten und gefilmten Beiträgen, ist die Art der kommentierenden Sprache in den Sachgeschichten. Der Text wurde nicht zu den Bildern abgelesen. Der Regisseur und Fernsehproduzent Armin Maiwald hatte eine Methode entwickelt, seine begleitenden Sätze erst am Schneidetisch und ohne Manuskript zu entwickeln. Dadurch erzeugte er einen Erzählduktus, der die zuschauenden Kinder wie selbstverständlich an der Hand nahm und sie so viel intensiver am Geschehen teilhaben ließ.

In der zweiten Hälfte der 70er stieß beim SR eine junge Kollegin zum Kinderprogramm: Brigitte Schroedter. Ihr größtes Verdienst bestand darin, junge Illustratoren für die „Maus“ zu gewinnen, die dann wunderschöne Bildergeschichten entwickelten, etwa „Molly, die Schiffskatze“ oder „Raimund und das Wunderei“. Auch das Dialektlied von Alfred Gulden „root hooa un sommerschprossen“ unterlegte sie mit kongenialen Zeichnungen.

Und was war aus Michael Meyer, dem Papa geworden, der so gern mit seiner Tochter nachmittags ferngesehen hatte?
Nun, irgendwann hatte auch er seine Dissertation vollendet und war Redakteur einer Tochtergesellschaft von Bertelsmann und Gruner & Jahr geworden, der Firma „Videophon“. Die Firma sollte unter dem ehemaligen ZDF-TV-Star Werner Stratenschulte Programme für Bildplatte und Videorecorder produzieren und vertreiben. Die gemeinsamen Fernsehstunden mit Martina waren dadurch zwangsläufig seltener geworden.

Zum ersten Mal Kontakt zu den Machern der „Sendung mit der Maus“ bekam ich 1975. Da zum Repertoire der Videophon auch ein Projekt gehörte, das das Leben junger Tiere schildern sollte, bekam ich den Auftrag, nach Köln zu reisen, um dem Team des WDR, drei kurze Pilotfilme vorzuführen. Der Kölner Chef der kleinen Abteilung, Gert K. Müntefering, hatte soeben das Büchlein „Liebe Eltern, Liebe Kinder“ veröffentlicht, in dem er unter anderem auch die Entstehung der „Sendung mit der Maus“ schilderte.

Buchcover- Liebe Eltern, Liebe Kinder (Foto: Verlag)
Das Cover des ersten Buchs vom „Mäusevater“ Müntefering aus.

Müntefering empfing mich höflich, reichte mich dann aber rasch weiter an eine junge Kollegin, Monika Paetow, die sich meine mitgebrachten Filme ansah. Am Ende wandte sie sich an mich, besann sich kurz und erklärte mir dann ruhig und freundlich: „Das sind ja ganz nette Bilder, Herr Meyer, die Sie da gedreht haben. Aber – in die „Die Sendung mit der Maus“ passen sie leider gar nicht.“ Lächelte mich an und gab mir zum Abschied die Hand – eine Art von sympathischer Absage, wie ich sie später niemals mehr erlebt habe.

Immerhin kam ich auch bei der Videophon mit Kinderfernsehen in Berührung. Wir hatten die italienische Zeichentrick-Serie „Calimero“ erworben und die deutschen Rechte an das ZDF verkauft. Da die Abgabetermine ans ZDF sehr eng waren und die Italiener selten pünktlich liefern konnten, durfte ich mit meinem kleinen R4 zweimal nach Mailand fahren, um die frisch entwickelten Kopien nach München zu schmuggeln. Hätten sie ihren ordentlichen Weg durch den Zoll genommen, hätte das Wochen gedauert, und das ZDF wäre nicht sonderlich erfreut über einen so unzuverlässiegen Vertragspartner gewesen.
Außerdem lernte ich die polnische Reihe „Lolek und Bolek“ kennen , denn auch die hatten wir für unseren Vertrieb erworben.

Die nächsten Jahre verbrachte ich jedoch als Projektmanager im Sultanat Oman und half, das lokale Fernsehen aufzubauen. Nach meiner Rückkehr nach Deutschland bewarb ich mich auf die Stelle des Leiters des Familienprogramms beim SR. Peter Werner war inzwischen zum BR zurückgegangen, und auch Brigitte Schroedter plante, schon bald den SR zu verlassen.

Buchcover - Warum ist der Himmel blau (Foto: Verlag)
Dieses Buch bildete wohl auch ein Argument für die Verpflichtung von Michael Meyer zum SR.

Natürlich wollte auch ich dann bald Beiträge für die „Maus“ produzieren. Dass das nicht so einfach war, sollte ich bald erfahren. Ein Hobby-Tierfilmer hatte mir eine Reihe von schönen Aufnahmen von Hirschen, Wölfen und Hasen verkauft. Da sie ohne Ton angeliefert wurden, ließ ich sie von Fritz Maldener, dem seinerzeit angesagten Saarbrücker Jazzpapst, mit, wie wir glaubten, schöner Musik unterlegen und führte sie dann stolz auf dem nächsten „Mäusemeeting“ vor. Die Beiträge wurden ein Flop: für die „Maus“ nicht geeignet. Alles sei sehr ästhetisch, aber keine Geschichte und auch keine passende Musik. Das war mein Lehrjahr!
Ab dann wurde die Zusammenarbeit mit den Kolleginnen und Kollegen aber sehr schön und kreativ. Und es begann die Zeit der Feiern und der Preisverleihungen.

Filmszene mit Biemann und Meyer (Foto: SR)
Nicht nur als Redakteur war Michael Meyer aktiv; auch als Schauspieler war er gefragt. Hier zusammen mit Christoph in einem Film zum Thema „Kerbholz“.

Die „Maus“ gewann den „Prix Jeunesse“ mit der Geschichte „Oh, wie schön ist Panama“ des Illustrators und Autors Janosch. Die Rechte dafür hatten jahrelang bei der Saarbrücker Telefilm ungenutzt gelegen.

Zweimal gewann die „Maus“ den „Prix Danube“, einen Preis in Kanada und den Preis für die beste Kindersendung der Zeitschrift „Leben und Erziehen“ (1984).

Preisverleihung Leben und Erziehen (Foto: Wolfgang Plitzner)
Von links: Michael Meyer (SR), Dieter Saldecki und Enrico Platter (WDR) und (als Dritter von rechts) Gert K. Müntefering (WDR) freuen sich über die Auszeichnung der Zeitschrift „Leben und Erziehen“.

Die Zeitschrift „Spielen und Lernen“ veröffentlichte dazu folgenden Text:

Artikel aus „Spielen und Lernen“. Zum Vergrößern bitte anklicken.

Je älter die „Maus“ wurde, desto häufiger kam es zu weiteren Preisverleihungen: Ein vorläufiger Höhepunkt war der Grimme-Preis in Gold 1988.

So berichtete die damals aktuelle Ausgabe der SR-Zeitung „Rotlicht“ über den Preis. Zum Vergrößern bitte anklicken.

 1989 hatte dann das Saarland eine schöne PR-Idee: Da die „Maus“ nun 18 geworden war, verlieh der damalige Kultusminister Prof. Diether Breitenbach in einer kleinen Feierstunde dem beliebten Fernsehstar eigenhändig das Zeugnis der Reife.

Der nächste bedeutende Preis wurde 1993 in Köln verliehen. Dort erhielt das Team der „Maus“ den „Telestar“, den gemeinsam von ZDF und ARD gestifteten Deutschen Fernsehpreis.

Urkunde Telestar (Foto: privat)
Die Urkunde für die „Maus“-Preisträger des „Telestar“ 1993.

Ebenfalls 1993 wurde die „Maus“ nach Mainz eingeladen. Das gastgebende ZDF produzierte eine Programmstunde, in deren Mittelpunkt die „Sendung mit der Maus“ stand. Der in Mainz sehr beliebte Oberbürgermeister Jockel Fuchs überreichte der „Maus“-Delegation das „Meenzer Jockelche“, den sogenannten Herrenorden der Stadt Mainz. Als Dankeschön hielt ich an diesem Tag die erste und letzte Büttenrede meines Lebens: „Es hebt das Meenzer Jockelche – die ,Maus‘ heut auf ein Sockelche …“

Närrische Urkunde (Foto: privat)
Die Närrische Urkunde für die Verleihung des „Meenzer Jockelche“ 1993.

Im Jahr 1996 feierte die „Maus“ ihren 25. Geburtstag! In Köln war die halbe Stadt unterwegs und zelebrierte ein großes Straßenfest. In Potsdam eröffnete das Filmmuseum eine „Maus“-Ausstellung, die einige Jahre später auch in Saarbrücken in den Studios der SR-Tochterfirma „Telefilm Saar“ zu besichtigen war. In wenigen Wochen gab es dort über 40 000 Besucher – eine Zahl, die viele Saarbrücker Museen vor Neid erblassen ließ.

Mausoleum (Foto: SR)
Der Flyer für die „Maus“-Ausstellung „Maus Oleums“ (Name der Mausausstellung).

Unvergessen ist mir auch die Preisverleihung der „Goldenen Kamera“ 1997 in Berlin. Vormittags hatte der Regisseur der Abendsendung uns „Mäuse“ zu einer kurzen Vorbesprechung in den Veranstaltungsraum eingeladen. Während wir uns seine Anweisungen anhörten, öffnete sich die Theatersaaltür und ein relativ heruntergekommen wirkender Typ trat ein. Ich wunderte mich, dass niemand ihn bat, den Saal zu verlassen. Am Abend verstand ich, warum: Der Mann war Joe Cocker!

Wenige Monate vorher, im Dezember 1996 erlebte ich eine ähnlich skurrile Situation in Innsbruck. Dort erhielt die „Sendung mit der Maus“ die vom SR alljährlich verliehene „Goldene Europa“. Auf dem Rückweg ins Hotel mussten Sigi Grewenig vom WDR, der es später vom Kinderprogrammredakteur zum Unterhaltungschef des WDR bringen sollte, und ich ein etwas unheimliches Viertel durchqueren. „Meyer, keine Angst!“ sagte der Freund und schwang die zwei Kilogramm schwere Bronzestatue durch die Luft. „Jetzt soll mal einer kommen und uns angreifen. Wir sind bewaffnet!“

1996 wurde der „Maus“ die SR-Trophäe „Goldene Europa“ überreicht. Auf der Bühne standen damals Michael Meyer, Siegmund Grewenig (WDR) und Heike Sistig (WDR). Es moderierte Jan Hofer.
Video [SR.de, (c) SR, 26.11.2020, Länge: 02:15 Min.]
1996 wurde der „Maus“ die SR-Trophäe „Goldene Europa“ überreicht. Auf der Bühne standen damals Michael Meyer, Siegmund Grewenig (WDR) und Heike Sistig (WDR). Es moderierte Jan Hofer.

In den folgenden Monaten reiste die „Maus“ und die um sie herum entwickelte „Maus-Show“ durch eine Reihe von Städten und gastierte dabei natürlich auch auf dem Saarbrücker Halberg. Hier stattete sie dem Sender, der sie von Anfang an in vielerlei Hinsicht unterstützt und begleitet hatte, einen besonderen Besuch ab. Tausende Kinder und ihre Eltern erfreuten sich an dem bunten Programm, das Christoph – und natürlich die „Maus“ persönlich – dem begeisterten Publikum boten.

Michael Meyer feierte gerne mit, wenn die „Maus“ geehrt wurde. Zum Vergrößern bitte anklicken.

Wie aufmerksam die Sendung von den Zuschauern begleitet wurde, zeigt die heftige Redaktion, die 1985 auf einen Beitrag des SR erfolgt war. Die Redaktion hatte elf Jahre zuvor in Zusammenarbeit mit dem renommierten Zoologen Werner Nachtigall den Film „Igel“ produziert. Was tat der Igel? Rohe Eier fressen und Milch trinken. So weit, so schön. Der Film gefiel. Als er jedoch 1985 wiederholt wurde, brach ein Sturm der Entrüstung los. Was war passiert? In diesen elf Jahren hatte sich die herrschende Lehre weiter entwickelt, und man wusste, dass Igel unter gar keinen Umständen Eier fressen und Milch trinken sollten, weil beides Durchfall auslösen konnte. So belehrt, produzierte der SR gleich einen neuen Film über Igel. Jetzt tranken die Igel Wasser.

Und noch eine interessante Anekdote gibt es zu erzählen: Der saarländische Filmemacher Dietmar Noss drehte unter anderem auch Beiträge für die „Sendung mit der Maus“. Von Zeit zu Zeit wurde er als Kameramann von der Nationalmannschaft der Deutschen Polizei-Scharfschützen zur Dokumentation eines internationalen Wettbewerbs engagiert.
Eines Abends, man saß in Dubai an der Bar, fragte ihn ein Polizeischütze: „Was machst du eigentlich sonst so?“
Noss erwiderte: „Ab und zu drehe ich Filme für die „Sendung mit der Maus“.
„Oh, da hätte ich ein tolles Thema für euch“, sagte der andere. „Wir haben in unserer Einheit Kollegen, die springen aus 3000 Meter Höhe mit dem Fallschirm in eine Hose.“

Als Dietmar Noss mir diese Geschichte erzählte, sagte ich spontan: „Den Film drehen wir!“ Und dann stellte sich heraus: Die Hosen-Springer waren Beamte der legendären GSG 9, die 1977 in Mogadischu spektakulär die Geiseln der entführten Lufthansa Maschine Landshut befreit hatte.

Ein Ausschnitt aus dem SR-„Maus“-Film über die GSG 9, Realisator Dietmar Noss.
Video [SR.de, (c) SR, 26.11.2020, Länge: 00:56 Min.]
Ein Ausschnitt aus dem SR-„Maus“-Film über die GSG 9, Realisator Dietmar Noss.

Der Dreh für den „Maus“-Beitrag wurde realisiert, und die Beamten der GSG 9 waren danach vom Team und dem Realisator so überzeugt, dass sie ihm und dem SR anboten, seit langer Zeit wieder einmal einen Film über ihre Organisation und ihre Arbeit zu produzieren. Nach dem Debakel in Bad Kleinen 1993, bei dem die GSG 9 öffentlich harsch und, in ihren Augen, von der Presse unfair kritisiert worden war, hatte man sich medial zurückgezogen und beschlossen, eigentlich kein Fernsehteam mehr in das Gelände der Einheit in St. Augustin hereinzulassen. Diese Einladung bedeutete also eine große Anerkennung für den SR – dank seines Engagements für die „Sendung mit der Maus“. Für die Redaktion Familienprogramm war es zugleich eine große Herausforderung.

Es zeigte sich, dass der Dreh so viel gutes Material erbracht hatte, dass der Film eine Länge von 90 Minuten vertrug. Als er dann Anfang 2000 in der ARD ausgestrahlt werden sollte, konnte ihm wegen der ungewöhnlichen Länge leider nur ein Sendeplatz um 23.30 Uhr zugeteilt werden. Aber selbst um diese mitternächtliche Stunde fand er 1,5 Millionen Zuschauer, für einen Dokumentarfilm eine unerwartet hohe Einschaltquote!

Wie groß die Popularität der „Maus“ ist, illustriert auch folgende Geschichte: Die Tochter einer Freundin wollte vor Jahren in Berlin studieren und bewarb sich um ein Zimmer in einer WG. Wie das damals üblich war, versammelten sich alle Bewohner in der Küche und „casteten“ die Bewerberin. Am Schluss eines intensiven Verhörs fragten sie:
„Was machst du eigentlich sonntagmorgens?“
„Sonntagmorgens? – Sonntagmorgens gucke ich meistens die ,Sendung mit der Maus‘“.
„Ok, du kannst bei uns einziehen. Das machen wir nämlich auch.“

Und damit darf ich verraten: Das Durchschnittsalter der Zuschauer der „Sendung mit der Maus“ beträgt 40 Jahre, und einer der schönsten Preise, die die „Maus“ jemals bekommen hat und der ihr 1992 verliehen wurde, nannte sich „Preis der beleidigten Zuschauer“. Der Grund: Wegen verschiedener Sportveranstaltungen war die Sendung an einigen Sonntagen ausgefallen …

Ich gestehe: Ich bin zwar vor der „Maus“ in den Fernseh-Ruhestand gegangen. Und der SR ist heute nicht mehr dabei. Aber trotzdem gehört auch bei mir und meiner inzwischen durch Enkel angewachsenen Familie die Maus häufig zum vergnüglichsten Sonntagsvormittagsprogramm.

Von der „Sendung mit der Maus“ gibt es heute (Ende 2020) etwa 2280 Folgen. Sie ist (relativ) regelmäßig sonntags zu sehen, um 9.30 Uhr in der ARD und um 11.30 Uhr im KiKa.
Jede Sendung umfasst 30 Minuten. In der „Maus“ sind und waren beliebte Kleinserien integriert, u. a. „Der kleine Maulwurf“ (1972), „Käpt‘n Blaubär“ (1992), „Petzi“ (1992) und „Shaun das Schaf“ (2007).

Redaktion für den Arbeitskreis SR-Geschichte: Axel Buchholz; Eva Röder (Gestaltung/Layout); Magdalena Hell/Burkhard Döring (Illustrationen und Recherche); Sven Müller (Videos, Standbilder)

Artikel mit anderen teilen


Push-Nachrichten von SR.de
Benachrichtungen können jederzeit in den Browser Einstellungen deaktiviert werden.

Datenschutz Nein Ja