Werner Reinke, Thomas Koschwitz und Aline Pütz
Drei ehemalige SR-Musikmoderatoren erinnern sich
Von Werner Reinke, Thomas Koschwitz, Aline Pütz und Axel Buchholz
Dem zeitweiligen Musikmoderator der Europawelle Saar Werner Reinke ist eine ganz besondere Ehre widerfahren: Er ist der „Titelheld“ eines Dokumentarfilms über das Radio . In „Die alte Liebe oder warum Herr Reinke zum Radio ging“ (2021) erzählt er von seiner Karriere beim geliebten Radio. An seinem Werdegang will der Film gleichzeitig auch die Nachkriegsgeschichte des populären Radios aufzeigen*. Davon hat der SR mit seiner „Europawelle Saar“ ein wichtiges Kapitel geschrieben. So ist u. a. auch Thomas Koschwitz im Radiofilm zu sehen und zu hören, der ebenfalls auf der Europawelle moderierte. Manfred Sexauer und Axel Buchholz sind außerdem darin kurz vertreten. Wie Reinke und Koschwitz hat auch die Luxemburgerin Aline Pütz Erinnerungen an ihre Zeit beim SR aufgeschrieben.
Von Werner Reinke
„Mach da ruhig mal mit!“ hatte mir hr-Unterhaltungschef Hanns Verres geraten. „Da haste Spaß“. Er beschrieb zutreffend die Lage des Senders als „Sanatorium mit Sendebetrieb“. Diese Beschaulichkeit wollte ich in Augenschein nehmen. Meine erste Sendung begann um 18.05 Uhr, also erschien ich pflichtbewusst gegen 17.55 Uhr in der Senderegie. Nicht so früh, dass ich den Ablauf störte, aber auch nicht so spät, dass die Kollegen nervös auf mich warten mussten.
Kollege eins zum Kennenlernen war Toningenieur Kalle Wagner, ein ehemaliger Fallschirmspringer, der weder Tod noch Teufel fürchtete. Kalle musterte mich, schaute auf den Sendeplan und sagte: „Juut, die Erkennungsmelodie kann ick ooch ohne dich abfahren, det schaffste! Also du jehst hier raus, links rum, Treppe runta, paar Meta rechts iss die Kantine. Wennde jetz losjehst, biste rechtzeig wieda hier. Die Kiste Bier zu deinem Einstand bestell ick schon ma telefonisch. Loof los!"
Das war meine Sprache, das war mein Radio. Ich hatte nicht ahnen können, dass schon die ersten Sekunden beim SR mir eine solche Heimat boten. Der Mann in der Kantine wusste Bescheid, ich zahlte und wuchtete die Kiste Bier die Treppe hoch. Als ich wieder da war, lief Kalles Berechnungen entsprechend die Titelmelodie der Sendung, ich ging rüber ins Studio und sagte „Saarländischer Rundfunk, Europawelle Saar“ (Handzeichen für Kalle, Musik hoch, erst mal durchschnaufen. Kalle grinste). Dann kam mit einigem Abstand die restliche Begrüßung. Wieso, fragte ich mich, hatte immer ich das Glück, auf solche Hammertypen zu treffen?
Wenig später konnte ich Kalle bei der Arbeit zuschauen. Ich blieb nach meiner Sendung noch etwas da, und Axel Buchholz begann nach mir seine Sendung mit Berichten über das aktuelle Zeitgeschehen. Derweil sprachen Kalle und ich über unsere jeweiligen Lebensläufe. Ein intensiver Gedankenaustausch, durchaus. Während der Arbeit als Toningenieur!
Kalle drehte sich soweit zu meiner Seite, dass er das Mischpult nur noch mit einer Hand bedienen konnte, was mich beim Zuschauen bei weitem nervöser machte als ihn. Kalle redete ohne Zögern weiter mit mir, als Moderator Buchholz ihm den nächsten Ablauf schilderte. Etwa so: „Kalle, nach der Musik ich, dann kurzes Wort von Band 1, dann ich mit Telefonpartner, während des Telefonats zwei Einspieler von Band 2 und 3, nach Ende Telefon nächste Musik dran und ich nochmal aufs Intro“. Während Axel Buchholz das alles vortrug, änderte Kalle weder Haltung noch Redefluss. Nur ein bestätigendes Nicken Richtung Axel signalisierte Kenntnisnahme. Und der schien auch nicht überrascht oder nervös zu sein ...
Und siehe da, der besprochene Ablauf wurde einhändig von Kalle abgefahren. Moderator auf, Musik zu, Band 1 ab, Telefonregler auf, Band 2 ab, Band 3 ab, Musik ab, runterblenden für Moderator, Musik wieder hoch, Moderator zu. Alles mit einer Hand, und alles, ohne die Schilderung seiner Erlebnisse unterm Fallschirm zu unterbrechen. Ich musste unplanmäßig danach die Unterwäsche wechseln ...
Der Personaltransfer vom Hessischen zum Saarländischen Rundfunk wurde nach mir fröhlich fortgesetzt. Dieter Exter aus Hessisch Lichtenau war einer meiner Nachfolger als Wanderer zwischen den Welten – oder Wellen. Wilfried Eckel dito.
Und dann war da noch der Postbeamte Wolfgang Hellmann. Dessen Werdegang vor dem SR war auch schon bei hr3 gespickt mit Highlights, die seine Kollegen zu fassungslosem Kopfschütten brachte. Zum Beispiel, wenn er seine Livesendung mit den Worten begann: „Die Zeit: Einmal Vier. Nee, Entschuldigung, das war die Filtertüte!“
Oder wenn seine Sendung mit seiner Moderation bis ran an den Nachrichtengong endete: „Wie wir soeben erfahren, ist unsere Sendezeit begrenzt. Auf Wi!“
Da sind mir die Tränen runtergelaufen …
Wolfgang († 2001) war mir ein guter Freund, und er blieb es bis zu seinem viel zu frühen Tod. Zum Spaß redete Wolfgang mit mir in einer Kunst-Beamtensprache und nannte mich nur „Herr Kollege …“. Als er Musikchef in Saarbrücken geworden war, rief er mich eines Tages an, um mich zu fragen, ob ich Lust habe, die SR-Stationvoice zu werden. Nicht etwa so: „Grüß Dich Werner, hast Du Lust, Stationvoice zu werden?“ Nein, das war nicht der Stil meines Freundes Wolfgang …
(Telefon klingelt) „Reinke“. – „Ja, und hier ist Hellman, Grüß Gott Herr Kollege!“ – „Grüß Dich Wolfgang, wie geht's?“ – „Geradezu ausgezeichnet, danke der Nachfrage. Herr Kollege! Wir haben hier aktuell ein Entsorgungsproblem, und Sie könnten uns bei der Lösung helfen. Es geht um einen namhaften Geldbetrag, und wir müssen ihn in Honorarform abführen. Da dachten wir, Sie könnten als Entsorger auftreten, indem Sie ein paar Worte sprechen. Zum Beispiel als die Stimme in allen Jingles, die Stimme der Europawelle Saar …“
Man konnte Wolfgang Hellmann nie böse sein, er war einfach ein unfassbar feiner Kerl. Eines Tages hatte er eine seiner guten Ideen: Doppelmoderation der Sendung „30 Jahre Rock 'n' Roll“, einer Gemeinschafts-Livesendung von Europawelle Saar und hr3. Sechs Stunden ab Mitternacht. Ich willigte begeistert ein, denn Wolfgang war der Rock 'n' Roll-Fachmann überhaupt. Er hatte alle Platten und Bänder in Reihenfolge gebracht, und seine Kollegin Sabine Neu sollte die Titel live anreichen.
Das war eine gute Idee. Denn Wolfgang war nicht da. Er hatte sich einen schwierigen Bruch zugezogen, und ausgerechnet in der Nacht der Sendung am 1. Dezember 1984 musste er in Ulm das Bett hüten. Sowas ist natürlich kein Hinderungsgrund für einen Mann wie Wolfgang und einen Sender wie den Saarländischen Rundfunk. Wolfgang holte einen SR-Fernmeldetechniker nach Ulm, und der schaute sich das Telefon am Krankenbett etwas genauer an. Das Ergebnis war höchst verblüffend: Die Leitung klang, als säße der Kollege direkt im Büro neben der Senderegie. Welch ein Spaß! Noch heute ein gefragtes Sammlerobjekt unter den Radiofreaks: „30 Jahre Rock 'n' Roll“ mit Wolfgang Hellman (Ulm) und Werner Reinke (Saarbrücken).
Schon 20 Jahre lang ist Wolfgang nicht mehr unter uns. Vergessen werde ich ihn nie. Ich freue mich aufs Wiedersehen, Wolfgang. Und sagen Sie nicht „Herr Kollege“ zu mir!“
Der Delmenhorster Werner Reinke (*19. 6. 1946), ein gelernter Holzkaufmann, legte nebenbei Platten im „Tanzschuppen“ auf, begann seine Radiokarriere 1969 als Nachrichtensprecher und Moderator von Jugendsendungen bei Radio Bremen, wechselte 1971 zum Hessischen Rundfunk und wurde dort schnell als Moderator diverser Musiksendungen populär. Nach zehn Jahren Radiopause kehrte er 2001 zum hr zurück und moderiert seither Sendungen auf hr3 und hr1 – seit 2009 die Dreistundensendung „Reinke am Samstag“. 2012 bekam er den Deutschen Radiopreis in der Kategorie „Bester Moderator”.
Wie Reinke kam auch Thomas Koschwitz vom Hessischen Rundfunk zur Europawelle Saar. Kein Zufall, denn beide Sender hatten im Bereich der Unterhaltung gute Beziehungen. Das ging beim SR auf den Musik-Redakteur und Jazzexperten Richard Krüger und beim hr auf Hanns Verres (*6. 2. 1928; † 19. 6. 2003) zurück. Verres stieg in Frankfurt vom erfolgreichen Moderator bis zum Hauptabteilungsleiter Unterhaltung auf. Krüger und Verres kannten sich wohl schon aus der Jazzszene in Frankfurt und Berlin.
So arbeitete denn Verres bereits ab Mitte der 1950er Jahre auch für den SR. Offenbar hatte es ihm da so gut gefallen, dass er dann jüngeren Mitarbeitern eine Empfehlung oder zumindest seinen Segen für ihre Arbeit als Gastmoderatoren auf der Europawelle mit auf den Weg nach Saarbrücken gab. Auch bei Thomas Koschwitz:
Von Thomas Koschwitz
Es war 1976, als ich meinen Zivildienst an einer Schule für praktisch Bildbare in Marburg abgeschlossen hatte. Jetzt wollte ich in Marburg studieren. Während der Zivi-Zeit hatte mich der Hessische Rundfunk (hr) netterweise immer am Wochenende mit Nachrichtensprecher-Schichten versorgt. Zusätzlich bot er mir nun immer mittwochs eine Popsendung auf hr3 an: „Pop auf Wunsch“. Mit den Nachrichtenschichten und „Pop auf Wunsch“ wäre ich eigentlich finanziell sehr gut über die Runden gekommen. Da rief ein junger Musik-Redakteur vom Saarländischen Rundfunk an: Rainer Cabanis. Ob ich Lust hätte, die Jugend-Sendung „Drugstore 1421“ zu moderieren. Klar hatte ich Lust. Gut, Marburg und Saarbrücken, das war schon eine große Entfernung. Aber ich fuhr zu dieser Zeit gerne Auto und pendelte ja auch von Marburg nach Frankfurt zum hr. Also nahm ich auch die Fahrerei nach Saarbrücken gerne auf mich. Zumal die Autozeit auch Radiozeit war. Nirgendwo hab ich mehr gelernt, als im Auto beim Hören der anderen.
Beim Europawellen-Musikchef Dr. Reimund Hess (* 1935), der auch vom Hessischen Rundfunk zum SR gekommen war, klang dann das Angebot ein bisschen anders. Mit einer relativ schlecht bezahlten Sendung könne er mich ja nicht zum SR locken. Also wurde ein Paket geschnürt: Montagabend Musikbetreuung von „Kultur aktuell”, Dienstag eine Mittagssendung mit eigener Musikauswahl, Mittwoch die Frühsendung ab 7 Uhr (entweder für Martin Arnhold oder für Jan Hofer, die sich abwechselten) und ein paar Stunden später nochmal eine Mittagssendung, danach wieder zum hr oder nach Marburg. Ein strammes Programm für einen Studenten … Ich hatte mir inzwischen zwei sehr nette Kommilitoninnen „angelacht“, die sehr fleißig, aber schüchtern waren. Wir hatten folgenden Deal: Sie schrieben die Hausarbeiten usw. Ich hielt die mündlichen Vorträge im Seminar. Wir schnitten gut ab …
In einer der Mittagssendungen hatte Kalle Wagner Dienst in der Technik. Hier wurde ich mit einem Ritual vertraut gemacht, von dem mir später auch Werner Reinke berichtete. Die Mutprobe. Du legst einen langen Titel auf. Flitzt in die Kantine, holst für alle Bier und bist rechtzeitig wieder da, um die nächste Moderation zu machen. Nachdem mir das gelang, war ich Teil des Teams.
Nicht lange und die Fahrerei wurde mir doch zu viel. Cabanis und Hess gingen zum SWR (damals noch SWF), und die neuen Chefs gaben mir einmal im Monat die Nachtsendung und eine Mittwochabend-Sendung, in der ich musikalisch treiben durfte, was ich wollte. Schön zudem, dass ich diese Sendungen in Frankfurt vorproduzieren durfte. So kam ich einmal im Monat nachts in den SR, brachte frische Bänder mit und löste den großen Manfred Sexauer ab. Manfred kannte ich bereits, denn zusammen mit ihm und Werner Klein (dem hr3-Chef), moderierte ich auch beim hr ab und zu Sendungen.
Manfred war eine Ikone für mich. Meine Mutter hatte keinen Fernseher und so hörten wir gemeinsam immer freitags die großartige hr1-Sendung „Funk für Fans“, die Manfred moderierte. Mir wird dieser spezielle Sexauer-Sound nie aus dem Kopf gehen. Ich kam also nachts an, meist so gegen 2 Uhr und erlebte das Nachtritual von Manfred: Irish Coffee, zubereitet in der kleinen Küche neben dem Sendestudio. Ein großer, aber gefährlicher Genuss. Natürlich wollten alle, dass ich einen ordentlichen Schluck nehme, aber mit besoffenem Kopp, dazu noch müde von der Fahrt und häufig noch nach einer Sendung bei hr3 davor (von 19 bis 22 Uhr), wäre das nicht gut gegangen.
Ich erinnere mich vor allem an die Sommermonate, wenn es schon wieder hell war morgens, kurz nach sechs Uhr. Da stand ich dann vor dem Funkhaus, oben auf dem Halberg und war mit dem Arbeitspensum und damit auch mit mir ganz zufrieden. Ich kann von Glück sagen, dass ich bei den Rückfahrten nach Marburg während der Fahrt nicht eingeschlafen bin.
Eines Tages rief mich der Unterhaltungschef der Europawelle, Hermann Stümpert, an und „entband“ mich von der Sendung. Man müsse solch einen Sendeplatz doch für SR-Mitarbeiter anbieten können. Ich sei ja eigentlich viel zu weit weg. Ich war traurig, anderseits hatte ich beim hr inzwischen genug zu tun. Mein Ausflug zum Saarländischen Rundfunk war den leitenden Herren beim Frankfurter Sender nicht entgangen. Zumal mein Chef – Hanns Verres – ja selbst jahrelang dort gearbeitet hatte.
Mit Rainer Cabanis (* 24. 4. 1946; † 22. 6. 2009) verband mich immer eine lose Freundschaft. Auch wenn er manchmal „merkwürdig“ war. Ich mochte ihn sehr. Als er Radio Hamburg gründete, durfte ich dabei sein. Als er das private „Klassik Radio“ in Hamburg neu aufsetzen sollte, war ich wieder mit dabei. Wir hatten einige Berührungspunkte, aber wie es in unserer Branche so ist, man sieht sich bei dem Branchentreffen „Radiodays“, aber sonst viel zu selten. Als er den Job als Programmchef bei Radio FFN verlor und er privat auch einige Änderungen vorgenommen hatte, trafen wir uns nochmal. Als dann – ich hatte lange nichts mehr von ihm gehört – die Meldung kam, er habe sich umgebracht, war ich sehr bestürzt. Einmal mehr wurde mir klar: Man steckt in den Menschen nicht drin. Ich hatte ihn immer als Motor wahrgenommen und war traurig, dass er offenbar mit der Stille nach seinen Direktoren-Jobs, nicht zurechtkam.
Der SR blieb lange ein Anlaufpunkt für mich, auch wenn ich inzwischen da nicht mehr moderierte, denn ehemalige hr-Leute wie Dieter Exter, Wilfried Eckel und Wolfgang Hellmann moderierten ja lange für die Europawelle. Auch Ilona Christen, die ich dann beim Fernsehen kennenlernte, schwärmte ebenfalls von „diesen Zeiten“ im Radio bei der Europawelle Saar. Mit Jan Hofer verbindet mich bis heute eine gute Freundschaft, obwohl unser Anfang schwierig war. Ich vertrat ihn ja ab und zu in der Morgensendung. Eines Tages sprach ihn sein Nachbar an: „Heute morgen waren Sie ja richtig witzig“. Jan freute sich, bis ihm klar wurde, dass sein Nachbar mich gehört hatte …
Thomas Koschwitz (* 6. 4. 1956) begann seine Radio-Laufbahn im Piratensender seines Internats in Marburg, nahm an einem Casting des hr teil und wurde mit 19 dort der jüngste Nachrichtensprecher. Nach seiner Tätigkeit in Saarbrücken bekam Koschwitz dann beim hr auch in der Unterhaltung immer mehr Sendungen und wurde zu einem der beliebtesten Moderatoren des hr. Ab 1985 begann er seine Tätigkeit aufs Fernsehen zu verlagern, zuerst beim hr und dann mit eigenen Shows bei verschiedenen Privatsendern wie z. B. SAT.1, RTL und N 24. Ab 2004 wandte sich Koschwitz wieder überwiegend seiner alten Liebe Radio zu und moderierte rund 20 Jahre lang in Berlin und von Berlin aus für diverse Privatsender wie z. B. beim Berliner Rundfunk, dem Spreeradio und dem Berliner Marktführer 104.6 RTL. Seit 2018 ist er wieder zuhause – in Frankfurt und auch bei seinem Heimatsender hr. Als Morningman weckt er Tag für Tag in „Koschwitz am Morgen“ auf hr1 die Hörer im Hessenland.
Nach dem Programmstart der neuen Europawelle 1964 waren die ersten Moderatorinnen und Moderatoren „Eigengewächse“ des Saarländischen Rundfunks. Sie hatten auch schon vorher Musik angesagt. Klar war aber, dass ein neues Programm auch neue Stimmen brauchte. Einige kamen aus anderen Bereichen des SR – wie z. B. Wolfgang Gretscher und aus dem SR-Hörspiel der Theaterschauspieler Martin Arnhold. Andere arbeiteten vorher bei verschiedenen ARD-Sendern wie z. B. auch Manfred Sexauer beim SDR. Vom deutschen RTL-Programm, der Luxemburger SR-Hörfunkkonkurrenz, wechselten in der ersten Zeit Dieter Thomas Heck, Alf Wolf und Enno Spielhagen zur Europawelle. Gut zehn Jahre später folgte ihnen mit Aline Pütz (*12. 9. 1949) eine Luxemburgerin an die Saar, die viele gute Erinnerungen an ihre Zeit beim SR hat:
Von Aline Pütz
„Es gibt keine Zufälle, sagt man. Und es war sicherlich auch kein Zufall damals, im Jahre 1980. Die prominente Moderatorin Ilona Christen-Kleitz lief mir über den Weg – und das in Griechenland. Ich lebte und arbeitete dort für die Luxemburger Fluggesellschaft, weil ich beschlossen hatte, mir den Traum zu erfüllen, in einem Land zu leben, in dem immer die Sonne scheint und ich mit den Füßen im Meer stehen kann.
Sozusagen eine Auszeit nach fast 11 Jahren beim Luxemburger Programm von RTL. Je mehr Ilona mir von ihrer Rundfunkarbeit in Saarbrücken erzählte, desto größer wurde meine Sehnsucht, auch wieder in der Radio-Familie mitmachen zu können. Und entsprechend freute ich mich dann, als Ilona mir bald darauf mitteilte: „Hermann Stümpert, der Musikchef der Europawelle, bittet dich, für ein Vorstellungsgespräch vorbeizukommen.“
Zwei Stunden saß ich in seinem Büro. Wir redeten über Gott und die Welt, wobei ich überhaupt nicht bemerkte, dass Hermann gerade einen Test mit mir machte. Später sagte er mir mal, das Wichtigste, was ihn bei einem Vorstellungsgespräch interessiere, sei die Allgemeinbildung.
Und so kam es, dass ich bei dem Sender „arbeiten“ durfte, der mich schon während meiner Kindheit jeden Morgen begleitet hatte: das tägliche Rezept von Hildegard Puth 5 vor 8, das meine Mutter absolut nicht verpassen wollte und die Nachrichten – besonders mit einer Stimme, die sich bei mir eingeprägt hatte. Und zwar so sehr, dass ich sie viele Jahre später noch im Ohr hatte. Da saß ich vor meiner Sendung in Saarbrücken schon im Studio, als ich sie plötzlich wiederhörte. Direkt aus dem Nachrichtensprecherstudio hinter mir. Den Sprecher kannte ich noch nicht … bis er angefangen hatte, die Nachrichten zu sprechen: Diese Stimme, ja die war mir sehr vertraut. Gleich am Ende der Nachrichten habe ich ihm (wohl Günter Stutz) gesagt: Wie schön, Sie wieder zu hören!
Ich kann sie nicht einzeln aufzählen all die Kolleginnen und Kollegen beim SR. Aber sie waren alle wunderbar! Zu meinen Freunden gehörte auch unsere Putzfrau. Denn jeden Morgen, wenn ich in die Frühsendung kam, stand Kaffee auf meinem Schreibtisch, und frische Blumen aus ihrem Garten dazu. Herrlich!
Am Anfang wurde ich hauptsächlich für die Frühsendung eingeteilt von 6 bis 7 Uhr, danach kam Jan Hofer ins Studio. Mit ihm habe ich dann immer noch eine Zeit lang geklönt.
Meine Lieblings-Sendung war der Nacht-Club von 22 bis 1 Uhr. Unglaublich, wie viele Kontakte mit den Hörern in dieser Sendung geknüpft wurden! Die Nachthörer waren ohne Zweifel die aufmerksamsten. Ich begleitete sie beim Autofahren auf langen Strecken, beim Bügeln, auf der Nachtschicht, und sogar auf Bohrinseln hörte man die Europawelle. Die leistungsstarke Mittelwelle machte es möglich – damals. Die lustige „Carmen“ aus Ludwigshafen rief jeden Abend aus einer „Kneipe“ an und grüßte all ihre Freunde und Freundinnen mit ihrer herrlich tiefen Stimme.
Zu meinen größten Anhängern zählten die Jungs im Gefängnis. Ich nehme an, dass ich sie in ihrer Einsamkeit in der Zelle begleitete. Manche unter ihnen litten sicher sehr darunter. Immer wieder schickten sie mir Briefe oder kleine Geschenke. All diese Briefe habe ich aufgehoben. Ebenso bewahrt habe ich eine riesige selbstgezeichnete Karikatur aus dem Gefängnis, über die ich heute noch lachen muss.
Gefreut habe ich mich sehr, als Kollege Klaus Groth – Liebling der Hausfrauen im Saarland – mich bat, samstagvormittags in den „Bunten Funkminuten“ (auf SR 3 Saarlandwelle) etwas über Luxemburg zu erzählen, über unsere Kultur, Traditionen usw. Zusammen mit ihm, der Senderegie und der Technik erlebte ich einen der größten Lachanfälle im Rundfunk. Ich wusste wohl nicht, was ich tat, als ich Klaus von unserem Ostermontag-Markt in der Stadt Luxemburg so erzählte: „Wir nennen ihn Emaischen. Es ist eine sehr alte Tradition. Auf diesem Markt kann man einen Péckvillchen kaufen.“ Klaus: „Was ist das, ein Péckvillchen?“ Meine Erklärung: „Das ist ein Vögelein, in das man hinten rein bläst und das dann vorne pfeift“. Klaus: „Wie bitte?!“ Woraufhin ich es nochmals erklärte … Da lag Klaus‘ Kopf bereits auf dem Studiotisch und auch in der Regie und Technik sah ich alle nur noch lachen. Auch bei Klaus liefen vor lauter Lachen die Tränen. „Musik bitte“ war das einzige, was er gerade noch rauskriegte.
In der Senderegie der „Bunten Funkminuten“ saß öfter der Redakteur Friedrich Hatzenbühler. Später moderierte er die Sendung als Nachfolger von Klaus Groth. Er testete mit mir gern die Witze, die er seinen Hörerinnen und Hörern erzählen wollte. Wenn ich lachte, waren sie „sendungstauglich“, wenn nicht, probierte er es mit einem anderen. Auf diese Weise habe ich viele neue Witze gehört …
Viele unserer Hörer fragten mich am Telefon, ob ich aus der Schweiz käme, mein französisch angehauchter Akzent würde so klingen. Dabei stamme ich direkt aus „Saar-Lor-Lux“.
Einmal kam ich ins Funkhaus und alle sahen mich irgendwie komisch an, so voller Mitleid. „Sei bitte nicht böse“, bat man mich. „Es war nicht so gemeint von der Kollegin. Vergiss es.“
Alle wussten, wovon sie redeten, nur ich nicht. Ich hatte an dem Tag unseren Sender nicht eingeschaltet. Eine Kollegin hatte die Hörer gefragt, wie sie die Moderatoren einschätzen. Bei manchen Themen sind Live-Sendungen sehr gefährlich, und so kam es, dass eine Reihe von Hörern über mich herfiel. Die Anrufer meinten, ich würde zu viel lachen auf der Antenne.
Und jetzt glaubten alle Kollegen, dass ich wütend oder traurig wäre. Aber, nein! Denn ich habe nie vergessen, was mein Vater mir gesagt hat, als ich beim Rundfunk anfing: „Jetzt musst du es lernen, mit der Kritik zu leben. Und jede Kritik musst du ernst nehmen, ob sie positiv oder negativ ist. Du musst herausfinden, ob die Kritik fundiert ist und ob du etwas ändern musst.“ Ob ich danach weniger gelacht habe, weiß ich nicht mehr, ich glaube aber nicht. Und wütend war ich schon gar nicht.
Sicher nicht wütend, aber ein bisschen enttäuscht war Manfred Sexauer, als er eines Morgens ins Studio kam und fragte: „Du, wie war ich gestern Abend im Musik-Laden?“ Meine Antwort: „Sorry, ich bin nach 10 Minuten eingeschlafen“. Der arme Manfred … etwas Schlimmeres kann man einem Moderator auf diese Frage nicht antworten. Ehrlichkeit ist eben manchmal falsch am Platz. Ich glaube, ich habe mich tausendmal bei Manfred entschuldigt … Wir blieben gute Freunde und seine Sendung war weiterhin ein großer Erfolg im deutschen Fernsehen.
Mit Volkmar Lodholz habe ich am meisten gelacht. Er hat(te) diesen nordischen trocknen Humor. Mit ihm zusammen moderierte ich im „Journal am Morgen“ ein sehr erfolgreiches Quiz des späteren SR-Chefredakteurs Axel Buchholz: „Die silberne Schlagzeile“. Es wurde vormittags live aus Schulen gesendet. Pro Sendung traten Zwei gegeneinander an. Die Schülerinnen und Schüler aus jeweils einer Klasse sollten zeigen, wie fit sie im politischen Zeitgeschehen waren. Dazu mussten sie erklären, worum es in tagesaktuellen Schlagzeilen der Saarbrücker Zeitung ging. Bertram von Hobe, damals Chef vom Dienst der Saarbrücker Zeitung, kann sich noch gut daran erinnern, dass er öfter mal als „Schiedsrichter“ dabei war und außerdem die Erklärungen zu den Schlagzeilen lieferte.
Immer wieder bewarben sich auch Schulen aus anderen Bundesländern um die Teilnahme. Die Europawelle war ja einer der erfolgreichsten Sender in Deutschland. Einer anderen deutsche Rundfunkanstalt hat das offenbar nicht so gut gefallen. Sie beklagte sich beim SR, weil wir ihr angeblich die Hörer wegschnappen würden. Da hat man uns wohl doch überschätzt, aber gut kam diese Kombination von Quiz und tagesaktueller politischer Bildung ganz sicher an. Und zum Zeitunglesen motiviert hat es die jungen Leute auch.
Meine letzte Sendung beim SR lief abends. Das Telefon klingelte, am anderen Ende unser lieber Kollege Dieter Thomas Heck. Er war extra von der Autobahn abgefahren, um mir alles Gute für die Zukunft zu wünschen. „Ich weiß, welches Gefühl es ist“, sagte er, „wenn man die letzte Sendung macht. Das ist schon traurig“. Eine wunderbare Geste vom Dieter!
Ja, traurig war ich schon, aber ich wollte es so, denn ich war frisch verliebt … Die Stadt Saarbrücken, den SR und die freundlichen Saarländer mit ihrer manchmal witzigen Mundart – ich habe sie heute noch in guter Erinnerung. Und ich denke gerne an diese schöne Zeit zurück. Es war auch eine sichere, denn die Saarbrücker Polizei (ich wohnte genau gegenüber) passte immer gut auf, wenn ich spät nachts nach der letzten Sendung nach Hause kam. Und nicht so selten luden mich „die hübschen Jungs“ dann noch zu einem Gute-Nacht-Plausch ein. Diese Verehrer kannte ich. Einen anderen bis heute leider nicht. Von ihm empfing mich ein, zwei Wochen lang jeden Morgen zur Frühsendung beim SR ein Strauß roter Rosen.
Aline Pütz ist seit 20 Jahren Mitglied im Gemeinderat ihrer Heimatkommune Schengen, sechs Jahre davon als beigeordnete Bürgermeisterin (puetza@pt.lu). Ehrenamtlich kümmert sie sich zudem in der „Fondation Kräizbierg“ um Arbeitsplätze für körperlich und geistig behinderte Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer.
* Der Film „Die alte Liebe oder warum Herr Reinke zum Radio ging“ startete im Sommer 2021 in regionalen Programmkinos in Hessen. Weitere Vorführungen mussten wegen der Corona-Pandemie abgesagt werden. Sobald sich die Situation wieder entspannt, wird er deutschlandweit in anderen ausgewählten Programmkinos gezeigt.
Redaktion für den Arbeitskreis SR-Geschichte: Axel Buchholz (ab); Mitarbeit: Eva Röder (Gestaltung/Layout), Burkhard Döring und Magdalena Hell (Fotos)