Von den „Machern am Mikrofon“ lebt das Radio vor allem. Wenn die dann auch noch die Lieblingsmusik ihrer Hörer präsentieren, werden sie oft selbst zu „Stars“. Die Europawelle des Saarländischen Rundfunks hatte einige solcher „Radio-Stars“. Zuerst waren es Dieter „Thomas“ Heck und Manfred Sexauer, später folgte neben vielen anderen auch Wolfgang Hellmann. Eine Fanseite im Internet trägt dazu bei, dass er nach wie vor unvergessen ist. Die Radio-DJs faszinierten besonders ihre jungen Hörer. Einen so sehr, dass er heute selbst Musik-Moderator von SR 3 Saarlandwelle ist: Christian Job.
Von Christian Job
Wer sich Anfang der 80er Jahre für die Pop-Musik begeisterte, der war gleichzeitig auch ein Radio-Fan. TV-Sendungen mit Pop-Musik gab’s noch kaum und richtig aktuelle Musik lief eh nur auf UKW. Da kamen abends brandneue Songs, die wirklich erst nachmittags ausgepackt wurden und „noch warm“ waren. Ich saß – wie viele andere auch – mit dem Kassettenrekorder pünktlich am Radio. Zwei Chinch-Kabel zum Empfänger und immer genügend Leerkassetten im Vorrat, den DIN-A-4-Block zum Mitschreiben parat. So wurde mir nie langweilig.
Die Sendung auf der Europawelle Saar hieß „Kraftpaket“. Sie lief vom 28. Januar 1984 (zum Start an einem Samstag) bis zum 31. Dezember 1991 immer von Montag bis Freitag ab 18.10 Uhr. Das „Kraftpaket“ bestand aus zwei Teilen, z. B. dem „Hit-Container“ oder den „Top 75“. Moderiert wurde die Sendung außer von Wolfgang Hellmann auch von Wilfried Eckel, Volkmar Lodholz und anderen moderiert. Die „Top 75“ kamen in den 1980ern immer mittwochs ab 19.05 Uhr im Europawellen-Programm.
Vor allem die „Top 75“ im „Kraftpaket“ waren die Welt von Wolfgang Hellmann: einem Hessen und ehemaligem Postmitarbeiter, der seine Liebe zur Musik zu seinem Beruf gemacht hatte – erst beim HR und bei Radio Luxemburg, ab 1976 als freier Mitarbeiter dann beim SR in Saarbrücken. Das „Kraftpaket“ war kein Dampfradio hatte aber reichlich Feuer.
Hellmann war ein cooler Typ mit betont sachlicher Sprechhaltung. Und wenn er seine Späße machte, dann nicht überdreht und radio-formatiert wie in späteren Jahrzehnten, wo man plötzlich meinte, der Radiomann hätte dauerhaft zwei Finger in der Steckdose. Der furztrockene Herr mit seinen wohl akzentuierten Sätzen machte allerdings mehr Laune, als alle hektischen Comediens der Neuzeit zusammen.
Unzählige Kassetten mit Neueinsteigern habe ich zwischen meinem 13. und 17. Lebensjahr von seiner „Top 75“ aufgenommen, dieser ersten „amtlichen“ Hitparade im Radio. Hellmann hatte nämlich einen Exklusivvertrag mit „media control“ in Baden-Baden, die zum ersten Mal eine errechnete Hitparade anhand von Verkaufszahlen erstellte. Deren wöchentliches Ranking präsentierte er im Radio.
Neue Musik zu hören, war das eine, was mich begeisterte. Meine zweite Leidenschaft hatte Hellmann mit seiner Sammlung an Instrumental-Titeln geweckt. Die Musiken, über die er moderierte (Musik-Betten), waren alle erlesen und handverlesen, so nur bei ihm zu hören und oftmals allein in den USA erhältlich.
Da gab es die „Incredible Bongo Band“, deren Musiker mit treibenden Grooves auf die Naturfelle hämmerten. Der „Bongo-Rock“ oder „Bongolia“ hatten nie eine Hitparade erreicht. Aber als Unterlegmusik für eine Chartsendung brachten sie „drive“ und Schwung, so dass alleine das Hören dieser Titel schon ein Highlight sein konnte. Ich sammelte per „Recordtaste“ Takt für Takt und hoffte immer, dass am Ende der Sendung noch Zeit übrig sein würde, um einmal eine ganze Minute davon hören und aufzeichnen zu können. Heute finden sich im Internet zahlreiche Hörproben von Hellmann-Jingles und Moderationen.
Wenn ein Song gut gesungen war, wurde er nicht selten von Wolfgang Hellmann „verinstrumentalt“. Aus „Our Song“ von „Yes“ hat er die wohl beste Erkennungsmelodie aller Zeiten geschnitten. „Mr. Jingle“ spielte perfekt mit seinen Musiken, nutze an genau der richtigen Stelle eine Pause für seine Moderation. In Hellmann-Sendungen waren Worte und Musik taktgenau abgestimmt. So wollte ich später auch einmal Radio machen.
Zurückgenommen und meist kurz angebunden, wie er sich im Radio anhörte, war Hellmann auch im wahren Leben. Mit 16 lief ich ihm bei einem Studiobesuch als nervender Fan zum ersten Mal über den Weg. Seine von mir mitgebrachte und noch unbeschriebene Autogrammkarte signierte er ohne große Worte und blieb so cool wie ich ihn aus den Lautsprechern kannte. „Whow“, das war WOLFGANG HELLMANN.
Jahre später arbeitete ich als Reporter und redaktionelle Hilfskraft im Zentrum meiner frühen Radio-Erinnerungen – beim Saarländischen Rundfunk. Hellmann war inzwischen (ab 1. April 1986) als 1. Programmgestalter fest angestellt worden und avancierte im Januar 1992 dann zum Musikchef der Europawelle. Gleichzeitig war er das Hit-Lexikon, das unerschöpfliche Archiv und der stille Arbeiter am Sound seiner Radiowelle. Doch die Zeiten hatten sich unversehens geändert. Handgemachte Musikprogramme waren immer weniger gefragt. Der „richtige Mix“ musste gefunden werden. Die Rotation der besten Hits sollte den Sendern ein unverwechselbares Profil geben. Also nur die bei den Hörern erfolgreichsten Titel sollten im Programm laufen. Auch die Europawelle reduzierte ihr musikalisches Angebot, wenngleich immer noch knapp unter 1000 Hits gespielt wurden.
Welche Titel sich in dieser „Rotation“ abwechselten, entschied die Musikredaktion. Sie legte auch fest, wie häufig die einzelnen Titel gespielt werden sollten. Nach diesen redaktionellen Vorgaben übernahm dann (ab Januar 1992) eine Musiksoftware automatisch die Zusammenstellung der Titel für die einzelnen Sendestunden. Anfangs war dieses „Computerintegrierte Musikplanungssystem“ (CIM) eine Eigenentwicklung des SR. Für ihre Weiterentwicklung bekam Wolfgang Hellmann dann im Oktober desselben Jahres mit Jürgen Bohr einen weiteren gleichberechtigten Musikchef dazu. Von einigen Spezialsendungen abgesehen, war dadurch die große Zeit der DJs vorbei, in der sie für Ihre Sendungen auch selbst die Musik auswählen konnten. Hellmanns Musikwissen und seine umfangreichen Repertoirekenntnissen waren damit nur noch zu 10 Prozent gefragt. Er nahm es gelassen, wie es seine Art war.
Wolfgang, so cool und zurückhaltend wie er war, legte auf Hierarchie und Titel nur Wert, wenn es um Musiktitel ging. Es machte mich unglaublich stolz, meinen Radio-Helden von einst duzen zu dürfen. Gern besuchte ich ihn in seinem sein Büro auf ein Fachgespräch.
Hellmann hatte genau genommen zwei ganz große Leidenschaften: Rock’n’Roll (speziell Elvis Presley) und Komödianten. Seine Sammlung an Laurel-und-Hardy-Filmen erschien mir komplett. Jerry Lewis kannte er in- und auswendig, und er war in nahezu allen Loriot-Sketchen äußerst textsicher.
Letzteres rettete ihn auf extrem lustige und gleichzeitig bierernste Weise in einem von der Redaktion verpatzten Interview. Es ging um eine Sprengung an der Mosel. Ein Felsvorsprung sollte kontrolliert per Dynamit zum Absturz gebracht werden. Ein Sprengmeister sollte im Telefoninterview über die Schwierigkeiten einer solchen Aktion informieren. Keiner wusste hinterher wieso, aber es stellte sich erst live im Radio heraus, dass der vermeintliche Sprengmeister ein einfacher Feuerwehrmann ohne Sachkenntnis war. Hellmann aber brillierte als Moderator wie einst Vico von Bülow im Gespräch mit dem Astronauten, der nur ein einfacher Büroangestellter war.
Hellmann: „Sie sind der Sprengmeister vor Ort …“
Feuerwehrmann: „Nein.“
Hellmann: „Nicht!“
„Nein, ich bin von der Feuerwehr.“
„Ah ja! Dann haben Sie mit der Sprengung des Felsvorsprungs nichts zu tun?“
„Nein.“
„Nicht, ah ja! Und welches Dynamit da verwendet wird …“
„… kann ich nicht sagen.“
„nein, gut! …“
So ging es weiter und wurde zu einer Sternstunde des Radios. Leider ist sie als Tondokument nicht erhalten.
Von Wolfgang Hellmanns Kochkünsten konnte man nur schwärmen. Wie seine Instrumentals selbst geschnitten waren, so war sein Sauerbraten selbst eingelegt. Eine Essenseinladung bei ihm zu Hause nahm ich mit Stolz an. So genoss ich eines Abends nicht nur, was er auf den Tisch gebracht hatte, sondern erlebte auch Hellmanns Sammlerglück in Sachen King of Rock’n’Roll. Überfüllte Musikregale hatte ich schon einige gesehen, aber noch nie ganze Meter, die nur mit Elvis Presley-Platten gefüllt waren.
Irgendwann kramte Hellmann in einer besonderen Schatzkiste: Ein Polaroid kam zum Vorschein, unscharf und verwackelt. Mit etwas Phantasie konnte man einen Menschenkopf erkennen, mit viel Doppelkinn, die Augen geschlossen.
„Wer oder was ist das, Wolfgang?“
„Das ist der tote Elvis!“
„Komm Quatsch, Polaroids kann man nicht nachmachen. Wie soll das sein?“
„Das auf dem Bild ist Elvis Presley!“
Die Geschichte dazu folgte: Ein Mitarbeiter des Elvis-Museums Graceland, der den ‚King of Rock’n’Roll’ an diesem unvergessenen 16. August 1977 leblos im Bad gefunden habe, habe umgehend und bevor jemand anderes vor Ort gewesen sei, eine Kassette Sofortbilder von seinem toten Chef geschossen. Nicht alle hätten brauchbare Fotos ergeben und keines davon sei je an die Öffentlichkeit gelangt. Jahre später hatte Hellmann Graceland besucht, wie viele andere Touristen auch. Er sei mit dem Fotografen von damals ins Gespräch gekommen, und dieser habe ihm irgendwann eines der Polaroids überlassen.
Diese Geschichte war aberwitzig und hanebüchen. Andererseits gab es keinen besseren Elvis-Experten als Wolfgang Hellmann in Deutschland, wenn nicht in Europa. Und der beschrieb die Herkunft dieses unscharfen Fotos ebenso glaubwürdig wie nüchtern. Hellmanns Schilderungen jedenfalls waren für mich einer dieser unvergesslichen Momente als Musikfan.
Durch Elvis war Wolfgang Hellmann zum Radio gekommen. Beim HR gewann der Postbeamte Hellman ein Elvis-Quiz, wurde zu Musik-Moderator Achim Graul, der später zu Radio Luxemburg wechselte, ins Studio eingeladen – und fürs Mikrofon „entdeckt“.
SR-Kollege und Radio-Legende Manfred Sexauer über Wolfgang Hellmann:
„Alle Verleihungen der „Goldenen Europa“, die ich moderierte, entstanden in Zusammenarbeit mit Wolfgang Hellmann. Die Geburtstagsparty „Happy Birthday Europawelle“ zum 25-jährigen Jubiläum, war unser „Baby“. Am schönsten aber waren die Abende vor Wolfgangs überdimensionalem Fernseher, besonders die, an denen es vorher seine „eingelegten Heringe“ gab. Nie mehr habe ich bessere gegessen.“
Ich war dann über viele Jahre Wolfgang Hellmanns Ko-Moderator eines Comedy-Formats. Unsere „Wenn schon Radio, dann diese Show“ wurde am Samstagnachmittag auf der Europawelle gesendet. Wolfgangs Pointen waren exakt vorüberlegt, seine Zuspieler und Töne aufwendig produziert. Und am Mikrofon, da war sie wieder, diese unglaubliche Coolness. Bierernst machte er seine Späße. Wie Loriot ohne eine Miene zu verziehen das Wohnzimmer verwüstete oder wie Laurel und Hardy sich den Finger ins Auge piksten oder „Kniechen Näschen Öhrchen“ turnten, so agierte auch der Radiomann Hellmann.
Hellmann war bekennender Nicht-Sportler, rauchte viel und trank Unmengen Cola. Um seine Blutgefäße stand es nicht zum Besten. Er starb mit nur 52 Jahren und mit ihm ein Stück handgemachtes und spannendes Radio. Er wurde schlagartig, im doppelten Wortsinn, aus dem Leben gerissen. Freitags hatte er noch die Wochenend-Comedy-Show gewohnt akribisch vorbereitet. Tags darauf wurde es eine improvisierte Nachruf-Sendung für ihn, für ein Radio-Idol vieler Hörer.
Durch den bekannten HR-Musik-Moderator Werner Reinke ist einer der Hellmann-Radio-Sprüche überliefert:
„Die Zeit: Ein mal vier. Nee, Entschuldigung, das war die Filtertüte!”
Die Internet-Seite www.wolfgang-hellmann.de erinnert an ihn. Von einem Hellmann-Begeisterten ins Netz gestellt, finden immer mal wieder ehemalige Fans und alte Freunde dorthin. Auch die Fan-Seite zeigt, wie weit verbreitet Hellmanns „Kraftpaket“ in den 80ern gehört wurde. In der damaligen DDR sowieso, aber auch im Ruhrgebiet, zu einer Zeit, wo man schon längst auf satten UKW-Sound setzte. Doch das schien vielen egal gewesen zu sein. Sie wollten Hellmann hören, auch verrauscht oder via Mittelwelle.
Redaktion für den Arbeitskreis SR-Geschichte: Axel Buchholz (ab); Mitarbeit: Eva Röder (Gestaltung/Layout), Roland Schmitt (Fotos/Recherche), Jürgen Bohr, Paul Kromer, Michael Fürsattel, Sven Müller und Hans-Ulrich Wagner.
Vom Autor des Beitrags Christian Job ist das Buch „Ohne Dresscode – große Stars beim kleinen Sender“ erschienen. Job schreibt auch den Pop-Musik-Blog www.christian-job.de, in dem der - hier überarbeitete und ergänzte - Beitrag ursprünglich veröffentlicht wurde.