Saarbrücken lag im Oktober 1942 schon teilweise in Trümmern. An der Ostfront tobte die entscheidende Schlacht um Stalingrad. Da begann mitten im Zweiten Weltkrieg die 15-jährige Ilse Laudenklos (damals Schwickerath) beim Reichssender Saarbrücken ihre Ausbildung zur Tontechnikerin.
Von Axel Buchholz
Es war noch die Zeit der Wachsplatte. Zwar sah Ilse Laudenklos (*20.3.1927; †18.3.2016) damals auch schon ein Tonbandgerät. Aber sie kann sich nicht daran erinnern, dass es im Funkhaus an der Saar eingesetzt wurde. Das wird an noch mangelnder technischer Qualität gelegen haben. Die magnetisierbare Schicht wurde auf das Tonband noch aufgebracht und nicht, wie später, ins Trägermaterial eingearbeitet. „Dadurch gab es beim Aufnehmen und Abspielen einen Band-Abrieb, der den Tonkopf schnell verschmutzte“, erinnert sich Ilse Laudenklos.
Auf Tonband aufgenommene Sprache und Musik wurde zudem noch von einem störenden Brummton überlagert. Erst im Sommer 1941 war von der AEG in Berlin (im „UFA Palast am Zoo“) feierlich eine Technik vorgestellt worden, die eine einwandfreie Tonqualität ermöglichte. Mehr zufällig hatte Dr. Walter Weber im Laboratorium der Reichs-Rundfunk-Gesellschaft entdeckt, dass sich das Dauer-Brummen vermeiden ließ, wenn auf das Band vor der Aufnahme ein hochfrequenter Ton aufgespielt wurde. Die Auswirkungen des Krieges auf die Wirtschaft könnten aber verhindert haben, dass die dafür nötige neue Technik schnell zu allen Reichssendern gelangte.
Beim Reichssender Saarbrücken jedenfalls dienten im Oktober 1942 noch die allgemein üblichen Wachsplatten als Tonträger. Sie waren so groß wie eine Langspielplatte, etwa fünf Zentimeter dick, wogen ziemlich viel und zerbrachen leicht, wenn man unvorsichtig mit ihnen hantierte. „Das war ein großer Nachteil“, erzählt Ilse Laudenklos. Andrerseits hatten die Wachsplatten entscheidende Vorteile. Man konnte sie nach einer Aufnahme sofort wieder abspielen. Und sie ließen sich mehrfach neu bespielen. Dazu wurden vorher die Rillen der bespielten „Wachse“ mit einer Wachsabdrehmaschine abgefräst. Das besorgte der Techniker Ludwig Reb im Werkstattgebäude hinten im Hof des Funkhauses. Nachdem die Oberfläche vollkommen plan war, konnte darauf dann wieder Neues mit neuen Rillen ins Wachs geschnitten werden.
Bei der Aufnahme wurden die Töne zuerst in elektrische Signale umgewandelt und die dann wiederum in feinste Bewegungen eines Stichels umgesetzt. Diese schnitt er Rille für Rille in das Wachs der sich unter ihm drehenden Platte ein. Der Stichel sah wie eine schlanke, an der Vorderkante sehr scharfe Mini-Pflugschar aus. Über die geschwungenen kurzen Seitenflächen beförderte er die beim Schneiden anfallenden Wachs-Späne aus der gerade geschnittenen Rille nach außen weg. Ein kleiner „Besen“ aus feinsten Härchen sorgte dafür, dass sie dann dort nicht liegenblieben und Unebenheiten verursachten. Dieser Besen war hinter dem Stichel ebenfalls oberhalb der Platte angebracht.
Zuerst sah Ilse Laudenklos beim Wachsplattenschneiden nur staunend zu, dann half sie mit kleinen Handgriffen. Schließlich durfte sie es unter Aufsicht selbst machen: „Ich habe ganz schön geschwitzt dabei – vor Aufregung und weil ich mich so konzentrieren musste.“ Vor der eigentlichen Tonaufnahme wurden Leerrillen geschnitten (der Vorlauf), danach noch Auslaufrillen. Wachsspäne, die der Besen nicht erfasst hatte, musste sie schnell wegpinseln, denn durch sie verursachte Unebenheiten hätten die Tonqualität beeinträchtigt.
Auch von den Sprechern wurde hundertprozentige Konzentration erwartet, um Versprecher zu vermeiden. Bei einer Aufnahme auf die „Wachse" konnte nichts nachträglich herausgeschnitten werden. Dennoch wurde so gut wie nie eine Aufnahme abgebrochen und noch einmal neu angefangen.
Für das Abspielen der Wachsplatten hatte Telefunken einen besonderen Tonabnehmer entwickelt, der die Platten schonte. So leicht sich nämlich das Wachs als relativ weiches Material beim Aufnehmen schneiden ließ, so empfindlich war es dafür beim Abspielen. „Trotzdem hat man die Wachse aber Anfang der 40er Jahre schon einige wenige Male ohne allzu großen Qualitätsverlust abspielen können“, erinnert sich Ilse Laudenklos.
Zuerst gab es nur Geräte, die entweder aufnehmen oder abspielen konnten. Später wurden Maschinen entwickelt, die über beides verfügten: einen Stichel zum Aufnehmen und einen Tonarm zum Abspielen.
Da eine Platte nur etwa viereinhalb Minuten Abspielzeit hatte, wurden in einer Sendung häufig mehrere hintereinander abgespielt. Dabei mussten die Übergänge stimmen. Bei Wortaufnahmen ließ sich das relativ leicht machen, wenn man die Folgeplatte zum richtigen Zeitpunkt mit dem Vorlauf startete.
Viel schwieriger war das bei Musikaufnahmen, die überlappend aufgenommen wurden. Der Schluss der ersten war als Beginn der Folgeplatte noch einmal vorhanden. In dieser kurzen Spanne der Überlappung musste erreicht werden, dass die jeweilige Musikpassage vollkommen synchron auf beiden Plattenspielern lief. Die Tontechnikerin hörte deshalb mit dem Kopfhörer auf einem Ohr die erste Platte und auf dem anderen die zweite. Deren Geschwindigkeit regulierte sie dabei mit einem Drehregler, bis sie auf beiden Ohren exakt das gleiche hörte. War das geschafft, konnte von der alten auf die neue Platte gewechselt werden. Die Prozedur war alle vier Minuten zu wiederholen. Man konnte Ilse Laudenklos die Anspannung bei dieser Arbeit auch nach mehr als 50 Jahren noch anmerken: „Ohne viel Gefühl für die Musik und gute Nerven war das nicht hinzubringen.“
Als Ilse Laudenklos nach dem Krieg Ende 1946 beim neuen Sender „Radio Saarbrücken“ wieder anfing, war sie dieses Problem los. Es gab keine Wachsplatten mehr. Das Tonband hatte sie in der Zwischenzeit verdrängt. Als die Fernseh-Chefcutterin nach 50 Radio- und Fernsehjahren 1992 beim Saarländischen Rundfunk in Rente ging, war auch das Tonband schon fast auf dem Weg ins Radio-Museum. Etwa seit der Jahrhundertwende wurden die Töne nun digital in Servern bearbeitet und gespeichert.
Redaktion für den Arbeitskreis SR-Geschichte: Axel Buchholz (ab); Mitarbeit: Christine Gebel, Sven Müller, Eva Röder, Roland Schmitt, Klaus Peter Weber sowie vom Deutschen Rundfunk-Archiv Susanne Hennings, Andre Huthmann und Jörg Wyrschowy