Pierre Seguy mit Juliette Gréco (Foto: J.C. Schmidt)

Von der französischen Résistance zum deutschen Radio

SR-Chansonexperte Pierre Séguy

 

Die „Philatelistischen Neuigkeiten“ und „Chanson de Paris“ – mit diesen beiden Sendungen verbinden die Hörerinnen und Hörer des Saarländischen Rundfunks den Namen Pierre Séguy. Dafür schätzen sie den Chanson-Kenner weit über die Landesgrenzen hinaus. Aber je weiter der Zweite Weltkrieg zurückliegt, umso weniger seiner vielen Fans wissen noch etwas von Séguys ereignisreichem Lebensweg. Der führte ihn 1947 als französischen Besatzungsoffizier zum damaligen „Radio Saarbrücken“. Als Sendeleiter saß er da anfangs in Uniform hinter dem Schreibtisch – seinen deutschen Schäferhund an der Seite. Séguy war als österreichischer Jude über die französische Widerstandsbewegung „Résistance“ Soldat geworden. Kein Geheimnis, auch damals nicht. Einzelheiten aber kannten selbst langjährige deutsche Sender-Kollegen nicht. Auch nicht Friedrich Hatzenbühler – bis eine E-Mail aus Frankreich kam.

Von Friedrich Hatzenbühler

Ich ahnte nicht, wie interessant die Mail werden sollte, die im Herbst 2015 den Arbeitskreis SR-Geschichte aus Montpellier erreichte. Die französische Schriftstellerin Evelyne Brandts hatte im Internet mein Fundstück „Wie Radio Saarbrücken das Senden lernte“ gelesen. Darin findet sich auch etwas über Pierre Séguy. Nun wollte sie von mir mehr über ihn wissen. Sie übersetzte nämlich gerade die Memoiren eines Pierre Séguy aus dem Englischen ins Französische. – Hatte „unser“ SR-Séguy ein uns unbekanntes Buch geschrieben? Und wenn ja, warum in Englisch? Oder gab es noch einen Pierre Séguy?

SR-Journalist Pierre Séguy. (Foto: Standbild SR)
SR-Journalist Pierre Séguy.

Ja, es gab noch einen – der diesen Namen allerdings nur kurz trug: den Zwillingsbruder des SR-Séguys. Es war zwar 1992 in einer Briefmarkenzeitschrift zu lesen, aber ich fand nur einen früheren SR-Kollegen, der von diesem Bruder wusste: Ex-Unterhaltungschef Karl-Heinz Schmieding. Bei der Vorbereitung einer Chansonsendung hatte ihm sein freier Mitarbeiter Séguy 1990 sehr niedergeschlagen und traurig erzählt, dass sein Zwillingsbruder am 9. März 1990 an einem Herzinfarkt gestorben sei. Und gemeinerhand müsse man nun doch davon ausgehen, dass, wenn eines von eineiigen Zwillingsgeschwistern sterbe, das andere auch darauffolgen werde. Pierre Séguy starb erst 14 Jahre später, am 20. Dezember 2004. Von den aufgeschriebenen Lebenserinnerungen seines Zwillingsbruders (RÉSISTANCE – Memoirs of a French O. S. S. Operative 1939 – 1945) hatte Séguy 1990 nichts erzählt. Darauf basiert dieser Text in allem, was direkt die Lebensgeschichte der beiden Brüder während des Zweiten Weltkriegs in Frankreich betrifft.

Am 5. November 1921 werden Herbert Leo und Otto Robert Steinschneider als eineiige Zwillinge in Wien geboren. Aus Otto Robert wird der SR-Journalist Pierre Séguy, aus Herbert Leo ein Priester. Bis in ihre späteren Jahre sind sie physiognomisch nahezu nicht zu unterscheiden.
Die Eltern stammen aus jüdischen Familien über Generationen: Marguerite, geb. Basch und Heinrich Steinschneider haben bereits eine dramatische Familiengeschichte mit einer Internierung in einem russischen Lager hinter sich. Nach dem Nazi-Anschluss Österreichs an Deutschland flieht die Familie 1938 von Wien in die Tschechoslowakei, danach nach Ungarn, später über Italien nach Frankreich.
Das einzige Hab und Gut, das die beiden Brüder bei ihren verschiedenen Umzügen und Umquartierungen mit sich führen, ist die umfangreiche Briefmarkensammlung der Familie. In späteren Jahren sollte sie für Otto (den SR-Séguy) eine der beruflichen Aktivitäten werden.

Dr. Herbert Leo Steinschneider 1968. (Foto: SR)
Dr. Herbert Leo Steinschneider 1986 in den USA.

Lebensmittelpunkt der Familie werden in Frankreich die Städte Grenoble in den Alpen und Montpellier im Süden. Im September 1939 verpflichten sich die Zwillinge freiwillig „für die Zeit des Kriegs“ als „Soldaten-Studenten“. Neben dem Militärdienst studieren sie vor allem evangelische Theologie. Militärisch ausgebildet werden sie im Camp de Chambaran (Otto schreibt „Briefe aus Chambran“) in den Französischen Alpen nahe Grenoble. In bunten Fetzen als Uniform üben sie mit veralteten und kaum noch zu gebrauchenden Waffen aus dem ersten Weltkrieg. In Chevrières werden sie als Landwirtschafts- und Erntehelfer eingesetzt und transportieren den berühmten „Saint-Marcellin-Käse“ zum Markt ins Isère-Tal.
Durch den sogenannten „Frankreich-Feldzug“ der Deutschen Wehrmacht ab Mai 1940 ändert sich das alpine Idyll für die Zwillingsbrüder. Nach dem deutschen Sieg teilt das Waffenstillstandsabkommen vom 22. Juni Frankreich in drei Teile: den vom nationalsozialistischen Deutschen Reich besetzten im Westen und Norden, den unbesetzten im Südosten eine italienische Zone in den Westalpen.
Die beiden Brüder leben im unbesetzten Südosten jetzt unter der mit den Deutschen kollaborierenden von Marschall Pétain geführten „Vichy-Regierung“. Dort gab es eine „Armée de Vichy“, auch „Armée d’armistice“ genannt. Sie wurde nach der Landung der Alliierten in Nordafrika im November 1942 von Hitler aufgelöst. Die in Afrika stationierten Einheiten schlossen sich den Alliierten an.

Pierre Séguy am Mikro. (Foto: SR)
Zwillingsbruder Otto Robert, der spätere Pierre Séguy vom SR.

In Albi werden die Zwillinge „offensichtlich, weil wir einem Colonel intellektuell genug vorkamen“ (Herbert Steinschneider) zum bürokratischen und verwaltungstechnischen Stab abkommandiert. Dort erhalten sie eine Ausbildung, die später auch im Untergrund von Nutzen war. Mit Vorgesetzten-Hilfe schaffen die beiden den ersten Teil des „Baccalauréat“ (vergleichbar dem deutschen Abitur) in Grenoble im Lycée Champollion.

Herbert und Otto sind jetzt aktive Kirchenmitarbeiter. Sowohl im Studentenkreis, wie auch im Lyceum gelten die jetzt 21-Jährigen als Soldatenpfarrer, wiewohl sie noch keine formelle Weihebestätigung haben. In dieser Zeit in Grenoble sind beide auch begeisterte Bergsportler.

Mit dem zweiten Teil des „Baccalauréat“ im Juni 1942 müssen die Brüder ihre beruflichen Entscheidungen treffen: Otto (der SR-Séguy) spricht fließend Französisch und Deutsch. Er wählt – so sieht es der Bruder – die leichtere Lösung und  entscheidet sich für die germanistische wissenschaftliche Ausbildung. Bruder Herbert fühlt sich berufen, eine Ausbildung zum evangelischen Pfarrer  im Protestantischen Seminar in Montpellier zu beginnen. Das war an seinem 21. Geburtstag, dem 5. November 1942. Fünf Tage später bricht dann das zweite militärische Unwetter los: Als Antwort auf die Invasion der Alliierten in Nord-Afrika marschieren die Deutschen in Pétains Südfrankreich ein. Grenoble besetzen von da an die (mit Deutschland verbündeten) Italiener.

Herbert Steinschneider auf einem Berg. (Foto: Philip Steinschneider)
Den Bergsport liebten beide Brüder: hier Pastor Herbert Leo Steinschneider.

Herbert Steinschneider verschwindet nach dem Einmarsch der deutschen Truppen in Südfrankreich aus dem Protestantischen Seminar. Er wird, wie er schreibt, AWOL (Absence without leave = Fahnenflüchtiger). Er war ja gleichzeitig Soldat.
Ab diesem Zeitpunkt gibt es keinen „Herbert Steinschneider“ mehr, sondern nur noch einen „Pierre Séguy“. Diese erste falsche Identität datiert mit 11. November 1942. Ein Seminaristenfreund von Herbert, Georges Crespy, kennt einen sympathischen Angestellten der Präfektur des Départements Hérault in Montpellier. Dort wird nach damals bekannter französischer Art ein Personalausweis gefälscht. Mit einer Stempelmarke eines Tabakladens ließ sich über einen „Photomaton“ (so hieß die Herstellerfirma eines Fotoautomaten) ein Dokument „offizialisieren“. Georges Freund erledigt im Amt die nötigen Eintragungen – und „Pierre Séguy“ ist geboren.

Der Vorname war ein Lieblingsvorname der Mutter, die ihre beiden Zwillinge gern Peter und Paul genannt hätte, sich aber nicht gegen den Vater hatte durchsetzen können. Der bevorzugte für ihn „Herbert“ – aus Bewunderung für Herbert Hoover, der sich nach dem ersten Weltkrieg – noch vor seiner Zeit als amerikanischer Präsident – erfolgreich bei der Versorgung der europäischen Bevölkerung mit Lebensmitteln engagiert hatte.

Der Name Séguy wird einem Reklamekalender des „Dock-Séguy“ (so etwas wie ein Supermarkt) entnommen, der an der Wand der Präfektur in Montpellier hängt.

Als sein neuer Geburtsort wird Amiens eingetragen, denn eine offizielle Nachprüfung in Amiens wäre nach der Zerstörung der Stadt 1940 durch deutsche Panzertruppen unmöglich gewesen.

Der hilfreiche Freund Georges Crespy arbeitet für das „2ème Bureau“ – den Geheimdienst der französischen Armee. Er kann dem neuen „Pierre Séguy“ (und ehemaligen Herbert Steinschneider) leicht den Zugang zur Résistance (der französischen Widerstandsbewegung) vermitteln.

Zuvor muss allerdings der gerade erst angenommene Alias-Name „Pierre Séguy“ wieder verschwinden. Die deutschen Besatzer ziehen nämlich alle jungen französischen Männer ab Jahrgang 1921/22 zum Arbeitsdienst ein. Diese Gefahr besteht mit den neuen Papieren auch für Pierre alias Herbert, denn sein richtiges Geburtsjahr 1921 war beibehalten worden. Also muss ein zweiter falscher Name und ein neues Geburtsjahr her. Aus dem „Pierre Séguy“ wird ein „Maurice Séguy“ mit dem nun ungefährlichen Geburtsdatum 24. Juni 1924.

Bei der Produktion dieser neuen Personalpapiere stellt sich Pastor Henri Leenhardt, der Dekan des theologischen Seminars, als genialer Fälscher heraus. Leenhardt hatte einen Druckapparat erfunden, mit dem Personalausweise massenweise hergestellt werden konnten. Sein Schwager, Pastor Pierre Toureille in Lunel (nahe Montpellier), gehört der französich-tschechoslowakischen Widerstandsgruppe Rossi-Rybak an. Gleichzeitig ist er Direktor der „Aumônerie pour les étrangers protestants en France“ (Seelsorge für ausländische Protestanten in Frankreich).

Diese protestantisch-humanistische Organisation „Aumônerie“ steht unter dem Schutz der „Fédération protestante de France“ (Bund protestantischer Kirchen in Frankreich) des Pastors Marc Boegner, der sich äußerst engagiert und öffentlich für die in Südfrankreich internierten oder verfolgten Christen und Juden einsetzt.

In Südfrankreich unterstüzt die „Aumônerie“  internierte, in den Untergrund abgetauchte oder anders verfolgte Christen und vor allem auch die Juden und deren minderjährige Kinder. Je härter die Repressalien der deutschen Besatzer und des Vichy-Regimes gegen die Verfolgten werden, umso mehr geschieht dies auch als Untergrundarbeit. Direktor (Pastor) Pierre Toureille wird sechsmal von der Gestapo verhaftet und vernommen.

Pastor Steinschneider mit Philippe de Gaulle. (Foto: Philip Steinschneider)
Pastor Dr. Herbert Steinschneider 1976 in Washington mit Admiral Philippe De Gaulle, dem ältesten Sohn von Präsident Charles De Gaulle.

Während sich „Maurice“ in Montpellier dieser religiös motivierten Untergrundarbeit anschließt, lebt Bruder Otto (der SR-Séguy) weiterhin in Grenoble. Er ist nicht aus der Armee desertiert, sondern arbeitet  im Komplex der Deutschen Waffenstillstandskommission. Im „Hôtel  Lesdiguières“ betreibt er neben seiner Militärarbeit (wie Bruder Herbert es formuliert) einen schwungvollen Handel mit Briefmarken mit einem bedeutenden Mitglied der Waffenstillstandskommission.

Nach Angaben des Dokumentars Jacques Loiseau gab es in Grenoble nur eine Vertretung der im Juli 1940 eingerichteten französisch-italienischen Waffenstillstandskommission (kurz CFIA, Hauptsitz Turin). Sie habe sich auf regionaler Ebene vor allem mit den Themen Abrüstung/Kriegsmaterial und Rückführung von Soldaten befasst. Mitglieder seien außer Italienern und Franzosen (der Vichy-Regierung) auch vier Deutsche gewesen. Im “Hôtel Lesdiguières” habe die CFIA-Vertretung  wohl getagt. Zu dieser Kommission gebe es nur wenige Informationen.

Otto Steinschneider (der SR-Séguy) hatte seinen Bruder Herbert vorsichtshalber schon ein paarmal um eine neue Identität für den Fall gebeten, dass sich die politische Situation gefährlich entwickeln würde.
Im Herbst 1943 ist es soweit. Deutschlands Verbündeter Italien kapituliert . Am 8. September 1943 (Herbert schreibt „November 1943“) verkünden die Italiener den Waffenstillstand mit den Alliierten. Daraufhin löst die deutsche Wehrmacht  die italienische Armee als Besatzer in Südfrankreich ab. Nun sind die Deutschen alleinige Besatzungsmacht.

Die 25 Deutschen der Waffenstillstandskommission in Grenoble übernehmen (Herbert Steinschneider zufolge) die 800 Mann starke italienische Garnison in Grenoble. Ein Freund in der Deutschen Kommission warnt den gebürtigen Juden Otto vor der nahenden Gefahr.

Jetzt schickt Herbert (alias nun „Maurice Séguy“) Bruder Otto seinen ersten falschen Personalausweis mit dem Namen „Pierre Séguy“. Das Geburtsdatum ist inzwischen unleserlich gemacht. Das Foto machte kein Problem, denn die beiden Brüder sind nach wie vor absolut nicht von einander zu unterscheiden. Es muss also kein neues Passfoto von Otto hergestellt werden.

Die wichtige Post geht zum damaligen Werk von Rhône-Poulenc , einem Pharma- und Chemiekonzern, der zur damaligen Zeit nicht vom Reichsarbeitsdienst „reformiert“ war und eine Zentrale des französischen Untergrunds beherbergte. Von hier aus gelangt Otto im Frühjahr 1944 nach Bruder Herberts Lebenserinnerungen zur Résistance des Départements Drôme und wird „Lieutenant Pierre Séguy“. Er selbst hat 1991 seinem SR-Redakteur Karl-Heinz Schmieding erzählt, dass er 1943 in die Résistance gegangen sei. Mit welchen Gefühlen er das tat, habe er mehrfach erklärt, berichtete 2005 die Metzer Zeitung „Le Républicain Lorrain“, für die Pierre Séguy lange als Saar-Korrespondent geschrieben hat: „wie man einer Religion beitritt“.

Unter seinem Kommando stehen fünf bewaffnete Franzosen mit einem LKW. Beim Zusammentreffen mit einer deutschen Patrouille kommt es zu einem heftigen Feuergefecht. Die kleine Gruppe überlebt es mit Glück. Eine Woche später bekommt „Pierre Séguy“ von seinem Colonel das „Croix de Guerre“ überreicht, weil er sich bei dieser militärischen Aktion besonders ausgezeichnet hatte.

Im Gebirgstock Vercors im Département Drôme in der Nähe von Grenoble war die Résistance mit über 4000 Kämpfern besonders stark. Ab 3. Juli 1944 rief sie die „République du Vercors“aus und ging zum offenen Aufstand über. Der wurde Mitte Juli von der deutschen Wehrmacht blutig niedergeschlagen. Dabei kam es zu Kriegsverbrechen. Dörfer wurden niedergebrannt und Zivilisten hingerichtet. Etwa 800 Widerstandskämpfer und zweihundert Zivilisten starben. Die meisten Résistance-Kämpfer konnten sich aber in Waldgebiete und unzugängliche Gebirgstäler retten.

Schon wenig später, ab 23. August, wurde Grenoble dann von der „Southern Group of Armies“ befreit. Neben den Amerikanern war daran auch die französische B-Armee beteiligt. Sie war zusammen mit den Alliierten im Rahmen der Operation Dragoon an der französischen Côte d’Azur gelandet und stand unter dem von General de Gaulle eingesetzten Oberbefehlshaber General Jean de Lattre de Tassigny. Ihm schlossen sich nun die Résistance-Mitglieder an, die weiterkämfen wollten, um ganz Frankreich von den deutschen Besatzern zu befreien.

Auch Otto Steinschneider alias Pierre Séguy gehört dazu. Er wird Kriegskorrespondent für die Militärnachrichten der französischen B-Armee. In Valence trifft er mit einem aktuellen Bericht zur militärischen Lage General de Lattre de Tassigny im Hauptquartier. Der General ist von dem verschmutzten, unrasierten Frontberichterstatter so begeistert, dass er ihn auf der Stelle als seinen „persönlichen“ Jounalisten ins Hauptquartier übernimmt.

Pierre Seguy im Studio in Dornbirn. (Foto: Stadtarchiv Dornbirn)
Colonel Pierre Séguy (alias Otto Robert Steinschneider) war 1945/46 Studioleiter im Hörfunkstudio Dornbirn in der französisch besetzten Zone Österreichs.

Um den 1. April 1945 überqueren de Lattres Soldaten (inzwischen umbenannt in 1. Französische Armee) in Süddeutschland den Rhein und stoßen bis Vorarlberg und Tirol in Österreich vor. Wie Deutschland wird das wieder abgetrennte Österreich nach Kriegsende in vier Besatzungszonen aufgeteilt. In Dornbirn (Vorarlberg), in der französischen Zone, wird der Generalstabsoffizier Pierre Séguy der französische Kontrolloffizier des Senders. Sein Vorgesetzter, General de Lattre de Tassigny, wird im Dezember 1945 zum Generalinspekteur und Generalstabschef der französischen Armee befördert.

Das Saarland hatten im März 1945 amerikanische Truppen befreit, dann aber nach der bedingungslosen deutschen Kapitulation im Mai 1945 französichen Truppen übergeben – zuerst als Teil der den übrigen Alliierten abgerungenen französichen Besatzungszone. Militärgouverneur und damit Leiter der französischen Militärregierung an der Saar wird ab 30. August 1945 Oberst Gilbert Grandval. Er war ein führendes Mitglied des französischen Widerstands und trägt (wie Pierre Séguy) weiterhin seinen Résistance-Namen. Anfang 1947 wird Colonel Pierre Séguy „Sendeleiter“ beim damaligen französichen Militärsender „Radio Saarbrücken“. Auf eigenen Wunsch, wie er der Saarbrücker Zeitung (vom 9. November 1996) sagte. Begründung: „Ich wollte näher bei Paris sein.“

Pierre Séguy konnte durch Entscheidung des Obersten Französischen Gerichts seinen „nom de guerre“ offiziell zu seinem bürgerlichen Namen machen. Sein Bruder Herbert Steinschneider behielt seinen alten Namen. Er ging nach Kriegsende in die USA, arbeitete als evangelischer Pastoral-Reverend und schrieb auch für verschiedene französische Zeitungen. Als Pseudonym nutzt er dafür weiterhin seine verschiedenen Untergrundnamen (Pierre, Maurice und Jean Séguy). Später lehrt der promovierte evangelische Geistliche in Boston. Seine Lebenserinnerungen verfasste Dr. Herbert Steinschneider im September 1989 – ein Jahr vor seinem Tod. Er widmet sie seinem ebenfalls in den USA lebenden Sohn Philip als Erinnerungsschrift zur Hochzeit mit Tanja. Über seine Arbeit im französischen Widerstand war innerhalb der Familie so gut wie nie gesprochen worden. Und auch in der „SR-Familie“ gab es bislang so gut wie keine Informationen über die Zeit seines Bruders Otto (Pierre Séguy) in der Résistance.

Der AK-SR-Geschichte bedankt sich bei Philip Steinschneider, der ihm die Veröffentlichung der Fotos seines Vaters gestattet hat.

Redaktion für den Arbeitskreis SR-Geschichte: Axel Buchholz (ab); Mitarbeit: Daniel Mollard (Recherche), Eva Röder (Gestaltung/Layout), Roland Schmitt (Fotos/Recherche)

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