Hilft der Koalitionsvertrag dem Saarland aus der Krise?

Hilft der Koalitionsvertrag dem Saarland aus der Krise?

Christian Leistenschneider   07.05.2025 | 11:44 Uhr

In einer Regierungserklärung hat Ministerpräsidentin Anke Rehlinger die Auswirkungen des Koalitionsvertrages im Bund auf das Saarland skizziert. Sie erhofft sich davon wirtschaftliche Impulse für das Land. Die Opposition betont die Verantwortung der Landes-SPD.

Zu Beginn ihrer Regierungserklärung anlässlich des Koalitionsvertrages und der neuen Bundesregierung kam Anke Rehlinger nicht an der Tatsache vorbei, dass der auch von der SPD gestützte neue Bundeskanzler Friedrich Merz als erster in der Geschichte der Bundesrepublik im ersten Wahlgang nicht die nötige Mehrheit bekam.

Das habe sie "schwer enttäuscht", sagte Rehlinger:

"Ich halte das wirklich für egoistisch. Das waren aus meiner Sicht Hasardeure, die das gemacht haben. Es ist gut, dass sie eingesehen haben im zweiten Wahlgang, dass man so keinen Staat machen kann und deshalb im zweiten Wahlgang der Schaden für Deutschland zumindest begrenzt worden ist."
Video [aktueller bericht, 07.05.2025, Länge: 3:04 Min.]
Welche Auswirkungen wird der Koalitionsvertrag auf das Saarland haben?

Die Regierungsbildung habe stattgefunden in einer Zeit von Umwälzungen, Krisen und eines "immer größeren Drucks auf Freiheit und Frieden". Der Zusammenschluss von Union und SPD sei dabei keine Traumpaarung, sondern "eine Partnerschaft aus Verantwortung gegenüber unserem Land angesichts der gewaltigen Herausforderungen". Sie sehe darin eine Chance, dass die demokratische Mitte Vertrauen zurückgewinnt.

Saarländische Interessen sollen berücksichtigt werden

Rehlinger betonte, dass sie am Koalitionsvertrag "mit saarländischer Brille mitverhandelt" habe. Man könne im Saarland vieles selbst regeln, jedoch: "Solange Deutschland in einer Wirtschaftskrise steckt, werden wir als industrielastige und exportabhängige Region nicht vorankommen", sagte die Ministerpräsidentin.

Aus ihrer Sicht sei es mit dem Koalitionsvertrag gelungen, valide Antworten auf die Herausforderungen für das Land zu finden. Die müssten allerdings auch in die Tat umgesetzt werden. Sie als Ministerpräsidentin werde sehr genau hinschauen, ob saarländische Interessen dabei ausreichend berücksichtigt werden, versprach Rehlinger.

In der Folge griff sie einzelne Punkte auf, die aus ihrer Sicht im Koalitionsvertrag in die richtige Richtung wiesen. Entscheidend sei bereits gewesen, dass noch mit dem alten Bundestag eine Überarbeitung der Schuldenbremse für Rüstungsausgaben und ein Infrastruktursondervermögen für Investitionen in Kitas, Schulen, Straßen und Weiteres beschlossen wurde. Letztere seien zwar "Investitionen auf Pump" mit neuen Schulden bis zu 500 Milliarden Euro. Aber eine bröckelnde Infrastruktur würde die nachfolgenden Generationen auch belasten.

Dass in dem Paket auch 100 Milliarden Euro für die Länder und Kommunen reserviert seien, würde auch für das Saarland "einen großen Impuls bringen", so Rehlinger. Dabei erwarte sie von der neuen Bundesregierung ein schnelles Gesetz über die Kriterien und die Verteilung der Gelder. Denn es komme darauf an, "dass diese Investitionen schnell auf die Straße und die Schiene gebracht werden", sagte Rehlinger.

Rehlinger übt auch Kritik am Koalitionsvertrag

Zu den Prioritäten, die Rehlinger für die neue Bundesregierung sieht, zählte sie neben den notwendigen Investitionen in Sicherheit und Infrastruktur, dem wirtschaftlichen Wachstum auch die soziale Gerechtigkeit und den Bereich der Migrationspolitik, die rechtlich umsetzbar sein müsse, ohne dabei Gräben zu vertiefen. Die vom neuen Bundesinnenminister Alexander Dobrinth (CSU) angekündigten verstärkten Grenzkontrollen halte sie nicht für das richtige Mittel, so Rehlinger. Die dafür nötigen Tausenden Bundespolizistinnen und Bundespolizisten könne man an derer Stelle besser einsetzen.

Rehlinger übte aber auch Kritik am Koalitionsvertrag. Es gebe Punkte, die Fragen aufwerfen und Probleme nicht eindeutig lösen. Beispiele dafür seien etwa die Themen kommunale Altschulden oder die Pflichtversicherung für Elementarschäden. Außerdem dürfe der neue Verschuldungsspielraum der Länder in Höhe von 0,35 Prozent des Bruttoinlandsproduktes nicht auf die Sanierungshilfen für das Saarland angerechnet werden, betonte Rehlinger.

Rehlinger wies zudem darauf hin, dass geplante Steuerentlastungen Lücken in die Haushalte von Land und Kommunen reißen könnten. Der Doppelhaushalt 2026/27 im Saarland könne darum nur mit "konsequenter Modernisierung und Effizienzsteigerung tragfähig sein", so die Ministerpräsidentin.

Toscani sieht Grundlage für Politikwechsel

Oppositionsführer Stephan Toscani (CDU) verglich den holprigen Start von Friedrich Merz mit dem von Annegret Kramp-Karrenbauer im Saarland. Daraus habe sich aber noch eine erfolgreiche Regierungszeit ergeben. Deswegen sei er optimistisch, was die Kanzlerschaft von Merz betrifft.

Den Koalitionsvertrag nannte Toscani eine "richtige Grundlage für den Politikwechsel, den wir in Deutschland brauchen". Es gebe darin ein klares Bekenntnis zur Stahlindustrie, zur Automobilindustrie und zur Technologieoffenheit. Davon würden auch die saarländischen Arbeitnehmer profitieren.

Toscani lobte unter anderem den Industriestrompreis und die Finanzierungslösungen der vom Bund an die Kommunen übertragenen Aufgaben. In der Migrationspolitik könne es einen Kurswechsel geben, der alle rechtsstaatlichen Mittel nutzt, um die illegale Migrationspolitik zu begrenzen. Kontrollen an den Binnengrenzen seien "leider notwendig", solange es keinen "wirksamen Schutz an den Außengrenzen der Europäischen Union" gebe.

Bei der Schuldenbremse sei allerdings ein differenzierter Blick nötig, als Ministerpräsidentin Rehlinger ihn gezeigt habe, sagte Toscani. Dass bei den Verteidigungsausgaben Lösungen jenseits der Schuldenbremse zu finden seien, sei immer schon die Position der CDU gewesen. Auch dass die Länder bei der Schuldenaufnahmen mit dem Bund gleichgestellt würden, sei richtig.

CDU will ganzes Infrastrukturgeld für Kommunen

Das 500 Milliarden-Euro-Paket für die Infrastruktur sei aber ein Zugeständnis gewesen, gab Toscani zu. Wenn es schnell umgesetzt würde und Wirkung zeige, könne es aber möglicherweise auch die Kritiker überzeugen.

Dabei sei ganz wichtig, wie die Kommunen im Saarland von den Geldern profitierten. Das Saarland könne mit rund einer Milliarde Euro rechnen. Toscani und die CDU unterstützten dabei die kommunale Forderung: "Das Geld soll zu 100 Prozent an die saarländischen Städte und Gemeinden gehen. Sie brauchen das Geld am dringendsten!"

Toscani nutzte die Gelegenheit aber auch, um die Landesregierung scharf anzugreifen. Das Saarland entwickele sich wirtschaftlich deutlich schlechter als der Durchschnitt der Bundesländer, habe inzwischen in vielen Bereichen die rote Laterne. Dafür seien nicht allein die weltpolitische Lage, Brüssel oder Berlin verantwortlich, sondern "vor allem auch wirtschaftspolitische Fehlentscheidungen" im Saarland: "Das ist auch das Ergebnis von 13 Jahren SPD-Verantwortung im saarländischen Wirtschaftsministerium", sagte Toscani.

Bei vielen sei zudem der Eindruck entstanden, die SPD-Alleinregierung hätte beim Strukturwandel keinen Plan. Dabei gebe es durchaus Potenziale, etwa bei der Verteidigungsindustrie. Die Ministerpräsidentin würde aber weder einen klaren Plan, noch die nötige Initiative, noch den politischen Willen zeigen. Toscani bot der SPD eine Zusammenarbeit an, um den Industriezweig zu stärken.

Auch in Sachen Bildungspolitik griff Toscani die Landesregierung an. Statt den Leistungsgedanken zu fördern, schaffe sie faktisch die Einheitsschule. Außerdem tue sie in Sachen Sprachförderung zu wenig.

Dörr verweist auf Risse in der Koalition

Für den AfD-Fraktionsvorsitzenden Josef Dörr hat der erste gescheiterte Wahlgang von Friedrich Merz gezeigt, dass es innerhalb der Regierungskoalition Risse gebe, die dank der geheimen Abstimmung sichtbar geworden seien. Das zeige, dass dort vieles "über die Köpfe" entschieden worden sei.

Im Bundestag gebe es nur noch zwei Parteien, behauptete Dörr. Diejenigen, die sich als "demokratisch" bezeichneten, also CDU, SPD, Grüne und Linke auf der einen, und die AfD auf der anderen Seite. Das Wort "demokratisch" würde dabei zu einem "Schimpfwort", sagte Dörr, dessen Partei vom Verfassungsschutz als gesichert rechtsextremistisch eingestuft wurde.

Denn diese Parteien hätten das Malheur der gescheiterten Ampel und der Krise in Deutschland angerichtet, während die AfD noch nie in Regierungsverantwortung war. Nur mit ihr könne es eine echte Wende geben. Die Umsetzung des Koalitionsvertrags zweifelte Dörr an, es seien lediglich Ankündigungen.

Über dieses Thema haben auch die SR info-Nachrichten im Radio am 07.05.2025 berichtet.


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