Wie rechts ist Carsten Becker?

So nah ist AfD-Landeschef Becker an Rechtsextremen

Janek Böffel, Florian Mayer, Niklas Resch, Caroline Uhl   26.01.2024 | 11:13 Uhr

Der Vorsitzende der saarländischen AfD, Carsten Becker, steht rechtsextremen Gruppierungen deutlich näher als bisher bekannt. Nach SR-Recherchen tritt er beispielsweise bei rechtsextremen Medien in Erscheinung – mit verfassungsfeindlichen Äußerungen. Ein Extremismus-Experte bescheinigt ihm eine große Nähe zur Identitären Bewegung.

Carsten Becker, der saarländische AfD-Landeschef, ist auf den ersten Blick keiner der ganz Lauten. Ganz anders vor zwei Wochen: Auf SR-Anfrage hatte er sich in markigen Worten über den Bericht des Correctiv-Netzwerks über ein Geheimtreffen in Potsdam geäußert.  

AfD-Landeschef Becker mit großer Nähe zu Rechtsextremen
Audio [SR 3, Moderation: Dorothee Scharner, 26.01.2024, Länge: 04:38 Min.]
AfD-Landeschef Becker mit großer Nähe zu Rechtsextremen

Schelte statt Distanzierung 

Zur Erinnerung: An dem Treffen hatten neben rechtsextremen Aktivisten auch Mitglieder der Werteunion und einflussreiche Politiker der AfD teilgenommen. Einer der Köpfe der Identitären Bewegung aus Österreich, der Rechtsextreme Martin Sellner, hatte dort sein Konzept der „Remigration” vorgestellt, was in letzter Konsequenz auch die Abschiebung von Millionen deutschen Staatsbürgern mit Migrationshintergrund bedeuten würde.

Becker hatte sich davon nicht distanziert, im Gegenteil. „Bei einem genaueren Blick entpuppt sich der vermeintliche Sensationsbericht als lupenreiner Rohrkrepierer. Denn die Forderung nach Remigration wird von Vertretern der AfD längst offen und selbstbewusst vertreten“, hatte Becker auf SR-Anfrage die Correctiv-Berichte kommentiert.

Alles abgeschrieben? 

So deutlich seine Nicht-Abgrenzung von den Vertreibungsplänen war, ausgedacht hat sich Becker seine Reaktion auf die Enthüllungen offenbar nicht selbst. Mit Ausnahme des Ausdrucks „Sensationsbericht“ finden sich diese Sätze wortgleich in einem Kommentar, den ein gewisser Philipp Huemer am selben Tag auf der Plattform „X“ gepostet hatte, mehrere Stunden, bevor sich Becker geäußert hatte.

Post von Philipp Huemer vom 10. Januar 24 auf „X“. Er ist der inhaltlich Verantwortliche für den „Heimatkurier“, das Zentralorgan der IB im deutschsprachigen Raum

Auf SR-Anfrage wollte sich Becker nicht zu dem möglicherweise übernommenen Statement äußern, auch alle anderen Fragen blieben unbeantwortet. 

Rechtsextreme „Vordenker” 

Philipp Huemer ist in der deutschsprachigen rechtsextremen Szene kein Unbekannter. Er ist einer der Kader der dortigen Identitären Bewegung (IB) und der redaktionell Verantwortliche des Portals „Heimatkurier“. Einer Seite, die gegen Geflüchtete als „Ersetzungsmigranten” hetzt und das Gedenken an die Opfer des Nationalsozialismus als „Schuldkult” tituliert.

Das Online-Portal gilt als eines der Zentralorgane der rechtsextremen IB. Der Verfassungsschutz in Deutschland, aber auch die saarländischen Behörden werten die IB als Gefahr für Demokratie und Rechtsstaat.  

Die Identitäre Bewegung verfolge „eine menschenfeindliche Ideologie, die darauf aus ist, dass eine Bevölkerungsgruppe einen Landstrich dominieren sollte. Im Grunde genommen ist das eine völkische Ideologie", sagt der Politikwissenschaftler Markus Linden von der Universität Trier. 

Huemer selbst hat zudem immer wieder Kontakte mit eben jenem Martin Sellner, der in Potsdam sein Konzept der Remigration vorgestellt hatte. Beide treten als Galionsfiguren der IB gemeinsam auf Demonstrationen auf und interviewen sich regelmäßig gegenseitig auf ihren Plattformen. 

Hetze auf einschlägigem Portal 

Für AfD-Landeschef Becker ist das mutmaßliche Abschreiben von Huemers Kommentar nicht die erste Verbindung zu dem Österreicher und dessen „Heimatkurier”.

Vergangenen Sommer hatte Becker dort ein Interview gegeben. Darin hatte er unter anderem betont, dass nicht-gesetzestreue Ausländer und solche, die ihren Lebensunterhalt nicht selbst bestreiten könnten, in Deutschland „nichts verloren“, hätten. Und weiter: „Wir sind schließlich nicht das Sozialamt und die Irrenanstalt für den Rest der Welt.“  

Bildschirmfoto: Am 29. August ´23 veröffentlichte das Zentralorgan der IB im deutschsprachigen Raum ein Interview mit Becker

Eine große Menschengruppe pauschal mit „Irren” gleichzusetzen, sei eine verfassungsfeindliche Äußerung, findet Politikwissenschaftler Linden. „Das ist eine Herabwürdigung.“ 

Auch die Forderung, Migranten, die Transferleistungen erhielten, auszuweisen sei nicht mit dem Grundgesetz vereinbar. „Man denke nur an die Gruppe von Menschen, die jahrelang in unsere Sozialsysteme eingezahlt haben und dann unverschuldet arbeitslos werden“, erklärt Linden. „Alle diese Menschen werden bei diesem Zitat quasi als nicht würdig, in Deutschland zu leben, markiert.“

Rechtsextremes Shirt an der Schule 

Dass er der rechtsextremen Identitären Bewegung nahesteht, hatte Becker schon im vergangenen Sommer offen zur Schau getragen. Bei einer Schulveranstaltung in Saarlouis war er mit einem T-Shirt aufgetreten, auf dem ein Slogan der IB stand. Und das, obwohl es bei der AfD offiziell einen Unvereinbarkeitsbeschluss zur Zusammenarbeit mit den Identitären gibt, da sie selbst der AfD offiziell zu rechtsextrem ist.  

Allerdings gibt es in der AfD auch Bestrebungen, diese Unvereinbarkeitsliste zu kippen. „Im Grund ist das eine Bewegung“, sagt Wissenschaftler Linden. Die Identitäre Bewegung ist seiner Auffassung nach „das Vorfeld der AfD".

Ähnlich hatte sich zuletzt auch Gideon Botsch geäußert, der Leiter der Emil-Julius-Gubel-Forschungsstelle am Moses-Mendelsohn-Zentrum in Potsdam. „Wenn wir gucken, was Identitäre Aktivisten heute tun und wo das Identitäre Gedankengut sich heute findet, dann müssen wir in die Flure der Parlamente gucken, in die Flure der AfD-Fraktion“, hatte Botsch unlängst dem rbb-Inforadio gesagt. 

„Gewisses Szene-Wissen“ 

Das „Heimatkurier“-Interview war auch nicht Beckers erster Auftritt in einem rechtsextremen Medium. Im Juni vergangenen Jahres veröffentlichte er einen Gastbeitrag auf dem ebenfalls österreichischen Portal „Info-Direkt“, in dem er gegen Schwule, Lesben und andere sexuelle Minderheiten hetzte.

„Info-Direkt“ gilt als reichweitenstärkste Zeitschrift der rechten Szene in Österreich und ist laut Medienberichten ein Sammelbecken für Rechtsextreme und Verschwörungsideologen.  

Am 13. Juni ´23 veröffentliche Becker einen Gastbeitrag für ein rechtsextremes Magazin

Darin schreibt Becker, im Juni werde der „Regenbogenterror auf Steroide gesetzt und die Propagandatrommel aus dem Hause Globohomo nochmal richtig angekurbelt“.  

Der Begriff „Globohomo“ stamme aus einem antisemitischen und deshalb in Deutschland verbotenen Computerspiel, das von der IB verbreitet worden sei, erklärt der Extremismusexperte Linden. Damit zeige Becker ein „Szene-Wissen, aber auch seine Verbundenheit mit der rechtsextremistischen Bewegung“, führt Linden weiter aus. Er scheine daher als „Akteur sehr nah bei der Identitären Bewegung zu stehen”.

Auf die Frage nach seinen Kontakten zu der Gruppe, zu der es einen Unvereinbarkeitsbeschluss seiner Partei gibt, hat sich Becker nicht geäußert.  

Der biedere Parlamentarier 

Zu Beckers Auftreten im Landtag passt all das nicht so recht. Dort gibt sich der Abgeordnete und parlamentarische Geschäftsführer der AfD-Fraktion, der zudem Fraktionschef im Saarlouiser Stadtrat und im Kreistag ist, deutlich biederer: Er lobt regelmäßig Arbeit und Anträge der CDU, bisweilen sogar der SPD-Mehrheitsfraktion.  

Nur einmal fällt Becker bisher aus der Rolle des reizlosen Parlamentariers und provoziert offen, im Mai vergangenen Jahres: In seinem Redebeitrag zum Thema Forstwirtschaft provoziert er mit dem Begriff der „grünen Öko-Taliban“, wofür ihn Landtagsvizepräsidentin Dagmar Heib (CDU) postwendend maßregelt.  

Schon 2015 für mehr Rechtsruck in der AfD 

Überraschen kann Beckers tatsächliche Nähe zur extremen Rechten nicht. War doch im Grunde bereits vor seinem Einzug in den Landtag klar, dass er solches Gedankengut unterstützt. Das zeigten schon die Vorgänge rund um den „Flügel“ der AfD aus dem Jahr 2015.   

Die Gruppierung um den thüringischen AfD-Landesvorsitzenden Björn Höcke hatte sich im März 2015 mit der sogenannten „Erfurter Resolution“ gegründet. Den „Flügel“-Mitgliedern war die AfD unter damaliger Führung von Bernd Lucke nicht völkisch und nationalistisch genug.

Der Flügel seinerseits vertrat in dieser Resolution glasklare Kernthemen der Neuen Rechten, wie eine angebliche Bedrohung durch Zuwanderung oder die Abwertung von geschlechtergerechter Sprache und Gleichstellungspolitik.   

Für Becker offenbar Ziele, die unterstützenswert sind. Er gehörte in seiner Rolle als Saarlouiser Kreisvorsitzender zu den Unterzeichnern der Erfurter Resolution. Der Verfassungsschutz stufte den „Flügel“ im März 2020 als „gesichert rechtsextremistisch“ ein. Die Gruppierung kämpfe gegen die freiheitlich demokratische Grundordnung. Der AfD-Bundesvorstand drängte den Flügel daraufhin, sich aufzulösen.   

Lob für Extremist Höcke 

Becker selbst steht offenbar weiterhin zu seiner Haltung von damals. „Die Lucke-AfD war neoliberal und transatlantisch“, sagte er im vergangenen August der „Saarbrücker Zeitung“. Das habe ihn immer gestört, „gegen diesen Kurs habe ich angekämpft“. 

Den Flügel-Begründer und Chef des von Behörden als gesichert rechtsextremistisch eingestuften AfD-Landesverbands Thüringen, Höcke, lobt Becker dagegen. „Ich finde, er macht eine sehr gute Arbeit“, sagte er in demselben Interview. 

Der AfD im Saarland scheint die Nähe ihres Landesvorsitzenden zu Rechtsextremen und rechtsextremen Positionen allerdings bis jetzt nicht geschadet zu haben. In den letzten Umfragen profitierte sie vom Bundestrend. Und auch der Blick auf die Mitgliederzahlen verfestigt den Eindruck. Während alle Parteien im Saarland im vergangenen Jahr Mitglieder verloren haben, konnte die AfD um fast 80 Prozent zulegen. 

Wahr ist aber auch: Im Saarland sind zuletzt Tausende gegen die AfD auf die Straße gegangen.

Präsident des Saar-Verfassungsgerichts erschrocken über Beckers Aussagen

Der Präsident des saarländischen Verfassungsgerichtshofes, Roland Rixecker, hat sich erschrocken über die Verbindungen Beckers gezeigt. Dessen Ziele und Verhaltensweisen seien nicht mit unserer Verfassungsordnung vereinbar, sagte Rixecker im Interview mit dem SR. „Das sind Äußerungen, die ich als Gefahr für eine rechtsstaatliche, demokratische, freiheitliche Ordnung werten würde.“

Als Konsequenz brachte Rixecker die strafrechtliche Prüfung dieser Aussagen ins Spiel. Denkbar sei auch, Becker bestimmte Grundrechte abzuerkennen – wie es aktuell im Fall des thüringischen AfD-Landeschefs, Höcke, im Raum steht. In einer Petition wird gefordert, Höcke bestimmte Grundrechte abzuerkennen, etwa das passive Wahlrecht. Ein Instrument, so Rixecker, dass dem Staat zum Schutz der Verfassung zur Verfügung stehe. 

Aus Sicht von Rixecker müsse aber auch der saarländische Verfassungsschutz überlegen müssen, ob „derart dezidierte Äußerungen“ eines Landesverbandsvorsitzenden nicht Anlass zur Beobachtung böten. 

Über dieses Thema haben auch die SR-Hörfunknachrichten am 26.01.2024 berichtet.


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