Wo hört Meinungsfreiheit auf und wo fängt Antisemitismus an?

Antisemitische Parolen und Plakate bei Pro-Palästina-Demos im Saarland?

  06.11.2023 | 19:16 Uhr

Bei bundesweiten Pro-Palästina-Demonstrationen am Wochenende sind erneut antisemitische Parolen verbreitet worden. Auch in Saarbrücken haben Demonstrierende möglicherweise strafrechtlich relevante Plakate und Flaggen gezeigt. Roland Rixecker, Antisemitismusbeauftragter des Saarlandes, ist besorgt.

In den vergangenen Tagen hat es in ganz Deutschland weitestgehend friedliche pro-palästinensische Demonstrationen gegeben. Allerdings meldete die Polizei auch mehrere Anzeigen etwa wegen Volksverhetzung. "Die Parolen und auch manche der Plakate und Transparente, die gezeigt werden, machen mir große Sorgen, weil es da auch klar antisemitische Inhalte gibt", sagt der Antisemitismusbeauftragte und Präsident des Verfassungsgerichtshofs des Saarlandes, Roland Rixecker, im Gespräch mit dem SR.

Video [aktueller bericht, 06.11.2023, Länge: 3:36 Min.]
Diskussion um pro-palästinensische Demonstrationen

Strafrechtlich relevante Plakate und Flaggen bei Demo in Saarbrücken?

Im Saarland haben sich am Samstag rund 500 Menschen einem Marsch durch die Saarbrücker Innenstadt angeschlossen, um gegen den israelischen Militäreinsatz im Gazastreifen zu demonstrieren. Wie die Polizei mitteilte, sind auch dort unter anderem Plakate und Flaggen gezeigt worden, die möglicherweise strafrechtlich relevant sind. Nach einem Bericht der "Saarbrücker Zeitung" sollen zudem "Kindermörder Israel"-Rufe zu hören gewesen sein.

Rixecker bestätigt, mindestens ein Plakat mit antisemitischen Inhalten gesehen zu haben. "Das wirkt natürlich zurück auf den Eindruck von solchen Veranstaltungen insgesamt" – was bei wiederholtem Auftreten auch Konsequenzen haben sollte. "Wenn die Organisatoren das nicht im Griff haben, dann wird die Versammlungsbehörde sorgfältig prüfen müssen, ob sie eine solche Versammlung erneut zulässt oder unter noch strengere Auflagen stellt", erklärt Rixecker.

Jüdinnen und Juden im Saarland zunehmend verängstigt

Schon jetzt zögen sich Jüdinnen und Juden wegen des Terrors gegen Israel durch die Hamas auch im Saarland zunehmend zurück. Eltern trauten sich etwa nicht mehr, ihre Kinder in Schulen zu schicken, zudem sei der Besuch eines Gottesdienstes mit vielen Ängsten verbunden. De facto registriere man auch immer häufiger "Verhetzungen, denen man nachgehen muss und die den Frieden in unserem Land stören. Leider hat sich da etwas substanziell geändert", konstatiert der Antisemitismusbeauftragte.

Rixecker könne die Ängste und Unsicherheiten der Jüdinnen und Juden im Saarland nachvollziehen. Daher tue man alles, um diesen entgegenzuwirken. So seien etwa die Sicherheitsvorkehrungen um die Synagoge noch einmal verstärkt werden. Gleichwohl sei es "einfach eine Schande, dass eine Synagoge im Saarland das einzige Gotteshaus ist, das polizeilich überwacht werden muss. Keine Moschee, keine Kirche steht unter Polizeischutz und muss es auch nicht stehen."

Rehlinger für konsequente Verfolgung von Hamas-Unterstützern

Ministerpräsidentin Anke Rehlinger (SPD) hat am Wochenende zudem gefordert, Unterstützerinnen und Unterstützer der Hamas in Deutschland konsequent zu verfolgen. Rehlinger sagte der Funke Mediengruppe, wer Terror feiere und unterstütze, gehöre nicht zu Deutschland und mache sich heute schon strafbar. "Unser Rechtsstaat muss das wehrhaft und konsequent verfolgen."

Kritik dürfe man äußern, aber Hass und Antisemitismus seien keine Meinung. "Es ist inakzeptabel und unerträglich, mit den Fahnen und Slogans der Hamas-Terroristen deren barbarische Attacke auf Jüdinnen und Juden und den Staat Israel zu feiern."

Bundesinnenministerin Nancy Faeser (SPD) hatte am Donnerstag ein Betätigungsverbot für die islamistische Palästinensergruppe ausgesprochen. Die Hamas wird von der EU und den USA schon seit Jahren als Terrororganisation eingestuft, womit sie de facto in Deutschland schon verboten war. Das Betätigungsverbot macht es jedoch einfacher, Maßnahmen gegen die islamistische Gruppierung durchzusetzen, beispielsweise bei Versammlungen einzuschreiten.

Video [aktueller bericht, 06.11.2023, Länge: 3:38 Min.]
Kunger: „Lehrer müssen klasseninterne Diskussionen anleiten können.“

SPD und CDU fordern Aufarbeitung

Nach den jüngsten Pro-Palästina Demos, wurde Kritik laut, die saarländische Polizei handele zu zögerlich. Nach Ansicht der SPD im Landtag müssten die Vorwürfe geprüft und antisemitische Vorfälle konsequent verfolgt werden.

"Das darf nicht nur hingenommen werden, nach dem Motto: 'Es ist ja nix passiert'", sagte der SPD-Fraktionsvorsitzende Ulrich Commerçon. Das habe auch nichts mit Meinungsfreiheit zu tun, das sei ein Straftatbestand.

Die CDU-Fraktion will beantragen, dass sich der Innenausschuss im Landtag mit den jüngsten Pro-Palästina-Demos beschäftigt. "Nach der Medienlage ergibt sich ja ein gewisser Widerspruch. Wenn wir lesen und hören, dass es aus Sicht der Polizei keine Probleme gegeben habe, auf der anderen Seite aber die Recherche- und Beobachtungsstelle Antisemitismus sehr wohl von antisemitischen Vorfällen spricht, das muss man aufklären", so der CDU-Fraktionsvorsitzende Stephan Toscani.

Rixecker: "Bei den Parolen und Plakaten gibt es auch klar antisemitische Inhalte"
Audio [SR 3, Moderation: Dorothee Scharner, 06.11.2023, Länge: 04:31 Min.]
Rixecker: "Bei den Parolen und Plakaten gibt es auch klar antisemitische Inhalte"

AfD sieht Problem bei Grundeinstellung

Die AfD spricht von Integrationsversagen. Die Polizei könne ohnehin nur die äußerlichen Symptome bekämpfen. Das ganze Probleme sitze tiefer.

"Auch wenn die Polizei jetzt mit massiver Gewalt, Einkesselungen oder was auch immer vorgehen würde gegen diese Demonstrationen oder die Transparente entfernt, das ändert ja an der Grundeinstellung nix. Wir müssen diese Grundeinstellung bekämpfen", erläuterte der stellvertretende Fraktionsvorsitzende der AfD, Christoph Schaufert.

Polizei weist Kritik zurück

Die drei Pro-Palästina Demos im Saarland seien friedlich abgelaufen, erklärt der Leiter der Abteilung Gefahrenabwehr im Landespolizei-Präsidium, Jens Heinrich. Es seien nur vereinzelt Straftatbestände und Verdachtsfälle festgestellt worden. Diese seien dokumentiert und an die Staatsanwaltschaft weitergeleitet worden.

Die Kritik, die Polizei tue zu wenig, weist er zurück. "Wir schreiten nur ein bei Versammlungen, wenn es eine unmittelbare Gefährdung gibt für gleichwertig hohe Rechtsgüter." Als Beispiele nennt er Gewalttätigkeiten oder wenn offen und klar zu Hass und Gewalt aufgerufen werden würde.

Über dieses Thema haben auch die SR-Hörfunknachrichten am 06.11.2023 berichtet.


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