Ludwig Harig und Benno Rech. (Foto: Benno Rech)

Der SR – die "Radio-Heimat" von Ludwig Harig

  02.08.2011 | 13:55 Uhr

Der Germanist und Harig-Experte Prof. Dr. Benno Rech, Thalexweiler, ist einer der drei Herausgeber der kommentierten Harig-Werkausgabe. Rech hat sich besonders mit Harigs Hörspielen befasst. Ein Interview von Axel Buchholz.

Ende Juli 2011 ist der neunte Band der Gesammelten Werke von Ludwig Harig erschienen, der Roman „Ordnung ist das ganze Leben“. Geplant sind 13 Bände. Im dritten wurden bereits 2009 unter dem Titel „Stimmen aus dem Irgendwo“ Texte und CD von sieben Harig-Hörspielen veröffentlicht.  Mit einer Ausnahme war bei allen der Saarländische Rundfunk Produzent oder Koproduzent.

Herr Rech, welchen Harig-Text hat der SR als ersten gesendet?
Das werden mit einiger Wahrscheinlichkeit Beiträge sein, die Harig schon vor 1957 für den SR geschrieben hat.

Warum drücken Sie sich so vorsichtig aus?
Manuskripte oder Mitschnitte als Quellen haben wir bis jetzt dafür nicht. Ludwig Harig erinnert sich nicht mehr genau.

Lässt sich sagen, welcher Art diese Texte waren?
Entsprechend dem Interesse seines damaligen SR-Redakteurs Fred Oberhauser dürften es aber vor allem Texte über besondere Orte im Saarland, in Lothringen und im Elsass gewesen sein.

Der stv. SR-Fachbereichsleiter Archive und Leiter der AudioWort-Dokumentation Bert Lemmich hat den Bestand an Harig-Produktionen jetzt noch einmal durchgesehen und aktualisiert.
Und was ist jetzt Stand der Dinge?

Im SR-Archiv ist als ältestes Harig-Tondokument registriert: "Stilübungen. Neunundneunzig Variationen über ein Thema". Die Sendung entstand zusammen mit dem als Übersetzer bekannten Eugen Helmlé. Sie greift eine Idee des französischen (experimentellen) Schriftstellers Raymond Queneau auf. Gesendet wurde sie am 25.04.1957. Ist das dann nach heutigem Stand auch die erste dokumentierte Harig-Radiosendung überhaupt?
Ja. Sie ist drei Jahre älter als ein Radio-Essay beim damaligen Süddeutschen Rundfunk mit Sendedatum 10.06.1960. Diese Sendung wird bisher in der "Bibliographie Ludwig Harig" von Werner Jung und Marianne Sitter (Aisthesis Verlag, 2002, 340 S.) als erster Radio-Beitrag aufgeführt. Darin ging es ebenfalls um Queneau. Titel: "Komödie der Sprache - Die Stilübungen des Schriftstellers Raymond Queneau".

Da gibt’s aber auch im SWR-Archiv eine noch ältere: “Auf den Notenlinien der Zeit: Gedichte von Ludwig Harig und Willy Atlante-Lima“, eine SWF-Produktion mit Aufnahmedatum 1959.
Es sollen ja noch fünf Bände von Harigs Lebenswerk erscheinen. Insofern sind wir für jede zusätzliche Information dankbar, die wir noch berücksichtigen können.

Wer war beim SR der erste Redakteur, mit dem Harig zusammengearbeitet hat?
Den ersten sehr guten und ihn anregenden Kontakt hatte er mit Heinz Dieckmann. Erster Partner in der praktischen Zusammenarbeit war Oberhauser. Beide arbeiteten als Redakteure der „Literarischen Abteilung“ von Radio Saarbrücken bzw. dem SR. Im Hintergrund war Harigs Frau Brigitte erste Ansprechpartnerin.

Das erste Harig-Hörspiel hat nach der Harig-Bibliographie und bisheriger Quellenlage der Süddeutsche Rundfunk (jetzt: SWR) 1963 gesendet: „Das Geräusch“.
...das aber in dem Hörspiel überhaupt nicht zu hören war. Trotzdem geraten die Hausbewohner in einen heftigen Streit darüber. Sendetermin war der 20. März 1963. Für solche - fast absurden - Experimente mit dem Hörspiel engagierten sich beim SDR die leitenden Redakteure und Autoren des „Radio-Essay“:  Zuerst Alfred Andersch, dann Helmut Heißenbüttel. Ebenfalls die Schriftsteller Manfred Esser und Reinhard Döhl. Zu diesem Kreis der „Stuttgarter Schule“ um den  Philosophen und Schriftsteller Prof. Max Bense gehörte auch Harig.

Die jetzige SR-Hörspielchefin Annette Kührmeyer hält aber die SR-Sendung Stilübungen von 1957 ebenfalls für ein Hörspiel. Und für die Produktion wurde ja auch als Regisseur A.C. Weiland, damals Oberspielleiter (später Unterhaltungschef) eingesetzt.
Gut möglich, dass man diese Sendung als Hörspiel begreifen kann, zumal die Grenzen zwischen den großen künstlerischen Sendeformen ja auch fließend sind. Harig selbst und der SR-Hörspielchef damals, Heinz Hostnig, scheinen es nicht so gesehen zu haben, denn unter dem Titel „Mein erstes Hörspiel“ sprachen sie 1965 im SR nur über „Das Geräusch“ und „Das Fußballspiel“.

„Das Fußballspiel“ von 1966 galt ja bisher auch als erstes SR-Harig-Hörspiel. Koproduzent war der SWF in Baden-Baden (jetzt: SWR).
Richtig, es wurde am 11. April 1966 gesendet.
Und es war als erstes in Deutschland überhaupt für die Stereophonie konzipiert, wie Regisseur Heinz Hostnig in einem Vorspruch selbst sagt.
Harig befasste sich darin allerdings nicht mit dem Fußballspiel selbst, sondern mit der Sprache der Fußballreporter und der Fans. Da er selbst ein begeisterter Fußball-Fan ist, kennt er sich damit bestens aus.

Wer war der Redakteur?
SR-Hörspielchef Heinz Hostnig selbst. Er war zugleich der Regisseur und für das experimentelle Spiel mit Wörtern, Tönen und Rhythmen ebenfalls sehr aufgeschlossen. Durch diese Zusammenarbeit mit Harig wurde der SR zu einer Hochburg des neuen experimentellen Hörspiels der sechziger Jahre. Nicht mehr nur die Sinnvermittlung durch das Wort zählte, sondern die gesamte akustische Wahrnehmung durch alles akustisch Wahrnehmbare und die sich aus dem Spiel mit den Wörtern entwickelnde Aussage.

Wie viele Hörspiele hat Harig insgesamt für den SR geschrieben?
Wenn man auch die Koproduktionen und längere hörspielähnliche Sendungsformen dazurechnet, sind es wohl über 50.

Die meisten davon waren Koproduktionen mit anderen Sendern. Mit welchen vor allem?
NDR und WDR. Zum NDR war Hostnig als Hörspielchef vom SR gewechselt, zum WDR der Redakteur und Dramaturg Johann M. Kamps, der als engagierter Hörspiel-Theoretiker das Wesen des Harigschen Hörspiels am gründlichsten herausgearbeitet hat. Beide setzten auch bei ihren neuen Sendern weiterhin auf die Hörspielkunst Harigs.

War das „Staatsbegräbnis“ (SR/WDR 1969) Harigs erfolgreichstes Hörspiel?
Gemessen an der Zahl der Wiederholungen ganz bestimmt. Es waren ca. 20.

Das am meisten öffentlich beachtete und umstrittene war es ebenfalls, weil es wegen angeblicher Verunglimpfung des Andenkens des ersten Bundeskanzlers Konrad Adenauer (1876 bis 1967) zeitweise von SR und WDR gesperrt wurde…
Es führte zu langen erbitterten Polemiken und Diskussionen in den Medien. Harig hatte darin das ihm hohl erscheinende Staatsbegräbnis-Pathos zum Thema gemacht. Er nutzte als Mittel der Entlarvung unter anderem die salopp-schnoddrigen und geradezu erleichterten Äußerungen der Reporter am Ende der Übertragung. Diese nur internen (aber auf Band mitgeschnittenen) Bemerkungen waren Harig versehentlich vom WDR mit zur Verfügung gestellt worden. Regisseur war Johann M. Kamps.

Von den drei Medien Print, Radio und Fernsehen - welchen Rang hat da das Radio für Harig?
Einen außerordentlich hohen. Das Radio konnte das vielsagend Spielerische Harigs im Umgang mit der Sprache nahezu perfekt umsetzen. Es hat, anders als das Fernsehen, den Assoziationen im Kopf der Zuhörer den von Harig gewünschten Spielraum gelassen.

Und wie wichtig war speziell der SR für Harig?
Überaus wichtig. Der Saarländische Rundfunk ist seine „Radio-Heimat“. Beim SR hatte er Redakteure und Regisseure, mit denen sich Freundschaften entwickelten, die Jahrzehnte und Ortswechsel überdauerten. Beim SR wurden seine drei wichtigsten Hörspiele produziert. Neben den bereits genannten zählt für mich vor allen anderen das KZ-Hörspiel „Ein Blumenstück“ dazu. Und ausgehend vom SR entwickelten sich seine Kontakte in die Redaktionen der ARD und auch zu ausländischen Radiosendern. Beide, der SR und Harig, spielten so auf dem Gebiet des Hörspiels in der ersten Liga der Rundfunkanstalten.

Hört Harig eigentlich selbst auch viel Radio – oder nutzt er es nur sehr gern als akustische Bühne?
Er hat gerade ein Hörspiel für Lesli Rosin beim WDR geschrieben. Es kreist um eine Radio-Sendung („Rendez-vous à cinque heures“), die er als junger Mann jedenfalls so gern hörte, dass er jetzt als 84-Jähriger aufgriff, womit ihn das Medium damals faszinierte.

SR-Fundstücke
Wie für Ludwig Harig „die Zeit des Radios“ begann
Der damals 84-jährige Schriftsteller und SR-Autor Ludwig Harig lehnte Auftritte vor Mikrofon und Kamera dankend ab. An die Schreibmaschine setzte er sich jedoch gerne, um Erinnerungen an seine Anfangszeit als Radio-Autor aufzuschreiben.

(Das Interview wurde telefonisch geführt und autorisiert.)

Autor: Axel Buchholz; Mitarbeit: Thomas Braun, Christine Gebel, Sven Müller, Roland Schmitt

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