Offiziell hieß es "Stadtradio Saarbrücken". Liebevoll spöttisch nannte man es „das Pampersstudio". Es war das Nachwuchsstudio, in dem der Saarländische Rundfunk zwischen 1986 und 1991 fünf Jahre lang Praktikanten, Volontäre und andere journalistische Nachwuchskräfte für jeweils einige Wochen ausbildete.
Von Stefan Braun
Das Übungsradio war das einzige dieser Art in der ARD. Erste Radio-Erfahrungen konnte man dort live machen – und dabei auch ungestraft Fehler. Gern verulkten erfahrene Kolleginnen und Kollegen den Nachwuchs wegen seiner Ungeübtheit. Die Lacher aber hatten die Jungjournalisten oft auf ihrer Seite, wenn auch nicht immer freiwillig.
Es gab so gut wie keine Panne im Stadtradio, die nicht ausgiebig im Studio getestet wurde: Übersteuerte Musik, Rückkopplungen aller Art, Telefoninterviews, die gar nicht erst zustande kamen, weil der Moderator den Regler nicht geöffnet, Schimpftiraden und Flüche on air, weil er ihn versehentlich nicht geschlossen hatte. Fehler bei der Bandbearbeitung: Falsche Schnitte, doppelte Anfänge, Versprecher, die nicht herausgeschnitten wurden.
Auch die Nachrichten hatten es in sich: Wie die Umschaltung danach, zu Beginn der Sendung, die der Schaltraum schon mal vergaß, ein Fehler der dazu führte, dass man glaubte zu senden - aber gar nicht über den Sender ging. Auch die Kurznachrichten bargen eine Falle: Die Schallplatten (ja, es waren Schallplatten) musste man rechtzeitig vorhören und sorgsam auf den richtigen Titel einstellen, besonders um 15.28 Uhr. Wer da nur an die Pegelung der Lokalnachrichten um halb dachte, hatte danach vielleicht gut gepegelt – aber keine Musik. 30 Sekunden Sendeloch konnten mal ganz erholsam sein – für die pannengeplagten Hörer. Für die Moderatoren waren sie Stress pur.
Den Nachrichtenprofis im Sprecherstudio der Saarlandwelle waren die Nachwuchsjournalisten meist ein Dorn im Auge. Nicht nur, dass die Jungschar ihnen das Studio als Arbeits-, Vorbereitungs- und Konzentrationsraum streitig gemacht hatte. Schlimmer noch: Tagtäglich belagerte sie den hochheiligen Sendetisch der Sprecher mit Papierstapeln, technischen Gerätschaften, Kaffeetassen und Colaflaschen, von vormals essbaren Resten aller Art ganz zu schweigen. Kaum eine Woche verging, in der sich die Sprecher nicht beklagten – meist nicht ganz zu Unrecht. Es war keine Liebesheirat, die man in dieser eigentümlichen Wohngemeinschaft eingegangen war: Immer wieder stürzten die Profis während der Vorbereitungszeit zur Sendung ins Studio, der Nachwuchs musste raus vor die Tür, bis die Nachrichten gelesen waren, dann wurden die Rollen getauscht – Sprecher raus, Nachwuchs rein und die Arbeit ging weiter. Die Pannen auch.
Vielen im Nachwuchsstudio blieb jener Volontär in Erinnerung, der sich hoffnungslos in einer handschriftlichen Anmoderation verstolperte und eine Mitarbeiterin deshalb wegen der Unleserlichkeit des von ihr zugelieferten Textes beschimpfte. Leider bei noch offenem Mikro, so dass ihm der Tutor nicht nur wegen seiner Stammelei sondern gleich auch noch wegen des öffentlichen Kolleginnen-Bashings die Leviten lesen musste.
SR-Fernseh- und Radioredakteur Dr. Adolf Müller, von den Stadtradio-Teams geschätzt wegen seines Engagements in der Nachwuchsarbeit, war der einzige Tutor, der die Sendung immer live im Studio und nicht am Radio in der Redaktion mitverfolgte. Bis zur letzten Sekunde vor der Sendung half er mit Rat und Tat, wurde aber schließlich selbst zum Opfer technischer Tücke: Während eines laufenden Interviews hampelte der Moderator in der Sendung bei offenen Mikro herum, verhedderte das Band mit dem nächsten Beitrag spektakulär zwischen Sendepult und Moderatorenstuhl, was Tutor Müller zu einem helfenden Hechtsprung quer durchs Studio verleitete – und die Mitarbeiter zu schallendem Gelächter: Das vermeintliche Live-Interview war aufgezeichnet und alle Anwesenden hatten dem Tutor mit Playback-Mundbewegungen das Chaos in der Sendung bloß vorgespielt.
Die Arbeitsatmosphäre im Nachwuchsstudio dokumentiert ein einstündiges Youtube-Video aus dem Jahr 1986, das unter dem Titel „Hier ist Radio 94,2 - das Stadtradio Saarbrücken" von einem damals 18-jährigen Jungjournalisten gedreht wurde.
Auch außerhalb des Studios machten die Stadtradio-Mitarbeiter auf sich aufmerksam: mit Geigerzählern oder durch ihre undiplomatische Fragetechnik. Unvergessen der Kollege, der in der wöchentlichen Stadtpressekonferenz – von deren Terminen die Redaktion tagelang zehrte – mutig aufstand und den Vortragenden vor versammelter Lokalpresse erst mal fragte, wer er denn eigentlich sei. Schließlich hatte man ihm klar gemacht, dass jeder O-Ton-Geber auch präzise anzutexten sei. Es war Oberbürgermeister Hans-Jürgen Koebnick. Als früherer SR-Kollege im Umgang mit dem SR-Nachwuchs längst geübt, gab er Name und Titel zu Protokoll. Allerdings nicht ohne Rückfrage, wer denn der Fragesteller eigentlich sei. Dem blieb nichts anderes übrig, als sich nun mit seinem Namen vor der Kollegenschaft zu seinem Unwissen zu bekennen. Peinlich, peinlich.
Wochenlanges Thema - auch für die Teams des Stadtmagazins – war die Katastrophe im Atomkraftwerk in Tschernobyl. Viele Mitarbeiter waren unsicher, wie sie das Unglück regional "herunterbrechen" und auch sonst einordnen sollten. Einem ging es besonders nah: Er "bewaffnete" sich für seine Reportagen kurzerhand mit einem Geigerzähler und maß die Strahlung. Sicher ist sicher, auch der Reporter will schließlich überleben.
Besonders spannend waren die Sendetage, an denen der Landtag tagte. Dann nämlich hatte die hohe Saarpolitik das Sagen auf der Stadtradio-Frequenz und das Stadtmagazin war auf Standby. Zog sich die Sitzung in die Länge, fiel die Sendung aus und die Themen fanden nach Möglichkeit am Folgetag Verwendung. War die Sitzung kurz, konnte sie ein Team ins Verderben stürzen – dann mussten die Themen statt bis um 15 Uhr schon viel früher fertig aufgearbeitet sein. Wohl denen, die es pannenfrei schafften.
Das SR-Nachwuchsstudio – oft ein Sammelsurium an Pech und Pannen – war damals für den SR alles andere als eine Pleite: Die geringen Kosten für das Kilometergeld, die Parkgebühren in der Stadt und die Betreuung der Praktikanten durch freie Mitarbeiter machten sich für den SR doppelt und dreifach bezahlt: Das Nachwuchsstudio war eine Talentschmiede für personelle Neuentdeckungen, ein "Entwicklungslabor" für neue Programmmitarbeiter. Viele der Absolventen mussten aber auch schmerzhaft erkennen, dass der Weg ins Radio steinig war und schweißtreibend – und für sie womöglich wenig erfolgversprechend. Mal fehlte einfach das Talent fürs Radio, mal formulierten die Tutoren mehr oder weniger schonungslos andere Defizite.
Diejenigen, die deren Scharfgericht überstanden, nahmen am Ende jenes Rüstzeug aus dem Nachwuchsstudio mit, das ihnen später half, eine erfolgreiche Laufbahn im Journalismus einzuschlagen. Dass sich Ehemalige, mehr als ein Vierteljahrhundert später gern daran erinnern, ist sicher auch ein Beleg für den Erfolg.
Redaktion für den Arbeitskreis SR-Geschichte: Axel Buchholz (ab); Eva Röder (Gestaltung/Layout), Roland Schmitt (Bilder/Recherche); Mitarbeit: Michael Fürsattel, Sven Müller (Standbilder)