Für die „Einzelheiten“ (hier: Nr.2/74) oft ein Thema: SR-Intendant Dr. Franz Mai. (Foto: Rainer Petto/SR)

68er-Jahre: Mit „Einzelheiten“ den SR im Visier

 

Erbitterten politischen Streit um den Saarländischen Rundfunk gab es nie. In der gesellschaftlich bewegten Zeit der 68er-Jahre schlugen allerdings auch beim SR die Wellen interner und externer Auseinandersetzungen etwas höher. So etwas wie eine „publizistische Plattform“ fanden die internen Kontroversen in dem Studentenblättchen „Einzelheiten“. Gegründet hatte es Rainer Petto, der – Ironie des Schicksals – sein späteres Berufsleben als (Kultur-)Redakteur beim SR verbrachte.

Von Rainer Petto

Anfang 1971 war ich 20 Jahre alt, Student und irgendwie unausgelastet. Mir fehlte etwas, ich spürte den unüberwindbaren Drang zum Schreiben und Publizieren. Zwar hatte mich Feuilletonchef Dr. Heinz Mudrich eingeladen, für die „Saarbrücker Zeitung“ zu schreiben, seit ich ihm als Oberprimaner einen Text zugeschickt hatte; aber ich wollte mehr als Glossen und Buchbesprechungen verfassen. Und so entschloss ich mich, ein eigenes Blättchen herauszubringen, nur mit meinen Texten in einem Spektrum von Gedichten bis Medienkritik.

Den letzten Anstoß hatte mir die Lektüre von Hans Magnus Enzensbergers Essays gegeben, die in der „edition suhrkamp“ unter dem Titel „Einzelheiten“ erschienen waren. Seine Kritik an der „FAZ“, am „Spiegel“ oder am Neckermann-Katalog war für mich wie eine Erleuchtung – so etwas wollte ich auch schreiben, und zwar bezogen aufs Saarland.

Der Student Rainer Petto 1974: übte SR-Kritik in „Einzelheiten“. (Foto: privat)
Der Student Rainer Petto 1974: übte SR-Kritik in „Einzelheiten“.

„Einzelheiten“ nannte ich denn auch mein Blättchen, wegen Enzensberger und wegen meiner Vorliebe zum konkreten Detail und der Abneigung gegen alles Verschwurbelte. Medienkritik gehörte von Anfang an dazu. Das bot sich im Saarland quasi an. Wir hatten ein Zeitungsmonopol, eine Zeitung für ein Bundesland: die „Saarbrücker“, nach dem Krieg zunächst in Landesbesitz und dann, begleitet von Korruptionsvorwürfen an die saarländische Politik, teils dem Holtzbrinck-Konzern, teils den Stiftungen der Landtagsparteien übereignet. Dabei war der zuletzt noch verbliebene Konkurrent, die „Landeszeitung“, ein Blatt im Besitz des Bischofs von Trier, auch nicht gerade ein Oppositionsorgan gewesen.

Bescheidenste Anfänge: „Liebe Leser“ aus der ersten Einzelheiten-Ausgabe von 1971. Zum Vergrößern bitte anklicken.

Und dann war da der Saarländische Rundfunk, auch ein Monopolist in seinem Sendegebiet, autoritär geführt von Adenauers vormaligem Referenten Dr. Franz Mai. In der Person von Erich Voltmer waren die beiden Monopolisten auch noch miteinander verknüpft. Voltmer war nämlich Stellvertretender Chefredakteur der „SZ“ und zugleich Rundfunkratsvorsitzender beim SR, und, um seine Position im regionalen Medienbetrieb abzurunden, auch noch Vorsitzender des Saarländischen Journalistenverbandes. Er und Mai waren CDU-Leute, und die unter ihnen arbeitenden Journalisten galten, spätestens nachdem der „Spiegel“ das geschrieben hatte, als besonders zahm.

Erich Voltmer: stellvertretender SZ-Chefredakteur, SR-Rundfunkratsvorsitzender und SJV-Vorsitzender. (Foto: Reiner F. Oettinger)
Erich Voltmer: stellvertretender SZ-Chefredakteur, SR-Rundfunkratsvorsitzender und SJV-Vorsitzender.

Grund genug also für jeglichen Versuch, dem etwas entgegenzusetzen. Die Medienkritik der „Einzelheiten“ bestand zunächst eher in Inhaltsanalysen, sachlich vorgetragen, trotzdem schmerzlich für die Betroffenen. Die erste Nummer des zunächst monatlich erscheinenden Blättchens kam im Februar 1971 heraus. Schon mit der Juli-Ausgabe gab es eine Neupositionierung durch den Fall Astel.

Bundesweit ein Thema, nicht nur in den „Einzelheiten“: Der „Fall Astel“. (Foto: SR)
Bundesweit ein Thema, nicht nur in den „Einzelheiten“: Der „Fall Astel“.

Mai hatte seinem linken Leitenden Literaturredakteur Arnfrid Astel mit Gründen, die sich vor dem Arbeitsgericht dann nicht halten ließen, fristlos gekündigt (Anmerkung der Redaktion: In drei Instanzen hat Astel vor Gericht Recht bekommen, beim SR war er bis zur Pensionierung in Amt und Würden.). Hatten die „Einzelheiten“ sich bis dahin im weitesten Sinne als Literaturblatt verstanden, so wurden sie jetzt politischer, die Medienkritik bekam mehr Raum und wurde schärfer im Ton.

Literaturchef Arnfrid Astel. (Foto: SR)
Literaturchef Arnfrid Astel.

Was den SR betraf, gab es Anlässe genug. Ein paar Beispiele: In der Neujahrsansprache des SR-Intendanten 1972 fällt das fatale Wort von der Kritik als ein „Zeichen pubertärer Geisteshaltung“ – da muss man einfach widersprechen.

Im Herbst 1972 beschwört Mai einen Konflikt mit der evangelischen Kirche herauf, weil ihm ein Kommentar des evangelischen Rundfunkbeauftragten und Rundfunkratsmitglieds Pfarrer Hans-Dieter Osenberg zum Vietnam-Krieg nicht passt.

Zum „Kirchenstreit“ brachten die „Einzelheiten“ einen Bericht und beide Texte im Wortlaut. Zum Vergrößern bitte anklicken.

„Die Hörer für dumm verkauft“ lautet im März ‘73 die Überschrift meines Beitrags in den „Einzelheiten“ zur neuen Programmstruktur der Europawelle.

Im August 1973 verbietet der Intendant die Ausstrahlung eines kirchlichen Kommentars zum Umgang der deutschen Politik mit ausländischen Diktatoren.

Der Evangelische Rundfunkbeauftragte Pfarrer Hans-Dieter Osenberg: sah den Vietnam-Krieg aus „Aus kirchlicher Sicht“ anders als Intendant Mai.  (Foto: E. Röder)
Der Evangelische Rundfunkbeauftragte Pfarrer Hans-Dieter Osenberg: sah den Vietnam-Krieg aus „Aus kirchlicher Sicht“ anders als Intendant Mai.

Intendant Dr. Franz Mai: Viele Erfolge für den SR, aber auch so manche Blessuren. (Foto: Reiner Oettinger)
Intendant Dr. Franz Mai: Viele Erfolge für den SR, aber auch so manche Blessuren.

1974 kritisiert „Einzelheiten“-Autor Robert Strauß das Musikkonzept der Jugendsendung „Drugstore 1421“ auf der Europawelle.

Im gleichen Jahr erhält der SR eine neue Führungsstruktur, u. a. wird Werner Zimmer Leiter der Hauptabteilung Aktuelles Fernsehen und Sport. Zimmer war CDU-Mitglied, mein Kommentar zu dieser Personalie: „SR wird noch schwärzer“.

Titelblatt der „Einzelheiten“ Nr. 5/74 mit Kritik am Musikprogramm der beliebten Jugendsendung „Drugstore“. (Foto: SR)
Titelblatt der „Einzelheiten“ Nr. 5/74 mit Kritik am Musikprogramm der beliebten Jugendsendung „Drugstore“.

Währenddessen schrieb ich zunächst weiter für die „SZ“. Und auch in den Literatursendungen des SR war ich trotz meiner öffentlichen Kritik an dem Sender immer wieder präsent. Nach Erscheinen der ersten Nummer der „Einzelheiten“ hatte Arnfrid Astel mich gleich eingeladen. Später aber wurde eine fest verabredete halbstündige Sendung gekippt – allerdings war die Berufung auf eine Anordnung des Intendanten möglicherweise nur die Erfindung eines ängstlichen Mitarbeiters. Eine offizielle SR-Kritik an den „Einzelheiten“ oder ein Gegendarstellungsbegehren gab es vom SR nie.

Währenddessen beschäftigte SZ-Feuilletonchef Dr. Heinz Mudrich mich unbeirrt weiter, auch nachdem in der Redaktionssitzung die Frage aufgeworfen worden war, ob jener fürs Feuilleton schreibende Autor derselbe sei, der in seiner Publikation mit Schmutz auf die „SZ“ werfe. Der Leiter der Buchhandlung der „Saarbrücker Zeitung“ in der Saarbrücker Eisenbahnstraße, Hans-Günther Römbell, legte das Blatt an der Bezahltheke aus. Von dort holte es sich auch die Chefredaktion, bis es ihm eines Tages verboten wurde und Verlagsleiter Dr. Hans Stiff mir im September 1974 schrieb, die Zeitung lasse sich nicht ihre „Existenz von anderen wehrlos infrage stellen“.

Die „Einzelheiten“ bedrohten die Existenz der „Saarbrücker Zeitung“? An dieser Dramatisierung sieht man, wie ungewohnt die etablierten Medien es damals waren, selber Zielscheibe von Kritik zu werden, und sei es von einem noch so unbedeutenden Organ. Der Saarbrücker Journalist Muhammad Salim Abdullah veröffentliche im Zentralorgan der IG Druck und Papiere einen Artikel über die Auseinandersetzung mit der „SZ“ unter der Überschrift: „Wenn die Ameise den Löwen tritt“.

Die „Einzelheiten“ hatten oft den Rundfunk im Visier (wie hier in Nr.3/74). (Foto: SR)
Die „Einzelheiten“ hatten oft den Rundfunk im Visier (wie hier in Nr.3/74).

Denn was waren die „Einzelheiten“? Die per Alkoholmatrize vervielfältigten Blätter eines Studenten mit einer Auflage von 35 (!) Exemplaren, die dann auf 100 und schließlich, jetzt im Offset-Druck, auf 1.000 stieg. Aber die saarländische Medienlandschaft war in der ersten Hälfte der 1970er Jahre so karg, dass ein Studentenblättchen wie die „Einzelheiten“ hier eine Rolle spielen konnte, wie sie später nicht mehr möglich gewesen wäre.

Längst machte ich die Zeitschrift nicht mehr alleine, viele wirkten mit als Herausgeber und Autoren. Alle bekannten saarländischen Schriftsteller gaben uns Texte, von Ludwig Harig über Felicitas Frischmuth oder Manfred Römbell bis zu Gerhard Bungert, der hier seine ersten regionalgeschichtlichen Texte veröffentlichte. Ihre ersten journalistischen Versuche unternahmen in den „Einzelheiten“ auch Siegmund Grewenig, der spätere Programmbereichsleiter „Unterhaltung, Familie und Kinder“ beim WDR, und der spätere EnBW-Vorstand Gerhard Jochum. Original-Titelbilder kamen vom saarländischen Kunstpreisträger Leo Kornbrust, von der Fotografin Hanne Garthe, von dem Grafiker Hans Husel und von dem Maler und Grafiker Heinz Diesel.

Nach ein paar Jahren zog ich mich Ende 1975 als Mitherausgeber zurück, teils wegen politischer Differenzen mit den anderen Herausgebern, teils, weil meine Lebenssituation sich verändert hatte. Die alten Frontstellungen hatten sich für mich verwischt. Später begann ich dann wieder für den SR zu arbeiten, zunächst für die Unterhaltung, den Kinderfunk, die Literatur. Zum aktuellen Journalismus kam ich über die Magazine von SR 3 Saarlandwelle.

Rainer Petto als SR-Redakteur. (Foto: Rolf Ruppenthal)
Rainer Petto als SR-Redakteur.

Manchmal werde ich gefragt, wie ich in der „Einzelheiten“-Zeit den Widerspruch ausgehalten habe, einerseits gegen den Saarländischen Rundfunk zu schreiben und andererseits dort mitzuarbeiten. Es war für mich gar kein Widerspruch. Ich hatte es ja nicht mit „dem“ Saarländischen Rundfunk, sondern mit manchen seiner Führungskräfte. So schwarz dort oben mancher war, so rot waren viele andere an der Basis, also die, die das Programm machten. Von dort bekam ich viele Informationen, dort war man froh, dass wenigstens von außen Kritik am Sender geübt wurde. Schließlich war es eine öffentlich-rechtliche Anstalt und nicht der Privatbetrieb von ein paar Leuten.

Redaktion für den Arbeitskreis SR-Geschichte: Axel Buchholz (ab); Mitarbeit: Eva Röder (Gestaltung/Layout), Sven Müller (FS-Archiv), Roland Schmitt/Fotos/Recherche

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