Heinrich Kalbfuss: moderierte 30 Jahre lang „Fragen an den Autor“  (Foto: G. Heisler)

„Match am Sonntag“: Die ersten drei Jahrzehnte „Fragen an den Autor“

 

„Eine wohl abgewogene Verknüpfung von Unterhaltung und Kultur-Information“: Das versprach SR-Intendant Dr. Franz Mai den Hörerinnen und Hörern 1964 bei der Einführung der neuen „Europawelle Saar“. Es war kein leeres Versprechen. Das bewies besonders auch die Sendung „Fragen an den Autor“: ein einstündiges Wortprogramm ohne einen einzigen Musiktitel. Es war ein gewagter Versuch, „wertvolle Bildungsgüter an die Massen der Menschen“ (Mai) heranzutragen. Bei der Premiere am 5. Januar 1969 saß Heinrich Kalbfuss am Mikrofon. Er blieb dreißig Jahre lang der Moderator. Und machte „Fragen an den Autor“ zu einem Erfolgsformat. Dreierlei kam dabei zusammen: die interessanten Themen der Bücher, erfolgreiche und häufig sehr prominente Autorinnen und Autoren sowie eine gekonnte Moderation, die Anspuchsvolles engagiert und verständlich vermittelte.

Von Heinrich Kalbfuss

Ein Match ist eine Partie, ein Wettstreit, eine Auseinandersetzung, aber Match ist auch ein Streichholz, mit dem sich etwas entzünden lässt – keine üble Metapher für eine Dialogsendung des SR. Match meint hier keinen sportlichen Kampf mit Sieg oder Niederlage, sondern den intellektuellen Diskurs über ein Buch. 

Die Sendung „Fragen an den Autor“ begann 1969 und ist heute noch sonntäglich zu hören, jetzt von neun bis zehn Uhr zu hören statt wie fast 50 Jahre lang ab elf Uhr. Ich war von Anfang an dabei. Das heißt: Ich habe an schätzungsweise 1500 Sonntagvormittagen etwa 1500 teils umfangreiche und teils schlanke Bücher vorgestellt – fesselnde, komplizierte und eher überflüssige. Zusammen mit einer umfangeichen Privatbibliothek füllen sie nun staubsammelnd deckenhohe Regalwände in meinem Arbeitszimmer und machen jeden Gedanken an Umzug zu einem Albtraum.

Wie kam es zu dieser ungewöhnlich erfolgreichen Sendereihe? Sie entstand im Kopf des damaligen Programmdirektors Dr. Wilhelm Zilius. Zu günstiger Sendezeit, also am späten Sonntagvormittag, sollte jeweils ein Buchautor eine ganze Stunde lang zu einem seiner Werke befragt werden. Hörer konnten und können sich telefonisch in das Gespräch einschalten, was eine spannungsreiche „Live-Sendung“ bedeutet. Jeweils drei Anrufer wurden und werden durch Los ermittelt und erhalten das besprochene Buch gratis.

Dr. W. Zilius (Foto: J. C. Schmidt)
Hörfunk-Programmdirektor Dr. Wilhelm Zilius hatte die Idee zu „Fragen an den Autor“ (Foto: SR)

Die vorherrschende Meinung fast aller Kollegen war wenig ermunternd: Ein einstündiger „Wortblock“ am Sonntagmorgen in einem „Massenprogramm“ – das kann nicht gut gehen. Wenn manch einer vielleicht noch im Bett liegt, andere beim verspäteten Frühstück oder Frühsport sind, beim Zeitunglesen oder Plaudern nebst Frühschoppen entspannen und Mutti das Mittagessen vorbereitet – da erwartet man vom Rundfunk unterhaltende Musikberieselung, aber keine anspruchsvollen und daher anstrengenden Gespräche. Nach spätestens einem halben Jahr sei der „Spuk“ wegen mangelnder Einschaltquoten beendet, war „man“ sich sicher. Auch ich dachte das.

Presseinfo Fragen an den Autor (Foto: SR)
Die SR-Programmzeitschrift „SR Information“ im Januar 1973 zu „Fragen an den Autor“, im Bild: Alfred Grosser

 

Wir alle hatten Unrecht. Hörer sind anspruchsvoller, als manche Redakteure sich vorstellen, gestern wie auch heute. Die „Europawelle“, damals ein sehr starker Mittelwellensender, konnte in ganz Deutschland und weit darüber hinaus empfangen werden. Doch für die erstaunlich rasche Verbreitung und Beliebtheit von „Fragen an den Autor“ sorgte eine List des damaligen Intendanten Dr. Franz Mai. Seine „Europawelle“ sollte ja durch ein „volkstümliches! („Was ist das eigentlich?“, fragten sich manche im Haus) buntes, „populäres“ Unterhaltungs- und Ratgeberprogramm möglichst viele Hörer gewinnen und durch nachweisbar hohe Einschaltquoten gute Werbeeinnahmen kreieren. Die List bestand nun darin, in diesen eher populären Musik-und Plauderteppich anspruchsvollere Sendungen einzubetten, und das so überraschend, dass die Hörer das Umschalten vergessen würden.

Dr. Franz Mai (Foto: R. F. Oettinger)
SR-Intendant Dr. Franz Mai wollte „Unterhaltung und Kultur-Information“ auf der „Europawelle Saar“.

 

Auf diese Weise gelangten schließlich die „Fragen an den Autor“ zu mehr als hundert- bis hundertfünfzigtausend Interessenten pro sonntäglicher Sendung. Eine erstaunliche Zahl! Und die Sendung behauptet sich seit nun schon seit fast einem halben Jahrhundert, wenn inzwischen auch auf „SR 2 KulturRadio“.

Wieso vertraute Dr. Zilius ausgerechnet mir ein solch umfangreiches Hörfunkexperiment an? Ganz so leichtfertig, wie es scheinen mag, war es nicht. Als Dr. Zilius 1961 von einem angesehenen Verlag als Neuling zum Rundfunk kam, da hatte ich ihm schon 13 Jahre Rundfunk-Erfahrung voraus: seit 1948 als freier Autor für den SR (damals noch „Radio Saarbrücken“), dann als Lektor in der Hörspielabteilung und schließlich als Leiter der Abteilung Schul- , Jugend- und Kinderfunk. Ab 1963 wieder ein freier Journalist, hatte ich anschließend für mehrere andere ARD-Sender und auch den SR in aller Welt Fernseh-Features produziert. Dr. Zilius vertraute mir also.

Bernd Schulz (Foto: R. F. Oettinger)
Bernd Schulz, war bekannt als einer der Moderatoren der Magazinsendung „Kultur aktuell“. Zeitweise hatte er auch die Redaktion von „Fragen an den Autor“.

 

Die Buchauswahl für „Fragen an den Autor“ leisteten Redakteure, während der Anfangsjahre auch im Gespräch mit mir. Besonders gern erinnere ich mich an meinen Kollegen und Freund Bernd Schulz, an Friedrich Hatzenbühler, Günter Lösing und vor allem an Dr. Irmengard Peller-Séguy. Naheliegend, dass man wichtige aktuelle Neuerscheinungen von deutschsprachigen oder gut deutsch sprechenden Autoren bevorzugte. Unter den vielen hundert Namen nenne ich nur einige, die mir in lebhafter Erinnerung sind: die Theologen Hans Küng, Heinz Zahrnt, Eugen Drewermann sowie Ruth und Pinkas Lapide, Dr. theol. Dr. med. Dr. phil. Klaus Thomas, die Psychoanalytiker Alexander Mitscherlich und H. E. Richter, die Journalisten und Publizisten Hoimar von Ditfurth, Marcel Reich-Ranicki, Henri Nannen, Peter Scholl-Latour, Günter Wallraff, Ulrich Wickert, Alfred Grosser, Golo Mann undGabriele Krone-Schmalz, dann Carlo Schmid, Hildegard Hamm-Brücher, Uwe Barschel, Oskar Lafontaine usw. usf.

Ich hielt es immer für sinnvoll, auch verstorbene Schriftsteller der Weltliteratur durch sachkundige Autoren in unser Programm aufzunehmen, einfach um Bildung zu vermitteln und Respekt vor großen Köpfen der Vergangenheit aufzufrischen. Leider wurde daraus nichts. Doch hier liegt die zweite Bedeutung des englischen Begriffs „match“, nämlich „Streichholz“ zum Entzünden von Lust zur Bildung. Das war ein erklärtes Ziel unserer Sendereihe, nämlich Aufklärung im weitesten Sinn. „Man kann den nur schwer hinters Licht führen, dem es einmal aufgegangen ist“, heißt es in einem Sprichwort.

Buchcover: Ditfurth "Kinder des Weltalls" (Foto: Hoffmann und Campe)
Cover des Buches „Kinder des Weltalls“ (1970), zu dem sein Autor, der Arzt, Schriftsteller und Fernsehmoderator Hoimar v. Dithfurt von Heinrich Kalbfuss befragt wurde

 

Allerdings gab es dabei ein Problem, mit dem ich Jahrzehnte zu tun hatte: Nicht jeder, der gründlich denken und noch so klug darüber schreiben kann, ist in der Lage, das auch mündlich so auszudrücken, dass es der Zuhörer wirklich versteht. Da können gewisse Autoren nach weitschweifigen Einschüben, bemühten Ergänzungen und enigmatischen Kommentaren das längst fällige Verb zuweilen gar nicht mehr aufspüren. Es wurde unter Geröll von „Ähs“ und „Jahs“ und „Hms“ verschüttet, untergegangen auf Nimmerwiederhören. Wer’s im Kopf noch nicht klar hat, sagte ein kluger Mann, der sollte mit dem Sprechen und Niederschreiben warten, bis es soweit ist und solange die Umwelt verschonen. Nur lässt eine Live-Sendung derartige Denkpausen gar nicht zu.

Ein „Match mit Autoren“ also? – Ja, in gewisser Hinsicht war es jeweils ein Wettstreit um das Gelingen der inhaltlichen und rhetorischen Darstellung. Immer wieder erfuhr ich von Zuhörern „Anerkennung“ für meine angeblich umfassende Bildung, bewiesen durch rhetorische Standfestigkeit bei all den unterschiedlichen und häufig anspruchsvollen Themen und ihren Vertretern. Natürlich schmeichelt so etwas gerade nach mancherlei berechtigter Kritik. Die für mich wichtigste kam vom Programmdirektor, also Dr. Zilius, der nahezu alle Sendungen seines umfangreichen Programmbereichs anhörte, eben auch meine.

Buchcover: Eich Fromm "Anatomie der menschlichen Destruktivität" (Foto: dva)
Oft gab es auch schwierige Themen in „Fragen an den Autor“: Zu seinem Buch „Anatomie der menschlichen Destruktivität" (1974) war der deutsch-amerikanische Psychoanalytiker, Philosoph und Sozialpsychologe Erich Fromm als Gast in der Sendung

 

Bei einer der wöchentlichen Programmsitzungen sagte er mit unverwechselbar berlinerisch getönter Stimme: „War jestern nicht schlecht, Kalbfuss, nein, war nicht schlecht. Aber ich erinnere: Unsere Sendung heißt ‚Fragen an den Autor‘, unn nich ‚Fragen an den Moderator‘.“ Er hatte – leider! – völlig recht. Manchmal waren Autoren zunächst gehemmt durch die unvertrauten Umstände eines Gesprächs vor vielen tausend unsichtbaren Zuhörern und gelegentlich schwer deutbaren telefonischen Hörerfragen. Ich ließ mich dann leicht zu persönlichen Statements verleiten, obgleich meine Meinung gar nicht gefragt war – eine Selbstüberschätzung, ein peinlicher Anfängerfehler (begangen von einem „alten Hasen“).   

Kalbfuß mit Steinbuch im Studio (Foto: SR)
Gesprächspartner im Studio von „Fragen an den Autor“ war auch der Bildungsforscher Prof. Dr. Karl Steinbuch (links, daneben Heinrich Kalbfuss)

Was damals zum Gelingen der Sendungen beitrug, war die Atmosphäre. In einem modernen Aufnahmestudio erinnert sie heute an die Intimität eines Operationssaals. Damals hockten die Gesprächspartner noch an einem Tisch vor umfänglichen Mikrophonen, immer bemüht, wegen der Lautstärke den angemessenen Abstand einzuhalten. Hinter einer Glasscheibe saß ein Techniker und steuerte die Sendung. Wegen der Einspielung der Telefonanrufe mit den Fragen und Kommentaren der Hörer war man auf seine Aufmerksamkeit und fachliche Kompetenz angewiesen.

Häufiger wurden die „Fragen an den Autor“ aber auch als Außenübertragung gesendet. In großen Sälen vor Ort irgendwo im Land hatten wir so unmittelbaren Kontakt zu unseren Hörerinnen und Hörern – und sie auch zu unseren prominenten Gästen. Ihre Fragen kamen dann über Saalmikrofone direkt in die Sendung – alles live, versteht sich.

Kalbfuß auf der IFA mit Autor Lothar Gall (Foto: sfb)
Als öffentliche Sendung auf der Internationalen Funkausstellung in Berlin: „Fragen an den Autor“ mit Lothar Gall (rechts, daneben Heinrich Kalbfuss)

Oft wurde und werde ich gefragt: „Haben Sie denn wirklich all diese Bücher in ihrer Bibliothek gelesen?“ Es handelt sich schließlich nicht nur um die etwa 1500 meiner Sendung „Fragen an den Autor“, sondern um erheblichen Privatzuwachs von Jahrzehnten. Das bedarf keiner Bewunderung, denn ich habe sie durchaus nicht alle gelesen. Ich erhielt das Buch für den nächsten Sonntag meist eine Woche zuvor. Zunächst blätterte ich neugierig darin, um herauszufinden, was mich denn wirklich interessierte, und das las ich dann auch.

In nur wenigen Gebieten kenne ich mich eínigermaßen zuverlässig aus: Philosophie, Psychotherapie und Theologie; vieles andere regt mein Interesse an und ich möchte gern Näheres erfahren. Diese Neugier war und ist das Hauptmotiv bei den notwendigen intellektuellen Ausflügen in unvertrautes Gelände, aber mit ihr rechnete ich auch bei den Zuhörern. Die meisten waren so wenig fachkundig wie ich, sie erwarteten aber kein wissenschaftliches Seminar, keine Volkshochschule, sondern ein verständliches, anregendes Gespräch, das nicht überfordert, sondern zu eigenem Nachdenken ermuntert.

Buchcover: Oskar Lafontaine "Der andere Fortschritt" (Foto: Hoffmann und Campe)
Cover des Buches „Der andere Fortschritt“ (2. Auflage 1985). Der Politiker und Autor Oskar Lafontaine beantwortete Fragen dazu in „Fragen an den Autor“

 

Ich begnügte mich damit, einige Gedanken des jeweiligen Autors herauszugreifen und als Fragen in unser Gespräch einzubringen, vielleicht auch als Zitat, denn das gilt ja als Beweis gründlichen Lesens. Das bluffologische Resultat: der Autor fühlte sich von mir als kundigem, „engagiertem“ Frager ernst genommen, die Hörer überschätzten (wunschgemäß) mein intellektuelles Niveau, und nicht zuletzt bereitete mir dieses radiophonische Unternehmen drei Jahrzehnte lang sonntäglichesVergnügen, gottlob vielen Hörern offenbar auch.

Aktuelles Plakat zu einer Außenübertragung „Fragen an den Autor“

Die Mehrzahl der Autoren kam (falls ich mich zuverlässig erinnere) zur Sendung nach Saarbrücken. Ich holte sie sonntagmorgens im Hotel ab und uns blieb dann eine knappe Stunde zum Kennenlernen und für ein Vorgespräch. Eine erhebliche Schwierigkeit lag darin, dass manche Prominente jedoch keine Zeit haben oder sich keine nehmen. Sie ließen sich „per Leitung“ von einem Rundfunkstudio irgendwo in Deutschland oder auch in Europa zuschalten. Dann beschränkte sich das Vorgespräch auf wenige Minuten. In der Sendung fehlt dann aber auch das durch Gestik und Mimik präsente Gegenüber. Das erschwert spontane Verständigung sowohl für den Autor wie für seinen Gesprächspartner, den Moderator.

Mein persönliches Fazit? – Wenigstens die Hälfte aller meiner Sendungen schien mir gelungen, ein weiteres Drittel „passabel“, der Rest leider kaum erwähnenswert, für mich eine positive Bilanz, nicht zuletzt durch eine weitgehend kollegiale und auch dringend notwendige Kooperation mit der jeweiligen Redaktion.

Was veranlasste mich 1999 nun dazu, nach so langer Zeit, meine freie Mitarbeit beim SR und meine Tätigkeit als Moderator von „Fragen an den Autor“ zu beenden? Zunächst genau das, die lange Zeit nämlich. Aber auch meine mangelnde Bereitschaft zu Kompromissen. Die Buchauswahl schien mir zu sehr auf Ratgeberniveau abzugleiten und sich zu wenig an den Maßstäben der intellektuell herausragenden Wochenzeitung „Die Zeit“ auszurichten. Denn das war die mir vorschwebende, anspruchsvolle Orientierung.

Porträt Kalbfuß (Foto: privat)
Heinrich Kalbfuss

Nach mehr als einem halben Jahrhundert unterschiedlichster Verbundenheiten mit dem SR bekenne ich meine strapazierte, aber trotz allem persistierende Sympathie zu dieser publizistischen Einrichtung auf dem Saarbrücken überragenden Hügel „Halberg“ und für viele seiner Mitarbeiter. Das alles hat mein Leben wesentlich mitbestimmt. Immer wieder begegnen mir überraschend Menschen, die mich heute noch plötzlich ansprechen und sich an meine längst aufgegebene Mitarbeit bei „Fragen an den Autor“ erinnern. Das ist für mich wie ein animierendes Klopfen auf die Schulter, eine Bestätigung, die wenige Monate vor dem 90. Lebensjahr gut tut und das morgendliche Aufstehen erleichtert – hinreichender Anlass zu anhaltender Dankbarkeit!

Redaktion für den Arbeitskreis SR-Geschichte: Axel Buchholz (ab); Mitarbeit: Eva Röder (Gestaltung/Layout), Roland Schmitt (Fotos und Recherche)

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