Petra Michaely (Foto: privat)

Petra Michaely: Journalistin der Sozialreportage

 

Von Axel Buchholz

Die Berufsbezeichnung besagt es: Journalisten arbeiten für den Tag. Hören sie damit auf, sind sie meist schnell vergessen. Nicht so Petra Michaely (*1925; † 2000). Eine Frauen-Initiative will eine Straße nach ihr benennen. Und zwölf Jahre nach dem Tod der SR-Journalistin und Schriftstellerin entsteht nun eine Doktorarbeit über sie.

Petra Michaely gehörte ab 1946 zu den ersten Mitarbeitern von Radio Saarbrücken. Und blieb dem SR rund 50 Jahre treu – auch wenn sie außerdem für viele Zeitungen und Sender in ganz Deutschland und als Buchautorin arbeitete. Sozialreportagen waren ihre Stärke. Für eine über die Problematik von lebenslangen Haftstrafen erhielt sie 1969/70 den renommierten Theodor-Wolff-Preis.

Privatdozent Dr. Sinkander Singh, Leiter des zur Saarländischen Universitäts- und Landesbibliothek gehörenden Literaturarchivs Saar-Lor-Lux-Elsass, betreut als Doktorvater die Arbeit über Petra Michaely. Er und der Wissenschaftliche Mitarbeiter im Literaturarchiv, Dr. des. Hermann Gätje vermittelten den Kontakt zu Doktorandin Amelie Schneider. Sie lebt in Burgdorf bei Hannover. Axel Buchholz fragte die Germanistin nach ersten Ergebnissen ihrer Arbeit.

Axel Buchholz: Frau Schneider, Sie haben mit Petra Michaely erst sprechen können, als sie bereits schwer krank war. Was ist die wichtigste Frage, die Sie ihr jetzt gern noch stellen würden?

Amelie Schneider: Es sind drei: Petra Michaely hat seit 1939, als sie ein junges Mädchen war, fast ununterbrochen Tagebuch geführt und zwar in einem eher berichtenden Stil. Selten sind innere Auseinandersetzungen festgehalten. Eindeutige politische Äußerungen gibt es nicht. Warum diese Distanz?

Und: Sie hat aus einem Ihrer Kriegstagebücher einige Seiten herausgerissen, die die direkten Tage nach dem großen Bombenangriff auf Saarbrücken im Oktober 1944 beschreiben müssten. Warum?

Und warum fehlen Tagebücher aus den 1950er Jahren?

Sie haben bereits Ihre Examensarbeit über Petra Michaely geschrieben. Nun beschäftigen Sie sich sogar über Jahre hinweg mit ihr. Für Ihre Arbeit haben Sie den gesamten Nachlass und die bislang unveröffentlichten Tagebücher zur Verfügung.

Was fasziniert Sie an Petra Michaely so sehr?

Sie fängt mit 14 Jahren an, täglich zu schreiben. Ihre Lebenskrisen durchlebt sie schreibend. Selbst als sie schwer an Alzheimer erkrankt, schreibt sie noch, so lange es irgendwie geht. Es ist eine tief sitzende, unerschütterliche Leidenschaft.

Ihre Rolle als Mutter und Ehefrau nimmt sie ernst, aber niemals hätte sie ihr Schreiben gelassen, auch wenn es Zeiten gab, in denen sie nur wenige Momente dafür zur Verfügung hatte.

Und es gelingt ihr, das Schreiben zum Beruf zu machen – ein Leben lang. Und zwar in einer Qualität, die ihr mehrere Preise einbrachte. In einer Zeit, in der es für eine Frau mit Sicherheit nicht einfach war, so eigenständig ihre beruflichen Ziele durchzusetzen, ist ihr aber genau das gelungen. Das fasziniert mich an Petra Michaely.

„Petra“ ist ja ein „Künstlername“, denn mit Geburtsnamen hieß sie Paula Michaely. Petra gefiel ihr aber besser. Deshalb nannte sie sich so und auch eine ihrer drei Töchter.

Was war Petra Michaelys Antrieb, sich vor allem mit sozialen Themen zu befassen?

Das tut sie ja erst seit Mitte der 1960er so engagiert. In Ihrer Rede anlässlich des Theodor-Wolff-Preises 1969/70 sagte sie "dass nicht etwa soziales Engagement, sondern ein paar Zufälle" die "ersten Berichte über Randgruppen und Sozialarbeit [haben] entstehen [lassen]."

Diese Zufälle sind Programmänderungen und Gespräche im Bekanntenkreis. Und warum sie dabei blieb, erklärte sie so: "Wer lange Sozialreportagen gemacht hat, dem fällt zum Thema 'heile Welt' bestimmt nichts mehr ein."

Petra Michaely hat ihre journalistische Ausbildung noch in der Hitlerzeit bei der NSZ Westmark begonnen. In der Saarbrücker Redaktion dieser amtlichen Nationalsozialistischen Zeitung für den Gau Westmark bekam sie in der Saarbrücker Redaktion (in der Nähe vom Hauptbahnhof) einen Vertrag als „Schriftleiterin in Ausbildung“.

War sie als junge Frau vom Nationalsozialismus überzeugt?

Amelie Schneider: Sie äußert sich an keiner Stelle direkt. Die meisten Einträge im Tagebuch drehen sich um typische Schulmädchengeschichten, Tanzen, Kino, Mode etc. Erst als Kameraden im Krieg fallen, wird sie nachdenklicher. Reichsarbeitsdienst und Kriegshilfsdienst macht sie notgedrungen mit, ist aber nicht begeistert.

Bei der Nationalsozialistischen Zeitung landet sie im April 1944, weil sie eine Ausbildung machen muss und nur einen Platz bekommt, wenn der als kriegswichtig eingestuft wird. Da ihre Leidenschaft nun mal das Schreiben ist, war es naheliegend, bei der Zeitung anzufangen. Ich würde hier nicht von einer politisch motivierten Handlung sprechen.

Wie hat sie später den Nationalsozialismus selber gesehen?

Auch später äußert sie sich nicht konkret dazu. Es gibt eine Stelle im Tagebuch vom 9.05.1945, also direkt nach Kriegsende, wo sie schreibt:
"Wenn ich Nachrichten höre, werde ich stets von Neuem erschüttert über die Masse der Lügen, die ich Würmchen glaubte. Für dieses Lügengespinst habe ich also meine Jugend geopfert und bei Bauern und in Fabriken zugebracht. Daneben sehe ich aber immer noch das Gute, aber mir deucht allmählich, daß dies alles nur Mittel zum Zweck war."

Später hielt sie wohl Distanz zur Politik?

Es gibt die private Aussage aus einem Interview mit ihrem (zweiten) Ehemann, dem Förster Heinz Brehm, dass Religion und Politik Privatsache für sie gewesen seien. In ihrer Rede zum 25-jährigen Jubiläum des Saarländischen Journalistenverbandes sagte sie jedoch, dass sie als Journalistin manchmal die Sehnsucht habe, "Bäcker zu sein, ein Bäcker, der unter jeder Regierung unangefochten und allseits geschätzt die gleichen guten Brötchen backen darf, aber man sei als Journalist eben kein Bäcker und müsse aufpassen, dass man nicht manipuliere und auch nicht manipuliert werde."

Nach dem Krieg, am 28. Februar 1946, bewarb sie sich bei Radio Saarbrücken, bevor noch der Sender offiziell eröffnet wurde. Sie war zuerst Praktikantin, dann Redakteurin. Äußert sie sich zu ihrem ersten Eindruck damals?

Oh, hier gibt es einige Zitate, die die Atmosphäre dieser Anfänge gut wiedergeben! So schreibt sie am 17.3.1946: "Meinen Bericht habe ich abgeliefert. Ob er angenommen wird, weiß ich noch nicht. Morgen soll ich wieder fragen. Anscheinend weiß man gar nicht, was man mit mir anfangen soll. Wenn das so weitergeht, komme ich mir furchtbar überflüssig vor."

Über die Eröffnung des Senders heißt es dann am 25.3.1946: "Am 17. März wurde der Sender feierlich eröffnet. Vor lauter Sekt, Wein und Buttercremeschnitten war mir ganz schlecht und ich mußte früher heimgehen. Seither arbeite ich in der Redaktion. Die täglichen Saarnachrichten bereiten mir viel Kummer. Ein Interview mit Bürgermeister Detjen über den Wiederaufbau der Stadt habe ich bereits hinter mir."

Anfang Juli 1946 klagt sie dann: "[Alle] sind [...] dauernd müde, schwach, anfällig. Das gute Essen im Rathauskeller gibt es auch nicht mehr. Der Rundfunk bemüht sich überhaupt nicht, um durch eine Betriebsküche zu helfen."

Festangestellt war sie nur sehr kurz, bis Ende 1946. Wollte sie dann lieber frei arbeiten?

Sie wollte eine Familienphase einlegen.

Hat Petra Michaely etwas darüber hinterlassen, wie sie das politische Klima und die Arbeitsbedingungen bei Radio Saarbrücken beurteilte?

Nein, hat sie leider nicht.

Nach der Rückgliederung des Saarlandes 1957 arbeitete sie als Journalistin dann weiter beim SR – zum dritten Mal unter anderen politischen Rahmenbedingungen.

Sie wollte zuerst eine Festanstellung haben, was nicht gelang. So musste sie also frei arbeiten. Sie tat es dann bundesweit mit Erfolg und wollte dann ihre Freiheit nicht mehr aufgeben. Das spricht ja auch für sich.

Und die Arbeitsbedingungen beim SR – wie empfand sie die?

Petra Michaely hat sich erst 1972 in ihrer Rede zum 25jährigen Jubiläum des Journalistenverbandes darüber beschwert, dass sich die Publikationsmöglichkeiten der Autoren im Saarland sowohl bei der Saarbrücker Zeitung als auch beim Saarländischen Rundfunk wesentlich verschlechtert haben. Sie warf dem Sender auch vor, seinen erzieherischen Aufgaben als Anstalt des öffentlichen Rechts – in diesem Falle die Weckung des Interesses an den Autoren des Landes – nicht ausreichend nachzukommen.

Als freie Autorin hat Petra Michaely für Printmedien (zum Beispiel für die Frankfurter Allgemeine Zeitung, viel auch für die Saarbrücker Zeitung) geschrieben. Sie arbeitete fürs Radio und (weniger) fürs Fernsehen und als Buch-Autorin. Sah sie sich selbst eher als Schriftstellerin oder als Journalistin?

In erster Linie als Journalistin.

Wie viele Bücher, längere Radio- und Fernseh-Beiträge und Zeitungsartikel umfasst wohl ihr Werk?

Der gesamte journalistische und schriftstellerische Nachlass umfasst rd. 40 Ordner mit Manuskripten bzw. Typoskripten seit 1945. Das sind alles dünne Durchschlagpapiere.

Es gibt darin einige wenige Tonbänder und dokumentarisches Material wie Ausweise, Zeugnisse und vor allem die Tagebücher von 1939 bis 1992.

Welche sehen Sie als Petra Michaelys bedeutendste Arbeiten an?

Es gibt da die Sozialreportagen, die viel bewegt haben und für die sie diverse Preise erhalten hat.

Aber für bedeutend halte ich auch ihren mehr oder weniger unbeachteten autobiographischen Roman „Die Wandlung der Karola Martin. Kriegseindrücke eines jungen Mädchens“. Er ist 1984 als Vorabdruck in der Saarbrücker Zeitung und dann im Saarbrücker Druckerei Verlag erschienen. Da er auf den Tagebuchaufzeichnungen aus dem Krieg basiert, die sie unverändert dokumentarisch einarbeitet, ist der Roman absolut authentisch. Allein schon durch die Erzählweise zeigt sie das behutsame Sichherantasten einer Erwachsenen an ihre Jugend in schlimmen Zeiten.

Vier Jahre zuvor liefen diese Erinnerungen bereits unter dem Titel „Der Krieg der Karola Martin“ als dreiteiliges Hörspiel beim SR.

Nach einer Familienserie für den SR war schon 1980 das Buch „Eltern zwischen gestern und morgen“ entstanden (Punkt Verlag, Berlin).

Als freie Journalistin verstand Petra Michaely es gut, ihre Arbeiten zu „vermarkten“. Einmal Recherchiertes verkaufte sie oft in unterschiedlicher Bearbeitung an Zeitungen, Radiosender, manchmal auch ans Fernsehen, zweimal an Buchverlage.

Hatte sie denn ein Lieblingsmedium?

Ja, das war das Radio. Sie liebte es, mit dem offenen Mikrophon in soziale Brennpunkte zu gehen, um authentische Berichte der Betroffenen einzusammeln und für Features zu verarbeiten.

Für wen hat sie den mit dem Theodor-Wolff-Preis 1969/70 ausgezeichneten Beitrag über die lebenslange Gefängnisstrafe geschrieben?

Die Sendung hieß "Lebenslänglich" und wurde am 6.3.1968 im Hessischen Rundfunk ausgestrahlt.

Darüber hat die „Frankfurter Allgemeine“ zwei Tage später berichtet. Aber offenbar unvollständig. Denn kurz darauf kritisierte die „Saarbrücker Zeitung“, dass in der Frankfurter Presse der Saarländische Rundfunk als der „erste Produzent dieser Gemeinschaftssendung mit dem Hessischen Rundfunk …nirgendwo erwähnt“ sei.

Und tatsächlich war die Ausstrahlung von "Lebenslänglich" im SR-Winterprogrammheft bereits für den 11. 2. angekündigt – also vor dem HR.

Dann spricht viel dafür, dass der SR tatsächlich Koproduzent war und sich ebenfalls indirekt mit dem Theodor-Wolff-Preis "schmücken" könnte. Nach meiner bisherigen Recherche kann ich aber verbindlich dazu noch nichts sagen.

(Redaktionelle Anmerkung: Nach dem Interview mit Amelie Schneider ergaben weitere Recherchen der Archive von HR und SR: Bei dem preisgekrönten Feature "Lebenslänglich" handelte es sich tatsächlich um eine Ko-Produktion beider Sender, die vom SR produziert wurde.)

An Petra Michaely erinnern sich ihre früheren SR-Redakteure Heinrich Kalbfuß (*15. 1.1927; † 26. August 2017), Fred Oberhauser (*15.7.1923; †7.2.2016) und Dr. Franz-Josef Reichert (*21.5.1934; † 15.4.2012) ganz übereinstimmend: Sie habe sich nie in den Vordergrund gedrängt, sei zurückhaltend gewesen, dabei aber beharrlich in der Sache und sehr sozial eingestellt.

Hatte sie selbst denn das Gefühl, mit diesem sozialen Engagement etwas bewirken zu können?

Ja, das hatte sie. Als nach dem Erscheinen der Sendung "Lebenslänglich" ein ihr unbekannter Kollege einen sehr ausführlichen Artikel zu dieser Sendung schrieb und ihn an alle größeren Zeitungen verkaufte, wollte sie erst juristisch dagegen vorgehen, ließ es jedoch, als sie bemerkte, dass eine lebhafte Diskussion entstanden war und man allgemein auf die Situation der sogenannten "Lebenslänglichen" aufmerksam geworden war.

Petra Michaely starb im Jahr 2000 nach langer und schwerer Krankheit. Fühlte sie sich über die Preise hinaus am Ende ihres Lebens entsprechend gewürdigt in ihrem journalistischen Engagement?

Sie war immer sehr zurückhaltend, eher bescheiden, es ging ihr nicht um ihre Person sondern immer um die jeweiligen Themen. Sie hat es jedoch bedauert, dass ihr autobiographischer Roman so wenig Verbreitung fand.

Blieb sie – so lange sie arbeiten konnte – eine begeisterte Journalistin?>

Oh, ja – unbedingt. Davon zeugen ihre letzten Briefe an Radiosender, Verlage und natürlich ihre Tagebücher. Obwohl es ihr 1992 sichtlich schwer gefallen sein muss, noch gute Formulierungen zu finden, hatte sie noch Pläne. Eine ihrer letzten Arbeiten war ein Feature für den SR über fast 190 Feldpostbriefe eines jungen saarländischen Paares aus dem Zweiten Weltkrieg, die sich jetzt im Nachlass befinden. Sie hatte den Plan, daraus noch einen Roman zu machen.

Und begeisterte Saarländerin war sie ebenfalls zeitlebens?

Ja, mit Sicherheit. Das hätte auch ihr letztes Projekt noch einmal deutlich gemacht.

Die Saarbrücker Frauenbibliothek hat 2011 vorgeschlagen, eine Straße nach ihr zu benennen. Hat sich Petra Michaely denn in ihrer Arbeit speziell für die Rechte der Frauen eingesetzt?

Es war ihr immer wieder ein Anliegen, auf Missstände aufmerksam zum machen. Sie hat zum Beispiel Ende der 1950er/1960er Jahre mehrere Reportagen über die Situation der Frauen in Marokko, auf Zypern und in anderen Ländern geschrieben. Zahlreiche Glossen nehmen alltägliche Frauenthemen kritisch und ironisch ins Visier.

Sie hat immer wieder erwartet, dass Frauen gleichberechtigt behandelt werden. Und sie selber war sehr unerschrocken, sich diese Rechte zu nehmen. So ist sie z.B. eine der ersten Frauen gewesen, die ab Ende der 1950er, Anfang der 1960er Jahre mit offenem Mikrophon in soziale Brennpunkte gegangen sind.

Was würde Petra Michaely wohl jungen Journalisten heute mit auf den Weg geben?

Ihr Rat wäre mit Sicherheit, sich in jedem Fall immer treu zu bleiben, sorgfältig zu recherchieren, hundertprozentig zuverlässig zu sein und ein Vertrauensverhältnis zum Gegenüber aufzubauen und das niemals zu missbrauchen.

Redaktion für den Arbeitskreis SR-Geschichte: Axel Buchholz; Mitarbeit: Jutta Grünewald, Magdalena Hell, Bert Lemmich, Sven Müller, Karl-Heinz Schmieding, Michael Fürsattel, Roland Schmitt

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