Eine Frau hält sich eine Maske mit einem lachenden Mund vor das das Gesicht (Foto: picture alliance / marshi/Shotshop | marshi)

Wenn Positives Denken krank macht

Anne Staut   21.03.2024 | 08:48 Uhr

Einfach positiv denken und schon lösen sich alle Probleme? So einfach ist es leider nicht. Im Gegenteil: Wer nur noch schöne Gefühle zulässt und alle anderen ausblendet, schadet sich und anderen.

Optimistisch durchs Leben zu gehen, wirkt sich positiv aus und macht vieles leichter. So hat eine Studie der Universität Trier aus dem Jahr 2020 etwa nachgewiesen, dass positive Emotionen dafür sorgen können, dass das Stresslevel sinkt.

Auch die Kinder- und Jugendpsychiaterin Eva Möhler, die an der Uniklinik in Homburg den Lehrstuhl für Kinder- und Jugendpsychiatrie inne hat, hält eine positive Grundhaltung für "eine hilfreiche Einstellung".

Dadurch hätten Menschen langfristig nicht nur eine bessere Gesundheit, der eigene Blick auf die Welt wirke sich etwa auch auf zwischenmenschliche Beziehungen aus. Wer beispielsweise die positiven Eigenschaften anderer Menschen wahrnehme und zurückspiegele, sorge damit automatisch dafür, dass sich das positive Verhalten beim Gegenüber vermehre.

"Die Wahrnehmung der Welt gestaltet auch die Welt", so die Kinder- und Jugendpsychiaterin. Grundsätzlich sei ein Fokus auf das Positive deshalb sehr gesund.

Zwanghaft positiv denken kann krank machen

Aber der positive Blick kann auch ins Gegenteil umschlagen – und zwar dann, wenn man nur noch positive Gefühle zulässt, schwierige Gefühle wie Wut, Trauer und Angst aber nicht. Dabei sind auch die wichtig, erklärt Möhler.

"Wut hilft uns mal auf den Tisch zu hauen und uns durchzusetzen, Angst ist ein ganz wichtiges Warnsignal, das uns wachsam macht, was auch manchmal wichtig ist. Trauer baut Stress ab, wenn man mal die Tränen laufen lassen kann."

Blende man diese Gefühle aus, würden Stresshormone ausgeschüttet – und das kann auf Dauer krank machen. Die Folgen können zum Beispiel Muskelverspannungen, Bluthochdruck oder auch ein Magengeschwür sein.

Wird man seinem eigenen Anspruch nicht gerecht, kann das zudem auch Scham und Schuldgefühle auslösen. "Die Menschen haben das Gefühl, mit mir stimmt was nicht, ich bin nicht ok, so wie ich bin." Das könne sogar zu Depressionen führen.

Soziale Medien können verzerrtes Bild der Realität zeigen

Dieser einseitige Blick auf die Welt, kann uns zum Beispiel in den sozialen Medien begegnen. Denn dort werden vor allem die positiven Aspekte des Lebens gezeigt. "Jeder will sich selbst gerne gut darstellen", erklärt die Leiterin des Medienkompetenzzentrums der Landesmedienanstalt (LMS), Karin Bickelmann.

Das sei grundsätzlich nicht neu. Auch früher hätte man Fotos vor allem in schönen Situationen aufgenommen. Aber: "Bei Social Media potenziert sich das Ganze", so Bickelmann. Es finde eine völlige Realitätsverzerrung statt. "Ein Bildausschnitt ist nur ein Bildausschnitt."

Kritische Auseinandersetzung hilft

Hinzu komme, dass man kaum noch ein realistisches Bild finde. Durch Filter oder Bildbearbeitung könne man sich schlanker oder schöner machen. Dadurch entstehe ein Rollenbild, das nicht mehr der Realität gerecht werde.

All das kann zu Verunsicherung führen. "Wenn man sieht, dass das Leben der anderen nur positiv ist, entsteht der Eindruck, wieso können die das und ich nicht." Bickelmann rät deshalb dazu, sich kritisch mit den Inhalten auseinander zu setzen. "Hinterfragen hilft immer."

Kindern und Jugendlichen müsse man etwa bewusst machen, das nicht alles echt sei, was gezeigt werde. Hier könne es zum Beispiel helfen, gemeinsam ein Bild etwa einer Landschaft bewusst zu bearbeiten.

Floskeln lösen keine Probleme

Aber nicht nur in der digitalen Welt, auch im direkten Austausch, kann der zwanghafte Fokus aufs Positive problematisch sein. Zum Beispiel wenn jemand die Probleme seiner Mitmenschen mit Floskeln wie "Stell dich nicht so an" oder "Das musst du einfach positiv sehen" oder "Das ist doch kein Problem" abtut.

"Dann bin ich praktisch wie ein Zug, der durch einen Bahnhof brettert und zwar in die richtige Richtung fährt, aber nicht anhält, um die Leute mitzunehmen", erklärt Möhler. Der Betroffene fühle sich dann nicht ernst genommen oder sogar angegriffen.

Wichtig sei es daher, dem Betroffenen zuerst das Gefühl zu geben, dass man seine Emotion wahrnimmt und die auch ihre Berechtigung hat. Danach könne man auch Lösungsvorschläge anbieten. "Letztlich ist es ein menschliches Bedürfnis in allen Gefühlen gesehen, wahrgenommen und ernst genommen zu werden."

Auch sich selbst sollte man das zugestehen. "Das ist das gesündeste letztlich, wenn man alle Gefühle zulassen und sehen kann und auch die Fähigkeit hat, seine schwierige Gefühlen wahrzunehmen und auch wieder zu regulieren."

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