Der jüdische Friedhof in Worms (Foto: SR/Uwe Jäger)

„Heiliger Sand“

Der jüdische Friedhof in Worms

Uwe Jäger   06.07.2020 | 06:00 Uhr

Wormser Friedhof gehört zu den ältesten und bedeutendsten jüdischen Friedhöfen in Europa. Viele berühmte Rabbiner, Kantoren und Gelehrte wurden hier begraben. Der Gang über den Friedhof ist wie ein Gang durch die Geschichte.

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„Das ist eine Kippa“, sagt Ingeborg Brauer und holt eine kreisförmige Mütze aus dünnem, dunkelblauem Stoff aus dem grauen Metallkasten neben dem Eingangstor des jüdischen Friedhofs in Worms. Die typische Kopfbedeckung jüdischer Männer verteilt sie an die männlichen Besucher der Führung. „Im Judentum tritt man nicht ohne Kopfbedeckung vor Gott“, erklärt die Gästeführerin in melodischem Rheinhessisch und schiebt hinterher „daher werden alle Männer gebeten beim Friedhofsbesuch eine Kopfbedeckung zu tragen. Das kann auch eine Mütze, ein Hut oder sogar ein Taschentuch sein. Hauptsache eine Kopfbedeckung“. Also setzen die Männer die Kippa auf ihren Kopf und die Führung beginnt.

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Tour de Kultur 2020: Der jüdische Friedhof in Worms
Audio [SR 3, Uwe Jäger, 20.07.2020, Länge: 03:08 Min.]
Tour de Kultur 2020: Der jüdische Friedhof in Worms

Von dem Vorplatz geht es durch ein kleines Eisentürchen auf den Friedhof, vorbei an einem Steinhäuschen, dem ehemaligen Leichenwaschhaus. Hinter dem Türchen erstreckt sich unter schönen alten Bäumen eine große Rasenfläche. „Darauf verteilen sich schätzungsweise 2.000 Gräber“, erzählt die Gästeführerin. „Ein großer Teil stammt noch aus dem Mittelalter und ist den Gesetzestafeln Moses nachempfunden. Der älteste Grabstein ist fast 1.000 Jahre alt. Ursprünglich waren die Grabsteine aus rötlichem Sandstein nur 20 Zentimeter in den Boden eingelassen, um die Totenruhe nicht zu stören“, erklärt Ingeborg Brauer. Mittlerweile sind viele tiefer in den sandigen Boden eingesunken und schief.

Der jüdische Friedhof wird auch Heiliger Sand genannt. „Der Legende nach ist einst ein Schiff nach Jerusalem gefahren, hat Sand aufgeladen und hierher gebracht, klingt wunderschön, aber das stimmt nicht“, sagt Ingeborg Brauer. „Wahrscheinlich war das hier eine Sandgrube, die vor über 1.000 Jahren beim Dombau entstand. Den Platz hat man dann den Juden als Friedhof zur Verfügung gestellt.“ Die Jahrhunderte und das Wetter haben Spuren auf den Grabsteinen hinterlassen. Die hebräischen Inschriften darauf sind nur noch teilweise zu lesen.

Seit 27 Jahren führt Ingeborg Brauer Besucher über den Friedhof. Die gebürtige Wormserin ist selbst oft in Israel gewesen. Das Land, die Menschen und die Religion begeistern sie. In Worms gibt sie die Begeisterung und ihr Wissen, das sie über die Jahre gesammelt hat, an die Besucher aus der ganzen Welt weiter. Viele von ihnen kommen aus den USA oder aus Osteuropa, sogar aus Asien und Südamerika und natürlich aus Israel an den Rhein.

Ein der ältesten und bedeutesten jüdischen Friedhöfe Europas

Der jüdische Friedhof in Worms (Foto: SR/Uwe Jäger)

Denn der Wormser Friedhof gehört zu den ältesten und bedeutendsten jüdischen Friedhöfen in Europa. Viele berühmte Rabbiner, Kantoren und Gelehrte wurden hier begraben. Früh entstand in Worms eine jüdische Gemeinde, die neben Mainz und Speyer im Mittelalter zu einem Zentrum jüdischen Lebens wurde. Die drei Städte wurden einst „Jerusalem am Rhein“ genannt.

Vieles, was in den sogenannten drei „SchUMstädten“ erdacht wurde, spielt im Judentum bis heute weltweit eine Rolle. „Der Begriff „SchUM“ setzt sich aus den Anfangsbuchstaben der hebräischen und mittelalterlichen Städtenamen für Speyer, Worms und Mainz zusammen“, erklärt Ingeborg Brauer beim Gang über den Friedhof. So kamen damals junge Männer aus der ganzen Welt unter anderem nach Worms, um bei den Rabbinern zu lernen. Heute kommen die Besucher, um die Gräber der einstigen Gelehrten zu besuchen.

Viele Besucher kommen wegen Rabbi Meir

Die meisten jüdischen Besucher kommen auch wegen des Grabes von Rabbi Meir von Rothenburg. Sein Grabstein, unweit des Eingangstürchens des Friedhofs, ist mit unzähligen Zetteln und kleinen Steinen bedeckt. „Zeichen besonderer Verehrung. Auf die Zettel schreiben die Besucher Wünsche und hoffen, dass der Tote als Mittler bei Gott auftritt“, sagt Ingeborg Brauer und fährt mit der Geschichte von Rabbi Meir fort.

Im 13. Jahrhundert wurde Rabbi Meir verhaftet. Später verstarb er im Gefängnis, weil er nicht wollte, dass seine Gemeinde ein hohes Lösegeld an König Rudolf von Habsburg zahlt. Der Kaufmann Alexander ben Solomon von Wimpfen Süßkind kaufte seinen Leichnam später frei und ließ ihn begraben. Sein einziger Wunsch: neben dem berühmten Rabbi bestattet zu werden. So stehen deren beider Grabsteine bis heute eng beieinander.

Der jüdische Friedhof in Worms (Foto: SR/Uwe Jäger)

Je tiefer man in den Friedhof vordringt, desto leiser wird das Rauschen des Stadtverkehrs, das die Mauern des Heiligen Sand umgibt, und die besondere Stimmung des Ortes verstärkt sich. Weiter hinten auf einer kleinen Anhöhe liegt der neuere Teil des Friedhofs. Die Grabsteine hier ähneln christlichen Gräbern aus dem 19. und 20. Jahrhundert. Von diesem Teil des Friedhofs aus hat man einen tollen Blick auf den über 1.000 Jahre alten mächtigen Wormser Dom.

1911 wurde der Jüdische Friedhof wegen Überfüllung geschlossen. Während die Wormser Synagoge in der Reichspogromnacht 1938 zerstört wurde, überdauerte der Friedhof das Dritte Reich. Ende der 1950er Jahre wurde die Synagoge auf Initiative Wormser Bürger wieder errichtet. Seit den 1990er Jahren gibt es auch wieder eine jüdische Gemeinde in Worms und auch einen neuen jüdischen Friedhof. Allerdings in einem anderen Stadtteil.

Gemeinsam mit Mainz und Speyer hat Worms einen Antrag auf die Anerkennung des jüdischen Erbes der drei Städte am Rhein als Weltkulturerbe gestellt. „Die Entscheidung soll 2021 fallen“, erzählt Ingeborg Brauer voller Stolz auf dem Weg zum Ausgang. Sollte die Bewerbung der drei Städte erfolgreich sein, wird Ingeborg Brauer in Zukunft wahrscheinlich noch mehr Menschen aus aller Welt mit Begeisterung den jüdischen Friedhof in ihrer Heimatstadt Worms zeigen. 


Auf einen Blick


Der jüdische Friedhof in Worms (Foto: SR/Uwe Jäger)

Jüdischer Friedhof Heiliger Sand
Willy-Brandt-Ring 21
67547 Worms

Tourist Information Worms
Neumarkt 14
67547 Worms
Tel.: (06241) 85 37 306
touristinfo@worms.de
www.worms.de
www.worms-erleben.de

Öffnungszeiten
Sonntag - Freitag 8.00 - 16.30 Uhr
Samstag geschlossen

Der Eintritt ist frei
Führungen: pro Person 8 €, Kinder bis 14 Jahre frei

Anfahrt
Fahren Sie vom Saarland aus auf der A 6 Richtung Mannheim. Am Autobahnkreuz 21 fahren sie auf die A 61 Richtung Koblenz-Speyer. Am Autobahnkreuz 58 rechts halten und auf die B 47 Richtung Worms wechseln. Folgen Sie auf der B 47 der Beschilderung Worms-Zentrum. In Worms selbst sind der Jüdische Friedhof und die Tourist Info ausgeschildert. Ansonsten können Sie der Beschilderung Dom folgen. Sowohl der Jüdische Friedhof als auch die Tourist Info befinden sich in der Nähe des Doms und sind zu Fuß bequem zu erreichen.

Anreise mit dem Zug: Der Wormser Hauptbahnhof liegt zentral in der Innenstadt. Der Jüdische Friedhof ist nur wenige Minuten zu Fuß entfernt.

Tipps
Öffentliche Führungen auf dem jüdischen Friedhof finden derzeit mit begrenzter Personenzahl und unter Einhaltung der Hygieneregeln regelmäßig statt. Die Teilnahme an den Führungen ist für Einzelpersonen und Kleingruppen bis sechs Personen auch ohne Voranmeldung möglich. Infos und Tickets für die Führungen gibt es bei der „Tourist Information Worms“, die nur wenige Gehminuten von dem Friedhof entfernt ist.

Die Tickets für die Führung müssen aufgrund der Corona-Pandemie bei der Tourist-Information gekauft werden. Rund um den Jüdischen Friedhof gibt es ausreichend kostenpflichtige Parkplätze und ein Parkhaus.

Nach dem Besuch des jüdischen Friedhofs lohnt sich ein Stadtbummel durch Worms. Der Dom, die alte Stadtmauer, das Nibelungenmuseum, das Lutherdenkmal oder das Stadtzentrum sind schnell per Fuß zu erreichen. 

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