Die Stille von Hunspach

 

Ein Dorf als Anti-Stress-Programm

(12.07.2013) L´un des plus beaux villages de France – Eines der schönsten Dörfer Frankreichs. So steht es geschrieben gleich unter dem Ortsschild mit der Aufschrift Hunspach. Der Titel, den insgesamt nur 150 französische Dörfer tragen dürfen, weckt hohe Erwartungen.

Fachwerkhäuser in Hunspach (Foto: Gabor Filipp)
Fachwerkhäuser in Hunspach

Kein Rosa, kein Gelb oder Blau. Die Fachwerkhäuser sind alle weiß. Aneinandergereiht stehen sie da, wie an einer Perlenschnur aufgezogen. Ein Bild der Harmonie und Vollkommenheit. Die weißen Häuser sind allesamt gepflegt. Die meisten von ihnen stammen aus dem 18. und 19. Jahrhundert. Auch das erklärt die Einheitlichkeit, die aus Hunspach ein Ensemble macht – entstanden aus Fachwerk, Kleiberlehm und weißer Farbe.

Zumeist sind es U-förmige Hofanlagen. Der Straße zugewandt sind die Schmalseiten der Wohngebäude und Stallungen. Passanten haben einen freien Blick in die offenen Höfe. Wer genauer hinschaut, wird im Gebälk die Initialen der Zimmerleute entdecken oder auch die der Bauherren. Andere Symbole sind nur von Eingeweihten lesbar – eine Raute etwa als das Zeichen für Frau und Fruchtbarkeit oder das Andreaskreuz, das vor Gewitter, bösen Geistern und Krankheiten schützen soll.

Das 700-Seelen-Dorf mit den properen Fachwerkhäusern in traditionellem elsässischen Stil ist eine wahre Augenweide. Und es ist still. Selbst auf der Hauptstraße ist mitunter Minuten lang nur Vogelgezwitscher zu hören. Kommt noch die Glocke der Pfarrkirche hinzu, dann ist das schon etwas mehr und gleichzeitig alles. Es sei denn, ein Auto fährt mal vorbei oder ein Traktor – um dann Stille zu hinterlassen.

Ruhe und Stille, das gehört auch zu den Markenzeichen von Hunspach. Aber ein Freilichtmuseum ohne Leben ist das Dorf mitnichten. Die leer stehenden Häuser sind an den fünf Fingern einer Hand zu zählen. Ansonsten wird überall gewohnt und gelebt in den Gebäuden, die als Kulisse für einen Historienfilm herhalten könnten.

Zwar sind tagsüber viele Bewohner nicht da, weil sie nach Wissembourg, Haguenau oder hinüber nach Deutschland zur Arbeit pendeln, aber es ist auch dann Bewegung im Dorf. Kinder auf Fahrrädern kurven herum, ein Handwerker in Blaumann quert die Straße, eine Frau gießt die Blumenpracht im Vorgarten, ein mit Heuballen beladener Anhänger verschwindet hinter der nächsten Kurve. Und zur Mittagszeit kann es vorkommen, dass im Restaurant au Cerf kein Platz mehr frei ist. Es sind größtenteils Leute aus der Gegend, die da speisen. Der Mittags­tisch kostet etwas über 7,- Euro. Die Preise sind weitaus niedriger als irgendwo sonst im bekannteren Elsass zwischen Obernai und Guebwiller, und die Qualität stimmt auch. Zu empfehlen sind unter anderem Entenbrust mit Himbeeressig oder auch Lammkotlett mit Knoblauch. Natürlich ist in der Hunspacher Gastronomie auch Choucroute zu haben. Die eigentliche Spezialität sind jedoch Fleischknöpfle.

Ein wichtiger Treffpunkt für die Dorfbewohner ist die Boulangerie der Madame Fischer. Praktisch alle im Ort kaufen bei ihr das frische Brot. Und zur Bäckerei gehört ein Salon de thé, wo die selbst gemachten Fruchttorten, Streuselkuchen oder Gugelhopf serviert werden.

Praktisch den ganzen Tag über ein Kommen und Gehen ist ebenfalls in einem kleinen Häuschen gleich neben der Gästeherberge Ungerer, die selbstredend in Fachwerk gebaut ist und insgesamt 35 Gästen urige Unterkunft bietet. Das benachbarte Häuschen hat zwar nur wenige Quadratmeter, ist aber multifunktional. In ihm ist das Büro der Herberge ebenso untergebracht, wie das örtliche Office de Tourisme und die Post. Der rege Publikumsverkehr weist darauf hin, dass hier die eigentliche Kommunikationszentrale von Hunspach ist. Allerdings wird der Zugereiste nicht unbedingt alles verstehen, was da gesprochen wird, weil neben dem Französischen die alemannische Mundart gebräuchlich ist. Und die scheint eine besondere Variante zu sein, was wiederum mit den Vorfahren der Dörfler zu erklären sein dürfte: Es waren Hugenotten und Zuwanderer aus der Schweiz, die das im Dreißigjährigen Krieg völlig verwüstete Dorf wieder aufbauten und bevölkerten. Deshalb auch sind die meisten Hunspacher nach wie vor calvinistischen Glaubens.

Am Postschalter kann man vielleicht Marc Müller, den Pfarrer, treffen, der ein gebürtiger Straßburger ist und von seiner neuen Heimat schwärmt. Hier habe er ein Haus mit Garten, Ruhe und gute Luft. Es sei alles hell im Dorf, weiß die Häuser, und so hell sei es auch bei den Menschen. Draußen vor der Tür lacht eine ältere Madame, die zufällig gleichfalls Müller heißt. Sie meint, es sei viel zu ruhig im Dorf. Sie sei hier geboren, würde aber lieber in der Stadt wohnen. Die Ruhe, die Stille – vielleicht mag es davon ein Zuviel geben für jene, die ständig davon umgeben sind. Gleichzeitig ist es aber auch das Kapital von Hunspach, kommen deswegen die Touristen, von denen es aber nach Meinung von Offiziellen noch etwas mehr geben könnte.

Dass es die wunderschönen weißen Fachwerkhäuser noch gibt, das ist auch einem Pfarrer zu verdanken und zwar jenem, der gegen Ende des Zweiten Weltkrieges in Amt und Würden war. Er hatte, so erzählen es die Alten, verbotenerweise Feindsender gehört und dort vernommen, dass die Amerikaner am nächsten Tag das Dorf in Schutt und Asche bomben würden, weil da eine Kompanie der Wehrmacht einquartiert war. Der Pfarrer suchte den Kommandeur mit einer Flasche Wein auf und überzeugte ihn davon, dass es in aller Interesse wäre, wenn die deutschen Soldaten abzögen. Als am Folgetag die US-Flieger kamen, war weit und breit kein grauer Soldatenrock mehr zu sehen, und das Dorf blieb von den Bombern verschont.

Schon davor hatte Hunspach Glück im Krieg. Obwohl in der Nähe die Maginot-Linie mit der gewaltigen Festung Schoenenburg lag, ging der Monate lange schwere Beschuss durch die Deutschen am Dorf vorbei.

Die komplett erhaltene unterirdische Festung, deren Besatzung damals unbesiegt kapitulieren musste, ist ein Besuchermagnet, von dem das Dorf auch profitiert. Eine Wanderung zur Festung und deren Besichtigung ist fast ein Muss in Hunspach. Ansonsten locken andere Wanderwege in diesem Teil des nördlichen Elsass, im L´Outre Forêt, im Unterland. Der Regionale Naturpark der Nordvogesen ist ganz nah. Radtouristen kommen in der Gegend auch auf ihre Kosten.

Inschrift im Gebälk (Foto: Gabor Filipp)
Inschrift im Gebälk

Aber Hunspach selbst ist die eigentliche Perle, obwohl Ignoranten behaupten könnten, dass es da nichts gäbe. Allein die weißen Fachwerkhäuser widersprechen schon einer solchen Behauptung. Insgesamt ist das Dorf so etwas wie ein Anti-Stress-Programm oder eine Entschleunigung des Lebens. Daran ändern auch die verschiedenen Feste nichts.

Sie sind nicht schrill und laut, sondern traditionell und richtig dörflich geblieben. Am bekanntesten ist das Folklorefest am letzten Wochenende vor Sommeranfang, irgendwann Mitte Juni also. Trachtenverein und Musikverein richten es aus. Die Männer tanzen in langen weißen Leinenhemden und schwarzen Tuchhosen, die Frauen mit schwarzen Schlupfkappen, in kurzärmligen Blusen, mit bestickten Schürzen.

Aber auch jenseits dieser Feste, so heißt es, gingen die Besucher selbst nach einer Woche Aufenthalt nur sehr ungern und nähmen sich vor, unbedingt wieder zu kommen – weil sie immer noch nicht alles gesehen hätten.

Gabor Filipp


Kontakt


Office de Tourisme de Hunspach
3, route de Hoffen
F-67250 Hunspach

Tel: (00333) 88 80 59 39 oder (00333) 88 80 96 19
Fax: (00333) 88 80 41 46

E-Mail: maison-ungerer@wanadoo.fr

www.hunspach.com
www.lignemaginot.com


Öffnungszeiten


Die Maginot-Festung Schoenenbourg bei Hunspach:

Von Anfang April bis Anfang November werktags 14.00 – 18.00 Uhr,
an Sonn- und Feiertagen 9.30 – 13.00 Uhr und 14.00 – 18.00 Uhr.

Gruppen: bei Anmeldung zwei Wochen vor dem Termin auch außerhalb der Öffnungszeiten, Führungen um 14.30 Uhr.


Eintritt


Erwachsene 7,- €
Schüler 5,- €
Gruppen mit weniger als 17 Erwachsenen 120,- €
Gruppen mit weniger als 20 Schülern 100,- €.

Besichtigungsdauer: 2,5 Stunden
Ständige Temperatur in der Bunkeranlage: 13 Grad


Anfahrt


Ab Saarbrücken auf die A 6 in Richtung Mannheim. Am Autobahnkreuz Neunkirchen auf die A 8 nach Zweibrücken/ Pirmasens wechseln und dann an der Anschlussstelle 36 Pirmasens-Winzeln auf die A 62 in Richtung Pirmasens. Nach rund zwei Kilometern von der A 62 auf die B 10 abfahren. Die B 10 weiter fahren in Richtung Landau, später aber verlassen und die B 427 über Hinterweidenthal und Dahn nach Bad Bergzabern nehmen. In Bad Bergzabern auf die Weinstraße abbiegen, alsdann auf der B 38 und ab Grenzübergang über die D 264 nach Wissembourg. Ab Wissembourg die Landstrasse D 263 in Richtung Soultz-sous-Forets/Haguenau befahren und nach wenigen Kilometern rechts dem Schild Hunspach folgen. Entfernung für ein Weg: rund 121 Kilometer.

Artikel mit anderen teilen

Push-Nachrichten von SR.de
Benachrichtungen können jederzeit in den Browser Einstellungen deaktiviert werden.

Datenschutz Nein Ja