Tour de Kultur 2023: Von der Einheit in der Vielfalt

Von der Einheit in der Vielfalt

Nikolaus von Kues und sein Cusanusstift in Bernkastel-Kues

Max Zettler   24.07.2023 | 06:00 Uhr

Er war Kardinal in Rom, Bischof in Brixen, Gesandter in Konstantinopel und hat in ganz Europa seine Spuren hinterlassen. Ob als Philosoph, als Theologe oder als Astronom – Nikolaus von Kues gehörte im 15. Jahrhundert zu den einflussreichsten Gelehrten und Kirchenpolitikern. In Kirchen und auf Plätzen von Padua bis Rom findet man seine Abbildung – sein Geburtshaus und sein Stiftungshaus stehen an der Mosel, wo er geboren ist.

Nikolaus Cryfftz oder Krebs, das war der eigentliche Name von Nikolaus von Kues. Wer mit offenen Augen durch Kues geht, der findet sein Wappen, den roten Krebs, an Hauswänden und über dem Eingang des Cusanusstifts in Kues. Der Krebs thront auf goldenem Grund, eingerahmt von weißen Engels- und Löwenfiguren. Das zeigt bereits: Nikolaus von Kues hat sich hierfür einiges kosten lassen.

Nikolaus von Kues ist überall

Auch das Gesicht von Cusanus gehört zum Stadtbild. Fahnenmäste, Gullideckel und sogar übergroß auf einem Autokreisel – die schlichte Abbildung von Nikolaus von Kues mit Mönchstonsur und sanftem Blick ist überall präsent. Immerhin trägt der Ortsteil seinen Namen. Und seinem Geburtsort war er offensichtlich bis zuletzt verbunden.

Im Jahr 1450 gründete er hier ein Hospital. Es sollte der Alterssitz für bedürftige Männer werden und auch Cusanus selbst in dieser Funktion dienen. Und dieses Cusanusstift direkt an der Mosel im Ortsteil Kues kann man heute besichtigen. Dort erfährt man mehr über das Leben und Schaffen des Kirchenmannes, Gelehrten und Humanisten Nikolaus von Kues.

Rückblick im Barocksaal

Der Barocksaal des Cusanusstiftes (Foto: fotodesign steinicke, Wittlich, St. Nikolaus Hospital/Cusanusstift, Bernkastel-Kues)
Der Barocksaal des Cusanusstiftes

Zum Beispiel im prunkvoll eingerichteten Barocksaal. Der wurde im Zuge eines Anbaus im Zeitalter des Rokoko hinzugefügt und zeigt auf eindrucksvolle Weise auf vier großen Portraits den Werdegang von Nikolaus Krebs. Dadurch, dass er später hinzugefügt wurde, fällt er architektonisch etwas aus dem sonst mittelalterlichen Rahmen, aber die weißen Wände mit goldenen Verzierungen und jeder Menge kunstvollem Stuck an der Decke sowie der Blick hinaus auf das idyllische Moseltal rücken diesen kleinen Stilbruch schnell in den Hintergrund.

Auf den ausgestellten Gemälden lehnt sich Cusanus beispielsweise gegen den Papst oder gegen die Südtiroler Herzöge auf – und wird von letzteren fast ermordet. Auch hier findet man – wie in der gesamten Stiftanlage – das Wappen mit dem roten Krebs wieder. Bibliothekar Marco Brösch, der die Führungen unter anderem leitet, scherzt hier: „Nach einer Tour kann man sich gegenseitig überbieten, wer mehr Krebse entdeckt hat.“

Eine riesige Schatzkammer des Wissens

Neben wichtigen Stationen in seinem Leben bilden die Gemälde aber auch Cusanus’ Wissensschatz ab. Zu Lebzeiten gehörte er zu den größten Universalgelehrten. Er war bibliophil und sammelte allerhand Schriften zu Philosophie, Astronomie und anderen Wissenschaften. Die kann man sich auch alle noch selbst anschauen in der nächsten Station: der Bücherei.

Bibliothekar Marco Brösch beschreibt sie als „die Schatzkammer des Hauses“ – und er übertreibt nicht. Ein kurzer Marsch durch den an allen Ecken mit kleinen Gesichtern und Ornamenten verzierten Kreuzgang und seinem orangeroten Netzgewölbe an der Decke führt durch eine schwere Holztür in einen kleinen Innenhof und eine Wendeltreppe hinauf. Im ersten Stock verbirgt sie sich: eine der größten mittelalterlichen Privatgelehrtensammlungen weltweit. Neben hunderten von originalen Büchern aus dem Mittelalter kann man hier auch zeitgenössische Werkzeuge zur Ausmessung oder für die Sternenkunde bewundern.

Was Fenster über Cusanus' Denken aussagen

Im Erdgeschoss des Cusanusstifts lohnt sich ein Blick in den großen Innenhof. Vier voneinander abgetrennte Grasflächen, umschlossen von weißem Kies, lassen noch erahnen, dass hier früher der Stiftfriedhof war. Wer sich genauer umschaut, erkennt etwas Ungewöhnliches: Die Fenster zum Kreuzgang unterscheiden sich.

An einer Wand sind vier eingefasst, an einer anderen gleich sieben. Manche laufen runder zu, manche sind eckiger, kein Fenster gleicht dem anderen und dennoch fällt es nicht direkt auf. Alles sieht trotzdem einheitlich aus. Die Anordnung der Fenster, beschreibt Marco Brösch, steht für eine Lehre von Cusanus: „Die Einheit in der Vielheit“. Das Gebäude steht also für das Wirken von Cusanus.

„De Ludo Globi“: Weltansicht spielerisch vermitteln

„De Ludo Globi“: Ein Spiel entwickelt von Nikolaus von Kues (Foto: SR / Max Zettler)
„De Ludo Globi“: Ein Spiel entwickelt von Nikolaus von Kues

Aber der Innenhof hat noch mehr zu bieten. In eine der Grasflächen ist eine große steinerne Ringscheibe eingefasst. Nikolaus von Kues hat neben seinen Kirchentätigkeiten und seinen Recherchen für nahezu alle Gelegenheiten Spiele entwickelt.

In „De Ludo Globi“ – zu Deutsch ganz simpel „Das Kugelspiel“ – muss der Spieler eine Kugel möglichst weit ins Zentrum dieser Ringscheibe rollen. Aber es gibt eine Krux bei der Sache: Die Kugel ist nicht ganz rund, sondern hat eine Delle. Dadurch lässt sich die Kugel gar nicht so einfach ins Zentrum rollen, wie man annehmen würde.

Der Cusanusstiftsbibliothekar Brösch macht es vor. Er richtet die Kugel nicht direkt auf die Mitte aus, sondern seitlich und lässt sie Kreise auf der Scheibe ziehen. „Das kommt mit der Zeit“, witzelt er, nachdem die Kugel nur wenige Ringe vom Zentrum stehen geblieben ist. Natürlich hat das Spiel auch einen tieferen Sinn. Für Cusanus ist die Scheibe das Universum mit Jesus Christus in der Mitte. Die eingedellte Kugel ist der Mensch mit all seinen Fehlern, die ihn zu einem nicht linearen Lebensweg zwingen. Laut Cusanus sollte das Ziel des Menschen sein, Jesus Christus in seinem Handeln trotzdem so nah zu kommen wie möglich.

Jesus Christus als Inspiration

Nikolaus von Kues war Theologe und hat sich ausführlich mit dem Leben von Jesus Christus beschäftigt. Im Cusanusstift findet man an vielen Stellen auch Hinweise darauf. So ist das St. Nikolaus-Hospital – wie das Stift offiziell heißt – ursprünglich als Altenheim konzipiert worden, wo 33 arme alte Männer aus unterschiedlichen Ständen ihren Lebensabend verbringen können. Sechs Adlige, sechs Kirchenmänner und einundzwanzig Bürgerliche. Die Zahl 33 richtet sich nach den Lebensjahren Jesu. Auch die Gleichbehandlung aller Männer trotz unterschiedlicher Hintergründe zeigt wieder die „Einheit in der Vielheit“.

Und auch heute noch wird das Spital als Altenheim für 60 Männer (und in­zwischen auch Frauen) genutzt, denen man im spätgotischen Kreuzgang oder in der großen Kapelle auch begegnen und mit ihnen ins Gespräch kommen kann.

Das Herz in der Kapelle

Die Kapelle des Cusanusstiftes (Foto: fotodesign steinicke, Wittlich, St. Nikolaus Hospital/Cusanusstift, Bernkastel-Kues)
Die Kapelle des Cusanusstiftes

Am Ende führt Marco Brösch in die Kapelle des Cusanusstifts. Neben einer riesigen Abbildung des Jüngsten Gerichts an einer der Wände steht im Zentrum eine orangerote tragende Säule. Sie teilt sich an der Decke in zwölf Rippen auf, die sich wiederum in ein vielfältiges Deckengewölbe aufflechten. Sie stehen symbolisch für die zwölf Jünger, die von Jesus gelehrt wurden.

Ein weiterer Hinweis: Hinter der Säule entdeckt man eine Bodenplatte mit Inschrift und Abbild von Nikolaus von Kues. Unter einer schweren Messingplatte liegt hier sein Herz begraben. Während der Körper des Kardinals in einer Kirche in Rom bestattet wurde, liegt sein Herz als Zeichen der Verbundenheit in seiner Heimatstadt Bernkastel-Kues im selbst gestifteten Hospital.

Das Cusanusstift, die Kapelle und die Sammlungen erinnern bis heute an ihn. Und das war vielleicht das Ziel der Stiftung. Nikolaus von Kues hat das Gebäude nämlich nie mit eigenen Augen gesehen. Er starb ein Jahr vor Fertigstellung auf einer Reise in Umbrien und hat in seinem letzten Willen verfügt, sein gesamtes Vermögen und all seine Besitztümer dem Stift zugutekommen zu lassen. Aber was dem Stifter selbst nicht vergönnt war, kann heutzutage jeder bei einer Führung nachholen – und dabei auch auf spielerische Art und Weise einem der größten Universalgelehrten aller Zeiten näher kommen.


Auf einen Blick


Kontakt
St. Nikolaus-Hospital / Cusanusstift
Cusanusstr. 2
54470 Bernkastel-Kues
Tel.: (06531) 22 60
E-Mail: info@cusanus.de
www.cusanus.de

Öffnungszeiten
Kapelle:
So. – Fr. 9.00 – 18.00 Uhr, Sa. 9.00 – 15.00 Uhr

Bibliothek:
Besichtigung nur im Rahmen einer Führung.

Ausstellung:
Mo. – Fr. 8.30 – 12.00 Uhr

Eintritt
Kapelle:
Der Eintritt ist frei.

Ausstellung:
Der Eintritt ist frei. Derzeit ist leider keine Ausstellung im St. Nikolaus-Hospital.

Gruppenführungen
Eintritt der Führung beträgt 80,- € pro Gruppe (bis 12 Personen), jede weitere Person 6,- €, die maximale Teilnehmerzahl liegt bei 20 Personen pro Gruppe.
Bitte beachten Sie die Anmeldebedingungen.

Individualführungen/Offene Führungen
April – Okt.: Di. 10.30 Uhr, Fr. 15.00 Uhr,
Eintritt jeweils 10,- €; mit Gästekarte der Stadt Bernkastel-Kues 9,- €.


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Ein Thema in der "Region am Mittag" am 25.07.2023 auf SR 3 Saarlandwelle

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