Die schwarze Madonna von Halles-sous-les-Côtes  (Foto: SR/Lisa Huth)

Von mysteriösen Kultfiguren

Tour de Kultur 2021: Die schwarzen Madonnen von Halles-sous-les-Côtes und anderswo

Lisa Huth   19.07.2021 | 06:00 Uhr

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Es gibt Jahrtausende alte Mysterien, deren Wahrheitsgehalt heute niemand mehr überprüfen kann. Menschliche Zeugen sind längst vergangen. Hölzerne und steinerne liefern vielleicht ein paar Hinweise. Und nur an manchen Orten wird der Schleier ein wenig gelüftet. Ein solcher Ort ist Halles- sous-les-Côtes. Im Folgenden wird Ihnen manches spanisch vorkommen.

Ein kleines Dorf im lothringischen Dreiländereck...

Sie kennen den Ort Halles-sous-les-Côtes wahrscheinlich nicht. Fern aller Autobahnen liegt der Flecken im heute kaum beachteten Teil der nördlichen Meuse, im lothringischen Dreiländereck Frankreich-Belgien-Luxemburg.

... und seine spanische Geschichte

Vor rund 400 Jahren lebten hier Spanier aufgrund diverser Kriege. Sie brachten ihre dörfliche – oder besser städtebauliche – Kultur mit: eine Kirche, ein großer Platz, auf dem die Menschen sich treffen konnten, die Häuser wurden drum herum gebaut. Das ist heute noch gut zu erkennen. Sonstwo in Lothringen gibt es das in dieser Form nicht.

Das Kirchlein St. Barthélemy stammt aus dem 18. Jahrhundert. Die Kirchenfenster sind neueren Datums, sehr lothringisch mit Jeanne d’Arc und anderen Heiligen. Rechts neben dem Altar, wo anfangs vermutlich Steinfiguren eingelassen waren, stehen heute Holzskulpturen, die zwar Abraham, Simon und Jesaja repräsentieren, tatsächlich aber Menschen aus dem Dorf darstellen. Direkt neben der Kirche steht auch noch ein Lavoir, das Waschhaus, in diesem Fall eine offene Anlage, dessen Dach auf Säulen ruht.

Die Madonna von Montserrat

Die Spanier brachten aber noch mehr Kultur mit, nämlich ihre religiöse Tradition, die Madonna von Montserrat. Das Besondere daran: Sie ist schwarz. Sowohl die im katalanischen Montserrat als auch die in Halles-sous-les-Côtes. Diese Madonna sitzt aufrecht, in nahezu königlicher Haltung, das Jesuskind sitzt, den Menschen zugewandt, auf ihren Knien.

Tour de Kultur 2021: Die schwarzen Madonnen von Halles-sous-les-Côtes und anderswo
Audio [SR 3, Lisa Huth, 22.07.2021, Länge: 03:18 Min.]
Tour de Kultur 2021: Die schwarzen Madonnen von Halles-sous-les-Côtes und anderswo

Das findet sich so im Kloster Montserrat, in Halles-sous-les-Côtes, in Nançois-sur-Ornain zwischen Nancy und Saint-Dizier, in Rocamadour in Okzitanien oder in der Kathedrale von Santiago de Compostela in Spanien. Weiteres gemeinsames Merkmal: Die Madonnen tragen fast immer eine Krone. Meistens auch das Jesuskind.

Die Geschichten der Madonna

Wie auch in Santuari de Lluc auf Mallorca sind die Geschichten immer ähnlich: Ein Hirtenjunge soll die Schwarze Madonna auf einem Feld gefunden haben. In Montserrat war es ebenfalls ein Schäferjunge, der fand sie in einer Höhle. In ganz Europa wiederholen sich diese Geschichten. Nur wenige aber können ganz in unserer Nähe sozusagen live erlebt werden. In Halles-sous-les-Côtes sogar zweimal.

Eine Replik der Madonna aus der Kirche steht in einer Art Lourdesgrotte ein wenig außerhalb des Ortes, unterhalb eines Kalvarienberges, also der Kreuzigungsszene. Und nun wird die Geschichte mysteriös. Zu diesen Madonnen wallfahren vor allem Frauen, die keine Kinder bekommen können oder eben einfach Kinder wollen. In Halles-sous-les-Côtes strömt von der Kalvarienszene Wasser herunter, an der Grotte mit der Schwarzen Madonna vorbei. Frauen, die ihren Unterleib in diesem Wasser badeten, so heißt es, seien fruchtbar geworden.

Isis-Kult? Keltenkult? Modekult?

Wer in der Geschichte nach Vorbildern sucht, muss weit zurückgehen: In Ägypten galt Isis als Göttin der Geburt und Mutterschaft. Sie wird meist schwarz dargestellt, in königlicher Haltung, oft mit ihren Kind Horus auf den Knien, das den Betrachtern zugewandt ist. Der Isis-Kult überdauerte die Jahrhunderte im ganzen Mittelmeerraum, sogar bis in die christliche Zeit hinein. Kam er mit den Arabern nach Spanien? Und mit den Spaniern nach Halles-sous-les-Côtes? Oder war es ganz anders? Hat hier eine Muttergottheit aus keltischer Zeit überlebt? Bélisama gehörte dem keltischen Götterhimmel an. Als „Jungfrau“ soll sie vom Heiligen Geist ihres Götter-Bruders Belen ihr Kind Lug empfangen haben. Übrigens eine Parallele zur „Jungfrau“ Isis, ihrem Bruder-Ehegatten Osiris und ihrem Sohn Horus.

Die romanische Kirche von Mont-devant-Sassey (Foto: SR/Lisa Huth)

Möglich ist aber auch eine ganz andere Geschichte: Die aufrecht sitzenden Madonnen mit Krone und Jesuskind auf dem Schoß waren eine Modeerscheinung der Romanik. Die damaligen Holzschnitzer, würde man heute sagen, fanden diese Reminiszenz an die zu jener Zeit noch gar nicht so ferne Muttergottheit cool. Diese Figur findet sich in der Romanik nämlich sehr häufig, auch wenn die Madonnen nicht schwarz sind. Etwa nicht weit weg von Halles-sous-les-Côtes, in der beeindruckenden romanischen Kirche am Hang über Mont-devant-Sassey.

Oder aber, es gibt doch eine ganz banale Erklärung: Weil so viele zu den Kirchen pilgerten und Kerzen aufstellten, wurden die Madonnen-Figuren im Laufe der Jahrhunderte immer dunkler und am Ende rußgeschwärzt.

Es bleibt ein Mysterium

Jeder und jede kann sich die Legende heraussuchen, die ihm und ihr am besten passt. In Halles-sous-les-Côtes wurde die Schwarze Madonna jedoch bereits schwarz hergestellt, sie gleicht wie ein Ei ihrem Vorbild im katalanischen Montserrat.

Die gotische Wallfahrtskirche von Avioth (Foto: SR/Lisa Huth)

Madonna (Foto: SR/Lisa Huth)

Ähnlich war es circa 20 Kilometer weiter in der gotischen Kirche von Avioth: Auch hier gab es eine Schwarze Madonna. Diese wurde aber aufgefrischt, um nicht zu sagen aufgehellt, und ist heute weiß. Wer will, kann sich diese berauschende Kirche im winzig kleinen Wallfahrtsort Avioth auf dem Rückweg anschauen. Und auf dem Weg zurück durch Luxemburg noch einen Abstecher in die Hauptstadt machen: In der Johanneskirche im Luxemburger Stadtteil Grund befindet sich ebenfalls eine Schwarze Madonna.

Hier, wie etwa in Chartres, in Altötting oder Tschenstochau in Polen, trägt die Madonna das Jesuskind nicht auf dem Schoß, sondern auf dem Arm. Und die bevorzugte Erklärung, warum das Nussbaumholz in der luxemburgischen Johanneskirche sehr viel dunkler ist als es von Natur aus sein sollte, ist hier die Theorie des Rußes von Tausenden Kerzen im Verlauf der vielen Jahrhunderte.

Geklärt ist das aber nicht hundertprozentig. Es bleibt ein Mysterium.


Auf einen Blick


Kontakt: Marcel Renault
3, Place de l‘Église
F-55700 Halles-sous-les-Côtes
Tel.: (0033 3) 29 80 40 85
E-Mail: marcel.noelle@orange.fr

Öffnungszeiten
Circa 10.00 - 18.00 Uhr.
Sollte mal geschlossen sein: Wer gegenüber vom Waschhaus, im Haus von Marcel Renault, an dem „Bienvenue“ steht, nachfragt, bekommt gerne die Kirche geöffnet.

Eintritt
Der Eintritt ist frei, Spenden in der Kirche von Halles-sous-les-Côtes sind willkommen.

Anfahrt
Von Saarbrücken aus über die Autobahn durch Luxemburg bis Esch-sur-Alzette, von dort über die belgische Grenze, der N88 bis Virton folgen, dann auf die N87 abbiegen. Diese geht an der Grenze zu Frankreich in die D981 über. In Montmédy abbiegen auf die D947 Richtung Stenay. Durch Stenay hindurch, auf der D947 bleiben bis Beauclair. Dort links abbiegen auf die D30A. Nach einem weiteren Kilometer sind Sie da.


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