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Wirrwarr im Sozialamt

Jennifer Heck   19.12.2015 | 09:37 Uhr

Wer auf finanzielle Unterstützung angewiesen ist, muss mit vielen Unterlagen beim Sozialamt erscheinen. Die Bearbeitung der Anträge ist für Mitarbeiter, Flüchtlinge und Ehrenamtler eine Herausforderung – wie ein Besuch auf dem Sozialamt zeigt.

In einem kleinen Raum sammeln sich rund 70 bis 80 Personen. Sie stehen eng nebeneinander – auf den ersten Blick nur Männer. Sie alle wurden für 13.30 Uhr ins Sozialamt am Saarbrücker Schloss bestellt, um ihren Antrag auf die Gewährung von Leistungen abzugeben. Manche haben einzelne Papiere in der Hand, andere dicke Ordner mit Unterlagen. Man hört Gespräche auf Arabisch. Dazwischen quengeln Babys, Kinder husten. Auf den wenigen Stühlen an der Seite sitzen ein paar Frauen mit Kindern.

Anstatt sich in den Raum zu drängen, bleiben die letzten im Vorraum stehen. "Am beschde alle do rinn", ruft ein großer Mann des Sicherheitsservice im saarländischen Dialekt. "Alles do rinn, das dauert." Die Flüchtlinge schauen fragend und bleiben stehen. Dann malt der stämmige Mann ein Viereck in die Luft und wird lauter: "Bitte von der Türe weg! Sonst muss gleich der Hausmeister kommen." Das Problem ist: Stehen Menschen im Flur, schließt die automatische Glasschiebetür nicht. Erst auf ein Handzeichen, das den Männern den Weg in den Warteraum weist, gehen sie schließlich weiter.

Reihenfolge der Warteschlange

Kurz nach halb zwei wird als Erstes eine Deutsche aufgerufen. "Sie ist von einem Netzwerk im Regionalverband Saarbrücken und jede Woche da", erklärt ein ehrenamtlicher Pate. "Sie hat dadurch die beste Connection. Man kennt sie und sie steht da vorne mit ausgefüllten Papieren als Erstes, dann kommt sie auch als Erstes dran."

Nach etwa 15 Minuten werden der Ehrenamtler und seine Kollegin als Zweites aufgerufen. Sie sind zusammen gekommen und kümmern sich um zwei junge Frauen und einen 24-Jährigen, der mit seiner Familie als Bürgerkriegsflüchtling aus Syrien ins Saarland kam. Für den Termin im Sozialamt müssen seine Frau und Sohn jedoch nicht anwesend sein. Alle fünf gehen durch die Tür. Doch gleich dahinter heißt es: "Die müssen draußen warten und dann rufe ich die. Weil wir haben 77 Personen, nicht nur die." Gemeint sind die Flüchtlinge.

Also treten nur die Paten an den Schalter. Sie legen die ausgefüllten Formulare und die gesammelten Unterlagen auf den Tresen. "Hallo, guten Tag", sagt die Frau hinter dem Tresen. Sie begutachtet die Namen: "Das ist der falsche Termin, die haben wir heute nicht." Nach kurzer Zeit löst sich die Situation: "Ah doch, die gehören dazu."

Viele Unterlagen

Dann dürfen auch die jungen Syrer eintreten. Sie gehen an den Schaltern vorbei und einzeln in kleine abgetrennte Kabinen. Die Türen bleiben offen. Der etwas unsicher wirkende 24-Jährige sitzt nun einer Frau gegenüber. Sie fragt: "English?" Die Antwort lautet: "No." Entsprechend sitzt der junge Syrer nur da und wartet. Vor der Tür herrscht Gewusel. Eine Frau eilt vorbei: "Könnten Sie kurz übersetzen? Danke! Später müsste auch jemand an die Kasse, falls noch was zu klären ist." An der Tür zum Flur ruft eine Mitarbeiterin: "Ich habe nur einen gerufen." Sie wiederholt den Namen. "Nur der ist gefragt."

Der 24-Jährige wird schließlich nach seinem Ausweis gefragt. Das Wort "Ausweis" scheint er mittlerweile zu kennen. Er greift in seine Innentasche und zieht ihn hervor. "Ich brauche auch die Zuweisung", sagt die Frau am Tisch und greift nach dem Ordner, den der Syrer vor sich abgelegt hat. "Die Unterlagen kann ich mir selbst raussuchen, kein Problem." Offenbar findet die Frau alles, was sie braucht - bis auf den Mietvertrag. Jetzt ist der Ehrenamtler gefragt. Der steckt aber noch im Nachbarzimmer und versucht zusammen mit der Kollegin, den beiden jungen Frauen zu helfen.

Es kommt zu Streit

In den Unterlagen der beiden fehlt nämlich die Zuweisung. Jemand beschuldigt den Ehrenamtler und sagt, dass er die Verantwortung für sie habe und auf die Papiere achten müsse. Dieser sieht das aber anders und ist sauer: "Ich habe gesehen, dass die fehlt. Dann habe ich bei der Gemeinde angerufen und gefragt: habt ihr eine Zuweisung? Hieß es nein. Wo soll ich die denn herhaben? Ich kann sie nicht schnitzen. Soll ich den Termin lieber platzen lassen?" Die Hauptamtlichen könnten froh sein, dass es die Ehrenamtler gibt, die sich um die Formulare und Unterlagen kümmerten, schimpft er weiter. Wenn die syrische Frau allein hergekommen wäre, hätte sie nicht mal gewusst, wovon die Rede sei.

Die Frau am Tisch mit dem 24-jährigen Kunden wartet in der Zwischenzeit darauf, dass das Problem gelöst wird und der Ehrenamtler auch ihre Fragen beantwortet. Sie nutzt die Zeit, um das Ankunftsdatum im Erstaufnahmelager in Lebach zu klären. Dazu zeigt sie mit einem Kugelschreiber auf einen Zettel. Dort stehen in deutscher und arabischer Schrift verschiedene Wörter - wie "Ankunftsdatum". "Two" antwortet der Flüchtling. Über einen Kalender lässt sich klären, dass der zweite November gemeint ist. Als nächstes zeigt sie auf das Wort "Verpflichtungserklärung". Der junge Mann liest die arabische Übersetzung und zuckt mit den Schultern. Also heißt es auch hier: warten auf den Ehrenamtler.

Verpflichtungserklärung

Was die Verpflichtungserklärung betrifft, weiß aber auch der Ehrenamtler nicht weiter. Er wisse nicht, was das ist. Bei einer Verpflichtungserklärung handele es sich um eine Erklärung einer Person, dass sie alle Unterhaltskosten für denjenigen übernehme, erklärt die Frau am Tisch. Das gebe es manchmal. Nein, so etwas bestehe für den Syrer nicht. Wieder kommt eine Frau an die Tür gehetzt und fragt ins Zimmer: "Ihr denkt daran, dass immer die GEZ-Anträge dabei sind?" - "Hier sind sie dabei", antwortet die Frau am Tisch und fragt den Ehrenamtler nach dem Mietvertrag des Syrers. Dieser werde von der Gemeinde nachgereicht. So schnell sei diese nicht in der Bearbeitung.

Hin und her geschickt

Für den jungen Syrer ist jetzt erst einmal alles geregelt. Auf die Frage, ob viele Flüchtlinge allein ins Sozialamt kommen, antwortet die Frau am Tisch: "Es kommen alle allein, alle. Sie sind die Ausnahme", und klingt dabei empört und verzweifelt. In dem Fall müsse sie auf die Sprachmittler zurückgreifen und die Bögen mühsam vor Ort ausfüllen. Im großen Raum entsteht eine Diskussion. "Zwei wurden vergessen" – gemeint sind wohl Syrer. "Wie kann das sein? Deshalb schreiben wir diese Mails."

Die Frau am Tisch steht auf und zeigt dem Mann, dass er neben der Tür warten soll. In der Zwischenzeit kommt wieder eine andere Frau und bittet den Syrer bestimmt freundlich, den Raum zu verlassen und im Voraum zu warten. Als er auf das Handzeichen reagieren und losgehen will, sagt der Ehrenamtler, die andere Frau habe gesagt, dass er hier warten solle. Die beiden klären die Situation: "Die bleiben hier unten im Flur, danach gehen die in den Nebenraum" – "Ach so, ja, tut mir leid."

In diesem Nebenraum stehen nun insgesamt acht Personen. Zwei davon stehen halb vor einer breiten Treppe, die eine Mitarbeiterin benutzen möchte. Sie sagt genervt: "Am beschde stelle sich alle mo hier an die Seit, weil mir müsse hoch und runna laafe. Deshalb." Dann zeigt sie, wo sich die Flüchtlinge und die beiden Ehrenamtler hinstellen sollen. "Da fühlt man sich wie im Kindergarten", sagt der Ehrenamtler. "Also ich werd's vermeiden, hier noch einmal hinzugehen. So lasse ich mich nicht behandeln. Und das Traurige ist: Auch neue Paten, die ich hierher mitbringe, fragen sich: Das soll ich mir antun?"

Fehlende Person

Eine weitere Mitarbeiterin kommt mit einer Liste in der Hand und sagt: "So, jetzt wird es wieder interessant." Sie nennt einen Namen. Da nicht direkt alle still sind, ruft sie laut: "Hallo, mir rufe auf!" Dann wiederholt sie den Namen. Es meldet sich aber weiterhin niemand. "Ist der net do, wo issen der?", fragt sie in die Runde. Dann geht sie zu einem Syrer hin und fragt: "Sinn Sie das do?" Dabei zeigt sie auf den Namen. "No", lautet die Antwort.

Die drei betreuten Flüchtlinge stehen stattdessen bereit und dürfen in einen weiteren Flur: "Die annere könne mitgehn, die wo ich aufgerufe hab. - Hallo, die wo ich aufgerufe hab, mitkomme!" Dann zeigt sie auf eine Wand und sagt: "Hier noch stehn bleiwe, ne?" Sie stellen sich nebeneinander an die Wand und warten. Bevor es weiter geht, kommt die Mitarbeiterin wieder und hat einen Mann im Schlepptau: "Ich hab ne gefunn. Er war ganz woannaschda."

Zum Schluss: der Scheck

Dann geht es los. Einen nach dem anderen ruft der Mann am Kassenschalter auf - auch den 24-Jährigen. Er muss noch einmal seinen Ausweis zeigen. Außerdem soll er unterschreiben, dass er den Scheck erhalten hat. Der Satz steht auf dem kleinen Formular aber nur auf Deutsch. Daher liest der Ehrenamtler ihn und bestätigt dem 24-Jährigen, dass er unterschreiben kann. Auf den Schecks seiner drei Schützlinge stehen verschiedene Beträge. Das haben die drei gleich gemerkt und vergleichen sie miteinander. Dass es einen Unterschied gibt, verstehen sie nicht, wie sie dem Ehrenamtler zu verstehen geben. Außerdem dachten sie, Geld zu erhalten. Der Ehrenamtler erklärt: "Scheck - Bank", "Bank - Money". Ah! Jetzt ist alles klar.

In der Zwischenzeit kommt eine Sicherheitskraft und sagt in einem Befehlston: "Die wo e Scheck hann, sofort rausgehn. Sofort!" Die jungen Menschen stecken den Scheck in ihre Mappen und gehen durch die Tür neben dem Kassenschalter nach draußen. Auch dort stehen sie falsch: "Aach hier bitte freilosse, damit die Wege frei sind." Der Ehrenamtler scheint dagegen froh, endlich fertig zu sein und seine Stimmung hebt sich wieder: "Heute sind wir gut durchgekommen", sagt er. "Ein bisschen mehr als eine Stunde. Aber wenn du hinten die 67 bist, dann hast du verloren. Dann wird’s irgendwann dunkel. Also ohne Betreuer bist du verloren."

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