Politik braucht die Ehrenamtler

Jennifer Heck   09.12.2015 | 08:52 Uhr

Die Zahl der ankommenden Flüchtlinge ist zuletzt gesunken. Die Notversorgung läuft, die Verteilung aus Lebach an die Kommunen mittlerweile auch. Das Saarland gilt bundesweit als Vorbild und doch bleiben viele Probleme, wie Ehrenamtler aus ihrer Arbeit berichten.

Wo finde ich einen Deutschkurs? Was ist der Unterschied zwischen einem Einstiegskurs und einem Integrationskurs? Und wie funktioniert der Fahrkartenautomat? Die 12.135 Flüchtlinge, die seit dem 1. Januar 2015 im Saarland aufgenommen wurden, haben viele Fragen. Ehrenamtler auch.

Diese Menschen in unsere Gesellschaft wie in den Arbeitmarkt und in die Schulen zu integrieren, sei die größte Herausforderung, so Stephan Kolling, Staatssekretär des Sozialministeriums (CDU). "Das Ehrenamt ist eine Stütze, die wir brauchen. Ohne das Ehrenamt wären wir um vieles ärmer und könnten dies alles nicht stemmen", sagte Kolling.

Um die Motivation der über 2000 Ehrenamtler hoch zu halten, Erfahrungen von Politik und Ehrenamt regelmäßig auszutauschen und zu überlegen, was besser gemacht werden kann, hat das Sozialministerium den Bürgerdialog ins Leben gerufen. Am Dienstagabend fand die vierte Ausgabe statt - nach Neunkirchen, Merzig-Wadern und Saarlouis dieses Mal in Saarbrücken. Etwa 85 Personen waren anwesend.

Frust im Ehrenamt

Einiges laufe gut im Saarland, lobten einzelne. Ein Vorteil sei, dass das Saarland ein kleines Land ist und vieles nach dem Prinzip „jeder kennt jeden“ funktioniere. Zudem seien die Träger darum bemüht, sich abzusprechen und die schwierige und unübersichtliche Situation zu koordinieren. Viele Ehrenamtler danken aber auch dafür, diese Plattform zu haben, um ihrem Frust Luft machen zu können. Wer auf einen Hilferuf in den Medien antwortete und sich engagieren wollte, wurde in der Vergangenheit etwa nicht zurückgerufen. Es scheitere zu häufig an der mangelhaften Koordination und Kommunikation, so mehrere Ehrenamtler.

Ein großes Problem seien auch die fehlenden Dolmetscher in den Schulen. Lehrer und Schüler stünden im Unterricht täglich vor Herausforderungen. Die vorhandenen Dolmetscher der Gemeinden könnten an dieser Stelle nicht einspringen, da diese bereits überlastet seien. „Sprachmittler sind ein Problem“, so Kolling. „Kollege Commerçon arbeitet daran, aber auch hier braucht man Zeit. Sprachmittler werden händeringend überall gesucht.“

Ein Mann, der sich als ehrenamtlicher Sprachmittler anbieten wollte, scheiterte stattdessen an der schwierigen Erreichbarkeit der Telefonzentrale des Arbeitsamtes. Er sei stets von Anrufbeantwortern und automatischen Ansagen abgewimmelt worden. "Das ist eine Realität, die Sie hier schildern", so Tobias Gramm, der operative Geschäftsführer im Job Center Saarbrücken. "Wir haben momentan mit den Flüchtlingen etwa 2000 Kunden zusätzlich zu betreuen." 60 Prozent der Anrufe kämen derzeit nicht durch, was im Bundesdurchschnitt läge. Zur Problemlösung würden ab dem 1. Januar 2016 drei neue Mitarbeiter eingesetzt und eine zentrale Rufnummer geschaltet.

Datenschutz als Hürde

Die Veranstaltung bietet auch die Möglichkeit, sich unter den Ehrenamtlern auszutauschen. Das finden die Ehrenamtler ebenso wichtig, da sich alle die gleichen Fragen stellen und sich Probleme wiederholen. "Es ist wichtig, dass Ehrenamtliche gut informiert sind und dieses Wissen zusammengetragen und systematisch aufbereitet wird", so die Saarbrücker Oberbürgermeisterin Charlotte Britz (SPD).

Die Realität scheint anders: Ein Engagierter aus Quierschied hat einen Wegweiser für Paten zur Hilfe und Aufnahme von Flüchtlingen verfasst, worum sich das Netzwerk Riegelsberg zum Beispiel ebenfalls gekümmert hat. Die insgesamt 120 Netzwerke in den verschiedenen Kommunen seien untereinander zu wenig vernetzt, Arbeiten würden doppelt erledigt. Die Vernetzung durch eine Online-Kontaktliste scheitere am Datenschutz, erklärte Kolling. Grund sei, dass einige Helfer private Adressen verwendeten.

Am Datenschutz scheitere auch die schnelle Registrierung und Verteilung der Ehrenamtler auf benötigte Hilfe. Laut des Datenschutzbauftragten sei eine Registrierung auf einer Online-Plattform nötig, die viele als kompliziert empfinden. Andere seien nicht bereit, Zeit in die Online-Formulare zu stecken und Daten Preis zu geben. Sie würden sich am liebsten unkompliziert an einer Pforte melden und gleich anpacken.

Passendes Ehrenamt

Schwierig sei außerdem die genaue Vorstellung der Ehrenamtler, inwiefern sie sich engagieren wollen. Insgesamt seien neben der hohen Zahl an Flüchtlingen auch über 2000 Ehrenamtler zu koordinieren - von insgesamt sieben bis acht Mitarbeitern. Um die Zusammenarbeit zwischen Ehren- und Hauptamtlichen zu verbessern, soll es im Januar einen gemeinsamen Workshop geben.

„Herr Kühn teilt Sie sofort ein für das, was geht, aber nicht für das, was Sie genau wollen“, erklärt Kolling. „Wir sind flexibel in der Landesaufnahmestelle, wir schaffen aber keine passgenaue Unterstützung, wie der Ehrenamtler sich das vorstellt.“ Bei dem Umzug eines Lagers von Eppelborn nach Lebach seien zum Beispiel nur sieben der insgesamt 350 engagierten Helfer vor Ort gewesen, um anzupacken.

Hans-Joachim Müller, Präsident der LAG Pro Ehrenamt, hat Verständnis: „Wenn ich mich melde und sage, ich möchte helfen und werde dann auf sechs bis acht Wochen vertröstet, dann wird ein Frust aufgebaut.“ Er empfiehlt, persönlichen Kontakt zu suchen. Zum Beispiel können Engagierte sich in ihrem Ort mit den Verantwortlichen unterhalten und im kleinen anfangen. Dort, wo man sich kennt.

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