Menschen gehen über einen Fußgängerüberweg einer Geschäftsstraße (Foto: IMAGO / Schöning)

Begriff „Migrationshintergrund“: Stigma oder unverzichtbar?

Christian Leistenschneider   27.05.2025 | 19:13 Uhr

Auch trotz deutschem Pass gelten viele Bürger in Deutschland als "Menschen mit Migrationshintergrund". Macht sie das zu "Deutschen 2. Klasse"? Oder hat der Begriff einen wichtigen Nutzen? Eine Wissenschaftlerin und eine Betroffene beziehen Stellung.

„Studie: Menschen mit Migrationshintergrund wählen anders“, „Abgeordnete mit Migrationshintergrund: Sie müssten fast dreimal so viele sein“, „Sind Menschen mit Migrationshintergrund häufiger kriminell?“, „‚Benachteiligt‘: Warum Kinder mit Migrationshintergrund in der Schule zurückbleiben“, oder aber: „Schul-Studie: Lehrer bevorzugen Kinder mit Migrationshintergrund bei der Notenvergabe“.

Das ist nur eine kleine Auswahl von Schlagzeilen mit dem Wort „Migrationshintergrund“ aus den vergangenen Monaten. Sie zeigt: Der Begriff hat in der öffentlichen Debatte einen großen Einfluss, unterschiedlichste Erwartungen, Annahmen und Projektionen sind damit verbunden.

Eingeführt für Förderbedarfe

Eingeführt wurde der Begriff „Migrationshintergrund“ 2005 in Studien und statistischen Erhebungen, um spezielle Förderbedarfe vor allem in der Bildungspolitik besser analysieren zu können, insbesondere bei der Sprachförderung, erklärt Ulrike Zöller, Professorin für Theorie, Methodik und Empirie Sozialer Arbeit an der Fakultät für Sozialwissenschaften der HTW Saar, die auch Mitglied im Rat für Migration ist.

Doch die Kategorie habe sich in der Praxis nicht immer als tauglich erwiesen. Denn auch Menschen mit deutschem Pass, die keinerlei Schwierigkeiten mit der deutschen Sprache haben, würden darunter gezählt, sofern eines ihrer Elternteile nicht deutsch ist. Manche ihrer Studenten erfahren von ihr zum ersten Mal, dass auch sie zu dieser Gruppe gerechnet werden, und sind entsprechend überrascht, sagt Zöller. „Das verfälscht auch die statistische Aussagekraft.“

„Einwanderungsgeschichte“ als Alternative

Das Statistische Bundesamt hat darum in seinen Erhebungen zu statistischen Bevölkerungsdaten wie dem Zensus weitgehend auf die Kategorie „Menschen mit Einwanderungsgeschichte und ihre Nachkommen“ umgestellt. Die Definition umfasst alle Menschen, die nach 1950 nach Deutschland eingewandert sind, sowie ihre Nachkommen, aber nur, wenn beide Elternteile eingewandert sind. Im nationalen Bildungsbericht wird daneben aber auch weiterhin die Kategorie des Migrationshintergrundes verwendet, unter die jeder fällt, wenn er selbst oder mindestens ein Elternteil nicht mit deutscher Staatsangehörigkeit geboren wurde.

Neben der statistischen Unschärfe sind es aber vor allem gesellschaftliche Entwicklungen, die den Begriff des „Migrationshintergrundes“ nach Ansicht mancher problematisch machen. Sollte er ursprünglich als eine Alternative zum Pauschalbegriff „Ausländer“ dienen, der laut der Migrationsexpertin Zöller, „stark stigmatisierend“ und „populistisch“ aufgeladen ist, habe inzwischen auch der „Migrationshintergrund“ durch seine Verwendungsweise an Neutralität eingebüßt.

„Über die Jahre hinweg hat sich gezeigt, dass auch er stigmatisierend wirken kann. Zumal er nichts über die Lebensrealität derjenigen aussagt, die damit bezeichnet werden. Aber sie werden oft in eine Schublade gesteckt und etwa mit schlechteren Schulabschlüssen assoziiert.“ Manchmal würde der Begriff gar verwendet, um die „Mehrheitsgesellschaft“ gegen Minderheiten auszuspielen, um zu suggerieren, wer „dazugehört“ und wer nicht.

"Du gehörst noch immer nicht ganz dazu"

Genau dieses Trennende empfindet Brigitta Balogh sehr stark. Sie ist Mitarbeiterin bei „Yallah! Fach- und Präventionsstelle Islamismus und antimuslimischer Rassismus“ und in Deutschland geboren. Ihre Eltern stammen beide aus Ungarn. Den Begriff „Migrationshintergrund findet sie „grausam“: „Es sagt doch nichts anderes aus als: Naja, du bist halt immer noch nicht ganz so wie wir, du gehörst noch immer nicht ganz vollkommen dazu.“

Aus Baloghs Sicht ist der Begriff „negativ konnotiert“, weil er „immer in negativen Kontexten benutzt wird“. Für sie sei er darum wie ein „Schatten“, der sie verfolge, weil sie immer „die Deutsche mit Migrationshintergrund“ sein werde.

Weiterhin Notwendigkeit für geeignete Begriffe

Damit wäre ein Begriff, der der Integration dienen und sie fördern sollte, in sein Gegenteil verkehrt. Dabei brauche es auch weiterhin geeignete Kategorien, etwa um spezielle Förderbedarfe oder auch Fragen der Repräsentation zu erfassen, sagt die Sozialwissenschaftlerin Zöller. „Darum wird in der Wissenschaft gerungen, welcher Begriff geeignet ist.“

Dieses Ringen bleibt wohl nicht auf die Wissenschaften beschränkt.

Über dieses Thema wird auch in verschiedenen Sendungen des SR am 27.05.2025 berichtet.


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