Mehrfach Balkone abgebrochen – welcher Handlungsbedarf nun besteht
In Kaiserslautern sind in der vergangenen Woche Teile eines Balkons auf Passanten gestürzt. Bereits im Frühjahr war ein Balkon auf dem Saarbrücker Eschberg bei einem Haus aus den 60ern plötzlich abgebrochen – dutzende Balkone sind dort jetzt vorsorglich gesperrt. Fällt uns jetzt nach und nach das halbe Saarland auf die Füße?
Bereits zum zweiten Mal innerhalb weniger Jahre ist im Mai auf dem Saarbrücker Eschberg ein Balkon abgebrochen. Der Einsturz verlief noch vergleichsweise glimpflich. Zwei Personen wurden verletzt, keine davon lebensgefährlich.
Auch als in dieser Woche in Kaiserslautern plötzlich Teile eines Balkons auf die Straße stürzten, gab es nur leicht Verletzte. In Hamburg hingegen war es im August zu einem tödlichen Unfall gekommen, als ein Balkon einfach abknickte.
Keine pauschale Gefahr – rechnerische Lebensdauer aber häufig überschritten
Sitzen wir hier auf einer tickenden Zeitbombe? Der Bauexperte Christian Lang, Professor für Baustatik und Tragwerksplanung an der HTW Saar, gibt erst einmal Entwarnung. "Man kann nicht pauschal sagen, dass alle Balkone aus den 50er und 60er Jahren betroffen sind."
Er gibt aber auch zu bedenken, dass viele Bauwerke ihre rechnerische Lebensdauer erreicht oder gar überschritten haben. "Unsere Bauwerke sind erst einmal auf 50 Jahre ausgelegt."
Gerade im Saarland sind viele Bauwerke älter als 50 Jahre. 60 Prozent der Wohngebäude wurden vor 1969 gebaut. In den Nachkriegsjahren gab es hier eine rege Bautätigkeit und dort spielte auch Beton häufig eine Rolle.
"Der Feind ist Feuchte" (Bauingenieur Prof. Lang)
Grundsätzlich sei Beton sehr robust und könne auch mehr als 50 Jahre überdauern. Entscheidend sei der Wassereintrag in Verbindung mit anderen Stoffen. "Der Feind ist Chlorid, der Feind ist Feuchte", bringt es Bauingenieur Lang auf den Punkt.
Ursache für Balkonabsturz auf dem Eschberg steht fest
Genau diese Kombination aus Chlorid und Feuchte ist auch dem Balkon auf dem Eschberg zum Verhängnis geworden, wie die Landeshauptstadt auf SR-Anfrage mitteilte. "Durch langjährig mangelhafte Abdichtungen der Oberfläche konnte offenbar immer wieder Wasser in großer Menge in den Beton eindringen und in Verbindung mit dem Chlorid den Baustahl angreifen."
Letztlich sei der Stahl derart korrodiert, dass das komplette Tragwerk versagt habe. Das Chlorid war seinerzeit dem Beton als Frostschutz beigemischt worden. Die Stadt betont aber: "Weder die damalige Bauweise noch das Material sind für sich genommen mängelbehaftet oder stellen ein Risiko dar."
50 Balkone auf dem Eschberg zunächst geschlossen
Dennoch wurden in Folge des Absturzes 160 Anhörungen an Hauseigentümer baugleicher Häuser in der Nachbarschaft verschickt. In rund 50 Fällen wurden infolgedessen die Balkone und die darunterliegenden Terrassenflächen erst einmal dicht gemacht.
Rund 70 Verfahren sind noch offen, es könnten also noch weitere Nutzungsverbote kommen. Die gelten so lange, bis die Anwohner die Standsicherheit nachgewiesen oder provisorisch eine fachmännische Abstützung vorgenommen hätten – "begleitet durch einen Tragwerksplaner", heißt es von der Stadt.
Kein Abriss oder Abstützen in Eigenregie
Der entscheidende Zusatz ist hier: Begleitet durch einen Tragwerksplaner. Denn auch die Ingenieurkammer betont gegenüber dem SR, dass man auf keinen Fall in Eigenregie Hand anlegen und jetzt die Balkone einfach mit Stelzen aus dem Baumarkt abstützen oder gar selbst abreißen sollte.
Denn die Balkonplatte entlaste zum Beispiel die Deckenplatte im Haus – das müsse man bei einem Abriss beachten, damit es nicht im Haus zu Statik-Problemen komme. Ebenso könne durch eine Stütze das Trageverhalten eines Balkons derart geändert werden, dass er danach trotzdem einstürzt. Oder gerade deswegen.
"Wenn man Eingriffe an einem tragenden Bauteil vornimmt, sollte man immer einen Statiker oder eine Statikerin hinzuziehen", sagte Kammerpräsidentin Christine Mörgen dem SR. Die entsprechenden Experten findet man über die Ingenieurssuche auf der Internetseite der Kammer – dort in der gesetzlichen Liste "Tragwerksplaner".
Experten plädieren für regelmäßige Überprüfung von Bauwerken
Die 160 Balkone auf dem Eschberg sind derzeit bereits im Fokus von Bauexperten. Was aber ist mit den anderen 100.000 Wohnhäusern aus den 50er und 60er Jahren im Saarland, deren rechnerische Lebensdauer jetzt auch erreicht oder überschritten ist? Grundsätzlich sind die Eigentümer zwar für deren Sicherheit verantwortlich – ob sie diese aber wirklich im Blick haben, kontrolliert derzeit niemand.
"Es gibt keine verpflichtenden Vorgaben bei Privatbauten, wie oft oder wie genau überprüft wird. Es gibt zwar Handlungsempfehlungen – aber man ist nicht per Gesetz verpflichtet, so etwas regelmäßig zu machen, wie es beispielsweise beim Auto der Fall ist", sagt HTW-Professor Lang.
Die fehlende wiederkehrende Überprüfung sieht Lang durchaus als Problem. "Dabei geht es nicht nur um Balkone, sondern auch um andere Bauwerke. Da wird meines Erachtens viel zu wenig gemacht", so Lang. Ähnlich kritisch äußerte sich auch der Statiker Moritz Lönhoff mit Blick auf die abgebrochenen Balkonteile in Kaiserslautern. Und auch die Ingenieurkammer im Saarland wünscht sich mehr Sensibilität und Bewusstsein für das Thema.
Woran marode Balkone und Bauwerke erkannt werden können
Letztlich sind hier aber auch die Bauherren und Eigentümer gefordert, aktiv zu werden und regelmäßig ihre Häuser und Wohnungen im Blick zu haben. Denn auch als Laie könne man Hinweise erkennen, dass etwas im Argen ist. "Verfärbungen, Wasserschäden oder Risse sind ein Signal. Auch übermäßige Durchbiegungen oder Abplatzungen. Dann sollte man einen Fachmann draufschauen lassen. Denn dann muss schon jahrzehntelang Wasser in die Konstruktion gelaufen sein", so Lang.