Dr. Ulrich Seidl im Interview (Foto: SR)

"Menschen mit Suizidgedanken ernst nehmen und Hilfe anbieten"

Das Interview führte Sonja Marx   10.09.2024 | 21:22 Uhr

Rund 10.300 Menschen starben 2023 in Deutschland durch Suizid. Doch wie kann man erkennen, dass Menschen Selbstmordgedanken hegen? Dr. Ulrich Seidl von der SHG-Klinik Sonnenberg erklärt im SR, wie man Betroffenen in schwierigen Lebenssituationen Hilfestellung geben kann.

Rund 10.300 Menschen starben 2023 in Deutschland durch Suizid. Das waren 1,8 Prozent mehr als im Vorjahr und ein Anstieg von 14 Prozent gegenüber dem historischen Tiefstand 2019, wie das Statistische Bundesamt mitteilte. Jeder Hundertste Todesfall in Deutschland ist demnach ein Suizid - mehr als durch Verkehrsunfälle und illegale Drogen zusammen.

Video [aktueller bericht, 10.09.2024, Länge: 3:05 Min.]
Welttag der Suizidprävention: Aufklärung gegen das Tabuthema

Doch wie kann man vorbeugen? Woran kann man erkennen, dass Menschen Selbstmordgedanken hegen? Dr. Ulrich Seidl ist ärztlicher Direktor und Leiter der Psychiatrie an den SHG-Kliniken Sonnenberg. Er erklärt im SR, wie man Betroffenen helfen kann.

SR: Hängen Suizid und Depressionen immer zusammen? Sind suizidgefährdete Menschen immer depressiv?

Dr. Ulrich Seidl: Man hört zwar häufig diese Aussage, dass Suizid Folge einer Depression ist, aber das muss nicht immer so sein. Es ist natürlich häufig damit verbunden. Depressionen sind ganz schwere psychiatrische Krankheiten, die mit einem enormen Leidensdruck einher gehen. Die Betroffenen fürchten oft, sie werden niemals aus diesem depressiven Tief herauskommen und sagen: "So will ich nicht weiterleben".

Video [aktueller bericht, 10.09.2024, Länge: 3:24 Min.]
Dr. Ulrich Seidl: "Menschen mit Suizidgedanken ernst nehmen und Hilfe anbieten"

SR: Aber es gibt auch noch andere Auslöser?

Dr. Ulrich Seidl: Ganz genau. Es können auch ganz andere Konstellationen sein. Zum Beispiel, dass jemand mit seinem Leben, mit Lebensthemen überfordert ist, meint Probleme nicht mehr bewältigen zu können. Sich mit dem Rücken an der Wand sieht und meint, keinen Ausweg aus der Situation mehr finden zu können.

SR: Wie kann ich das denn bei Freunden oder Angehörigen bemerken?

Dr. Ulrich Seidl: Es ist ganz wichtig, dass man bemerkt, wenn sich jemand verändert. Wenn jemand, der sonst lustig und aktiv war, beginnt, sich zurückzuziehen. Ein Warnsignal kann natürlich auch sein, wenn jemand immer mehr über seine Probleme spricht und sagt, er hat keine Hoffnung mehr oder sagt, er weiß nicht mehr, wie er seine Probleme bewältigen soll. Vielleicht auch äußert, dass es besser wäre, wenn es ihn nicht mehr gäbe.

SR: Was macht man denn in so einer Situation am besten? Was sagt man dann?

Dr. Ulrich Seidl: Ganz wichtig ist, dass man es möglichst offen anspricht. Das heißt, einerseits Signale senden, dass ich merke, da stimmt etwas nicht. Andererseits meine Offenheit zum Gespräch signalisiere. Und gerade, wenn es um Todeswünsche geht, das nicht abwerte oder moralisiere nach dem Motto. "Das darfst du uns nicht antun." Sondern sich interessiert zeigen, für die Probleme dahinter.

SR: Kann man damit wirklich etwas ausrichten oder braucht man professionelle Hilfe?

Dr. Ulrich Seidl: Wenn jemand den Wunsch hat zu sterben, dann ist professionelle Hilfe in aller Regel schon angezeigt. Wir haben ein sehr breites, gut aufgestelltes Helfernetz. Wir schauen, dass wir individuell die Hilfe geben, die erforderlich ist. Dabei ist es ganz unterschiedlich, was der Einzelne braucht. Der eine braucht einen Arzt, der andere einen Psychotherapeuten, der andere einen Sozialarbeiter, der sich um Probleme im Alltag kümmert.

SR: Damit kann man aber dann schon etwas erreichen? Den Menschen helfen?

Dr. Ulrich Seidl: Auf jeden Fall. Wichtig ist, dass man das ernst nimmt, wenn jemand so hoffnungslos und so verzweifelt ist, dass er sterben möchte. Dass man Hilfe anbietet, konkrete Problemlösungen. Und man kann in den allermeisten Fällen sehr sehr viel tun.

Auch Depression gehört zu den wirklich gut behandelbaren Krankheiten. Auch Lebensprobleme sind doch in aller Regel mit etwas Hilfe von außen lösbar.

SR: Vielen Dank Herr Seidl.


Hilfe bei Suizid-Gedanken

Sollten Sie selbst von Selbsttötungsgedanken betroffen sein, suchen Sie sich bitte umgehend Hilfe:

Die Telefonseelsorge ist in Deutschland durch über 100 Stellen gebührenfrei und anonym erreichbar:

  • Telefonseelsorge und Beratungsstelle Saar: (0800) 111 0 111
  • Nummer gegen Kummer für Kinder und Jugendliche: (0800) 116 111 oder 111 0 333
  • Saarländisches Bündnis gegen Depression: (0681) 40310-67/42
  • Kontakt und Informationsstelle für Selbsthilfe im Saarland: (0681) 960 2130

Über dieses Thema berichtet auch der "aktuelle bericht" im SR Fernsehen am 10.09.2024.


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