Die Füße eine Frau (Foto: Imago Images/Westend61)

Warum eine Ausgangsperre auch eine Chance sein kann

Das Interview führte Pauline Jacob   20.03.2020 | 16:22 Uhr

Ein Ausgehverbot legt den Alltag still und reduziert das gesellschaftliche Leben auf ein Minimum. Das ist eine große Einschränkung - warum es aber auch eine Chance sein kann, erklärt die Psychologin Denise Mönch aus Saarbrücken.

SR.de: Wie wirkt sich eine Ausgangssperre auf Menschen aus?

Psychologin Denise Mönch (Foto: Privat)
Psychologin Denise Mönch

Denise Mönch: Viele Menschen haben ein starkes Bedürfnis danach, sehr viel von außen zu konsumieren, um sich damit sozusagen zu „erden“. Wenn das komplett wegfällt, dann können viele Gefühle hochkommen, die durch das ganze Treiben und Tun verdrängt wurden. Ich kann mir vorstellen, dass viele unruhig oder sogar sauer werden. Und dass sie dadurch spüren, dass sie vielleicht alleine und traurig sind.

Menschen, die ihren Selbstwert aus ihrer Rolle bei der Arbeit schöpfen, können erstmal in ein Loch fallen – in eine Identitätskrise sozusagen. Im günstigsten Fall kann man dann etwas Eigenes entwickeln, aber das hängt natürlich auch von Begabungen und Fähigkeiten ab. Und davon, wie man vorher gelernt hat, mit Lücken umzugehen.

SR.de: Also setzen sich viele Leute Termine, um sich abzulenken von inneren Konflikten?

Denise Mönch: Zum einen gibt unsere Gesellschaft uns natürlich viel vor: Solange man etwas Tolles leistet, bekommt man von außen Zuwendung, Aufmerksamkeit und Lob. Die Zufriedenheit damit, einfach in diesem Moment zu leben, ohne etwas Bestimmtes zu vollbringen, geht dadurch verloren. Auf der anderen Seite versucht man mit einem vollgeplanten Alltag auch unbewusst, sich selbst zu beruhigen – das können viele ohne Konsum gar nicht.

SR.de: Wie wirkt sich eine Ausgangsperre möglicherweise auf Familien aus, die jetzt auf längere Zeit zusammen zuhause bleiben?

Denise Mönch: Das kann ganz unterschiedlich ausfallen. Die Bindung kann gestärkt werden, weil die Familien nochmal mehr miteinander machen. Das ist vielleicht ein Lichtblick in der ganzen Situation. Es kann bei manchen Familien aber auch zu massiven Konflikten kommen, weil dann alles ausgesprochen wird, was man zuvor knapp unter der Oberfläche halten konnte. Vorher konnte man sich ja mit seiner Tagesstruktur davon ablenken.

SR.de: Sind solche Konflikte vielleicht auch notwendig?

Denise Mönch: Klar, Konflikte zu lösen ist ja immer positiv, solange man es nicht auf eine destruktive Art und Weise macht. Aber für Menschen, die alleine leben, und auch sonst kein großes soziales Umfeld haben, für die wäre eine Ausgangssperre natürlich eine sehr große Herausforderung.

SR.de: Könnte diese „Pause“ das gesellschaftliche Verhalten auch positiv beeinflussen?

Denise Mönch: Ich denke auf jeden Fall, dass eine Pause mal nötig war, in der weniger produziert und konsumiert wird, in der Menschen wieder zu sich selber finden. Ich habe nur leider die Vermutung, dass wenn sich die Situation wieder normalisiert hat, die Menschen umso mehr konsumieren, umso mehr reisen, um die entstandene Lücke wieder zu füllen.

Durch längeres Nichtstun können aber auch kreative Denkprozesse in Gang gesetzt werden. Man fängt an, sich zu fragen: Was könnte ich denn jetzt Sinnvolles tun, was würde mir überhaupt Freude bereiten? Dass die Menschen durch den Coronavirus jetzt mal gezwungen sind, sich mit sich selbst auseinander zu setzen, ist natürlich eine große Chance für sie.

Artikel mit anderen teilen


Push-Nachrichten von SR.de
Benachrichtungen können jederzeit in den Browser Einstellungen deaktiviert werden.

Datenschutz Nein Ja