Jedes vierte Opfer häuslicher Gewalt ist männlich
Beim Thema häusliche Gewalt denken viele zuerst an Gewalt gegen Frauen. Im Saarland sind ein Viertel der Opfer seit Jahren jedoch Männer. Hilfe finden sie unter anderem bei der Interventionsstelle für Opfer häuslicher Gewalt.
In den letzten fünf Jahren ist die Zahl der Fälle häuslicher Gewalt im Saarland gestiegen. Das geht aus Zahlen des saarländischen Justizministeriums hervor, die das Ministerium auf SR-Anfrage mitgeteilt hat. In wie vielen Fällen es dabei zu einer Anklage oder sogar zu einer Verurteilung kam, lässt sich aber nicht rückschließen.
Jedes vierte Opfer ist männlich
Während bei der Staatsanwaltschaft Saarbrücken 2017 noch 1590 Verfahren erfasst wurden, waren es 2021 insgesamt 2491. Auch dieses Jahr liegen die Zahlen mit 1691 Fällen bereits höher als 2017.
Dieser Trend lässt sich nicht allein mit der Coronapandemie erklären. Zwar gab es dadurch mehr Fälle, ein Anstieg war jedoch auch bereits vor der Pandemie spürbar. So gab es 2018 etwa 2349 Verfahren.
Insgesamt war in den letzten fünf Jahren jeder vierte Betroffene häuslicher Gewalt männlich. Nach Einschätzung von Experten gibt es zudem aber wohl auch eine hohe Dunkelziffer.
Keine Hilfe nur für Männer
Auch in anderen Bundesländern wie etwa in Rheinland-Pfalz liegt der Anteil der betroffenen Männer auf einem ähnlichen Niveau. Im saarländischen Nachbarbundesland war laut Evangelischem Pressedienst im vergangenen Jahr etwa jeder fünfte Betroffene ein Mann.
Die rheinland-pfälzische Landesregierung hatte daraufhin Mitte August angekündigt, betroffene Männer stärker unterstützen zu wollen. Deshalb soll nun die 2021 eröffnete Beratungsstelle "Safe" gefördert werden.
Im Saarland gibt es hingegen bislang kein spezielles Beratungsangebot für Männer. Auch ein Ausbau ist derzeit nach Angaben des saarländischen Sozialministeriums nicht geplant. Es sei kein gesteigerter Bedarf ersichtlich. Das zuständige Fachressort verfolge jedoch die Entwicklung und werde wenn nötig Maßnahmen ergreifen.
Nach wie vor Tabuthema
Das Ministerium verweist stattdessen auf die Beratungs- und Interventionsstelle für Opfer häuslicher Gewalt im Saarland, die geschlechtsunabhängig berät. Die Zahl der ratsuchenden Männer macht dort derzeit tatsächlich den kleineren Anteil an allen Beratungen aus.
Er liegt nach Angaben der Leiterin Christine Theisen in den letzten Jahren konstant bei etwa fünf bis acht Prozent. 2021 waren etwa 773 Fälle bei der Beratungsstelle eingegangen, 45 davon betrafen Männer.
"Es ist ein Tabuthema für viele Männer", gibt Theisen aber auch zu bedenken. Das könnte ein möglicher Grund sein, warum weniger Männer Beratung suchen.
Interventionsstelle spricht Betroffene an
Die Mehrzahl der Betroffenen wendet sich tatsächlich nicht selbst an die Interventionsstelle, die vom Sozialdienst katholischer Frauen getragen wird. Möglich ist das, weil die Beratungsstelle proaktiv arbeitet, das heißt sie spricht Betroffene selbst an.
Die Kontaktdaten dafür erhalten die Beraterinnen von der saarländischen Polizei. Die Beamten fragen die Betroffenen bei Einsätzen, bei denen häusliche Gewalt eine Rolle spielt, ob sie die Kontaktdaten an die Beratungsstelle weitergeben dürfen. Dasselbe gilt wenn Betroffene bei der Polizei Anzeige erstatten.
Beratung erster wichtiger Schritt
Gleichwohl können sich Betroffene jederzeit aber auch selbst an die Interventionsstelle wenden. Sie ist telefonisch unter 0681/3799610 oder auch per Mail und Kontaktformular erreichbar.
Die Hilfesuchenden erhalten dort dann eine Erstberatung, das heißt maximal ein bis drei Beratungstermine. Das sei ein wichtiger erster Schritt für viele Betroffene.
"Unsere Aufgabe ist es, Betroffene über ihre Rechte und Schutzmöglichkeiten aufzuklären und eine Orientierung zu geben, wie es für sie weitergehen kann", so Theisen. Die Beratungsstelle vermittelt zum Beispiel auch an Rechtsanwälte, niedergelassene Psychotherapeuten, Lebensberatungsstellen - oder speziell für Männer auch an das Männerhilfetelefon.
Mehr psychische Gewalt als körperliche
In besonders gefährlichen Situationen gebe es noch die Möglichkeit, Frauen an die saarländischen Frauenhäuser zu vermitteln. Für Männer gebe es solche Zufluchtsorte im Saarland jedoch nicht. Das sei in den 15 Jahren, die es die Beratungsstelle bereits gibt, aber auch so gut wie nie nachgefragt worden.
"Es muss hier aber auch ganz klar gesagt werden, dass Frauen häufiger von schwerer körperlicher Gewalt betroffen sind", so Theisen. Die Gewalt, die Frauen gegenüber Männern ausübten, sei mehr psychische Gewalt und leichtere körperliche Gewalt.
Thema muss präsenter werden
"Wichtig wäre, das Thema präsenter in der Öffentlichkeit zu machen, weil es wahrscheinlich eine hohe Dunkelziffer von betroffenen Männern gibt", erklärt Theisen. Die Beratungsstelle arbeite derzeit deshalb gerade auch an speziellen Konzepten, die Männer gezielter ansprechen.
Theisen appelliert zudem auch an Außenstehende. Wer in seinem Umfeld Hinweise auf häusliche Gewalt feststelle, solle nicht wegschauen, sondern sich ebenfalls an die Beratungsstelle wenden. Die Berater geben dann Tipps, wie man auf die Betroffenen zugehen und ihnen helfen kann.
22.08.2022, 10:18 Uhr
Hinweis der Redaktion: In einer früheren Fassung des Artikels war eine falsche Telefonnummer als Kontakt zur Interventionsstelle angegeben. Dabei handelte es sich um die Nummer der Geschäftsstelle des Sozialdienstes katholischer Frauen, der Träger der Beratungsstelle ist. Die nun angegebene Telefonnummer ist die der Interventionsstelle. Wir bitten den Fehler zu entschuldigen.