Der Verein Ukraine-Saarland-Berlin e.V. sammelt Hilfsgüter, um sie in die Ukraine zu schicken bzw. an Geflüchtete aus der Ukraine im Saarland weiterzugeben.  (Foto: Tabea Prünte/SR)

Mit Paletten-Patenschaften gegen die Not des Krieges

Tabea Prünte   29.07.2022 | 15:44 Uhr

Seit fünf Monaten ist der russische Angriffskrieg gegen die Ukraine für viele Menschen Alltag. Die Not in der Ukraine wächst und auch geflüchtete Menschen im Saarland benötigen Unterstützung. Die Spendenbereitschaft war zu Beginn groß, zuletzt nimmt sie eher ab. Mit neuen Projekten will ein Verein aus dem Saarland der gefühlten Ohnmacht entgegenwirken.

Ein großer Eingangsbereich, Gänge, die durch Kleiderstangen abgegrenzt werden, Schilder, die von der Damen- zur Herrenabteilung leiten, dahinter die Küchenabteilung neben den Babyklamotten auf der anderen Seite und dem Kinderspielzeug in der Mitte. Zwischendrin eine Umkleidekabine.

Was nach Kaufhaus klingt, ist eigentlich durch eine große Sammlung an Spenden zusammengekommen. Hier in Wadgassen können ukrainische Geflüchtete im Saarland eine erste Grundausstattung finden. Das alles ist improvisiert: Schwerlastregale wurden zu Schuhregalen umfunktioniert, Spanngurte mit Planen überdeckt, weil das Dach der Halle nicht ganz dicht ist, Pappkartons dienen als Wühlkisten, Paletten als Warentische - "wie es mit unseren Mitteln halt geht", erklärt die Mitgründerin des Vereins Ukraine-Saarland-Berlin Andrea Tamblé.

Spenden auf 1400 Quadratmetern

Geplant war dies eigentlich nicht. Am Wochenende nach Kriegsbeginn am 24. Februar dieses Jahres habe sich die gelernte Friseurmeisterin mit Freunden aus Berlin zusammengeschaltet, eine davon selbst Ukrainerin. Gemeinsam haben sie einen Hilfsaufruf gestartet. Die erste Idee: mit kleinen Dingen zu helfen, die durch ein paar Spenden zusammenkommen.

"Das Ganze ist explodiert. Innerhalb von vier Tagen ist es so gewachsen, dass wir diese Halle brauchten", staunt Tamblé mit Blick durch die 1400 Quadratmeter große Lagerhalle der Firma Koch in Wadgassen. Es sei eine wahre Kettenreaktion losgegangen.

Mittlerweile bestehe das Kernteam aus 30 Personen "aus allen Sparten" - ein Lehrer sei dabei, eine Rentnerin, Verkäuferinnen, selbstständige Unternehmerinnen und Unternehmer. Über den gesamten Zeitraum hinweg haben etwa 500 Personen mal hier, mal da geholfen: Kisten sortiert, den Boden gekehrt, Paletten getragen.

"Das ist etwas, das nur im Saarland funktioniert: Ich kenne einen und der kennt einen und der kann uns das besorgen." Nach dem Prinzip habe sich die Halle gefüllt. "Das ist ein Erlebnis, das mich geprägt hat", so Tamblé.

Der Verein Ukraine-Saarland-Berlin e.V. sammelt Hilfsgüter, um sie in die Ukraine zu schicken bzw. an Geflüchtete aus der Ukraine im Saarland weiterzugeben.  (Foto: Tabea Prünte/SR)
Der Verein Ukraine-Saarland-Berlin e.V. sammelt Hilfsgüter, um sie in die Ukraine zu schicken bzw. an Geflüchtete aus der Ukraine im Saarland weiterzugeben.

"Notanker für viele"

Jetzt nehmen pro Tag etwa 50 bis 100 Familien die Hilfe in Anspruch. Samstags meist sogar noch mehr. Der Bedarf nimmt kaum ab.

Es gilt das Prinzip der freien Selbstbedienung und kontrolliert, wer kommt, werde nicht. "Wir sind für ukrainische Geflüchtete da, aber wir weisen niemanden ab, der in Not ist. Da gibt es kein Nein."

Die Grundidee des Vereins sieht vor, von dem Moment an zu überbrücken, ab dem Menschen aus der Ukraine Fuß auf deutschen Boden setzen - bis zu dem Moment, wo sie durch Behörden zumindest Zugang zum Wichtigsten erhalten: Geld, Wohnraum, Lebensmittel. "Diese Zeitspanne war am Anfang noch sehr groß", erinnert sich Tamblé an die ersten Wochen nach Beginn des Angriffskrieges, an die ersten Wochen, in denen Menschen aus ihrer Heimat geflohen waren. "Wir waren da echt Notanker für viele."

Dankbar für die Hilfe

So auch für Oksana und David, die an diesem Tag in die Spendensammlung kommen. Vor drei Monaten sind sie aus der ukrainischen Hauptstadt Kiew geflüchtet. "So viele Menschen geben sich viel Mühe und geben ihre Zeit", übersetzt die Vereinsmitarbeiterin Irina Zelinska die Aussagen von Oksana ins deutsche. "Wir sind sehr dankbar dafür, diese Hilfe zu bekommen."

Für einen Besuch seien die beiden bereits zuvor in Deutschland gewesen. "Aber in diesem Zustand ist es etwas anderes."

Oksana und David leben seit drei Monaten in Deutschland. Sie sind aus ihrer Heimatstadt Kiew geflüchtet. (Foto: Tabea Prünte/SR)
Oksana und David leben seit drei Monaten in Deutschland. Sie sind aus ihrer Heimatstadt Kiew geflüchtet.

Viele Menschen aus der Ukraine sind nur mit dem Minimum ihrer Existenz hergekommen, berichten Oksana und David. Unterlagen, Papiere, Pass und Kleinigkeiten. Hier die notwendige Grundausstattung bekommen zu können, sei eine große Hilfe - gerade auch für Familien mit Kindern. Denn es gibt auch Spielsachen oder Bücher.

Die Geschichten der Menschen

"Wir kennen all diese Geschichten. Wir sehen Bilder, die nicht in den Nachrichten sind. Zu uns kommen Menschen, die aus bombardierten Häusern geflohen sind und erzählen uns ihre Erlebnisse." Bei Tamblé breite sich an manchen Tagen ein Gefühl der Ohnmacht gegenüber der Lebenssituation der Menschen aus.

Spenden-Transporte für die Ukraine

Dennoch behält sie den Überblick. Nicht nur über die Ware, die hier vor Ort in Wadgassen bereitsteht - sie hat auch Spendensammlungen für Lkw-Transporte in die Ukraine im Blick. Fünf davon sind bereits in die Krisengebiete gelangt, unter anderem in den Donbass, "also wirklich in die umkämpften Gebiete". Der Sechste soll Ende des Monats auf den Weg kommen.

Bestückt werden sie mit Paletten, für die Privatpersonen oder auch Unternehmen Patenschaften übernehmen können. Insgesamt 30.000 Euro kostet eine volle Ladung. Jeder gespendeten Palette wird dafür eine bestimmte Thematik zugeordnet: Lebensmittel, Medikamente oder Babymaterial zum Beispiel. So verliere die Spende ihre Anonymität, findet Tamblé und hofft damit auf mehr Spendenbereitschaft.

Durch Paletten-Patenschaften möchte der Verein das Spendenaufkommen nochmal aufleben lassen. (Foto: Tabea Prünte/SR)
Durch Paletten-Patenschaften möchte der Verein das Spendenaufkommen nochmal aufleben lassen.

Spenden werden weniger

Diese habe zuletzt nämlich nachgelassen. Am Anfang gab es viele Spenden und große Ideen. Tamblé berichtet von Spendenläufen an Schulen, Charity-Konzerten oder Kuchenverkäufen, deren Einnahmen der Arbeit des Vereins zugute kamen. Doch: "Der Alltag kehrt ein", so die Freiwillige. "Man schaut die Nachrichten und es ist im Prinzip dasselbe wie am Vortag. Und am Tag davor. Die Menschen nehmen das nicht mehr so entsetzt wahr. Es verpufft."

Gleichzeitig würden sich viele um die eigene finanzielle Zukunft sorgen. Alles werde teurer.

Ohne finanzielle Mittel seien die Möglichkeiten des Vereins irgendwann zwangsläufig jedoch erschöpft. Und dann helfe jegliches freiwillige Engagement auch nur noch bedingt. "Uns blutet das Herz, wenn die Lkws nicht mehr fahren, weil uns das Geld ausgeht", sagt Tamblé.

Spenden für Krankenhäuser

Der letzte Lkw mit Hilfslieferungen des Vereins ging gezielt an Krankenhäuser. Dorthin "wo die ganzen Amputationen stattgefunden haben". Er enthielt Krücken, Rollatoren, Rollstühle, Matratzen sowie sogar ein vollständiges Krankenbett - gespendet von einer Privatperson.

Im Moment seien neben Lebensmitteln auch Inkontinenz-Materialien für ältere und verletzte Menschen wichtig. Sie steckten derzeit in Pflegeeinrichtungen in den umkämpften Gebieten fest und können aus diesen Regionen nicht herausgeholt werden, weiß Tamblé von den ukrainischen Kontaktpersonen vor Ort.

Kontakt in die Ukraine

Mit diesen Kontaktpersonen bleiben vor allem die Vereinsmitgründer Rolf und Tetyana Mühlen von Berlin aus in regem Austausch. Nur so lassen sich die Hilfstransporte ab der ukrainischen Grenze koordinieren. Vom Lager in Wadgassen aus bringen Fahrer die Paletten in die Grenzgebiete. Dort übernehmen die ukrainischen Kontaktpersonen die Lieferungen.

Ob diese aber zunächst aus der Ukraine heraus und dann wieder hereinkommen, ist Tamblé zufolge nicht immer gesichert. An einer Übergabestelle sei es in der Vergangenheit bereits zu unsicher gewesen, "dann mussten wir spontan umorganisieren".

Koffer für den Krieg

Fünf Monate dauert der Krieg nun bereits an. Fünf Monate, in denen auch der Verein gelernt und Erfahrungswerte gesammelt hat. "Ich hätte nie gedacht, dass ich mal Koffer für ein Kriegsgebiet packe", sagt Tamblé. Zu Beginn haben sie vor allem Winterkleidung verpackt. "Irgendwann war klar, wir müssen die neonfarbenen Jacken rausholen. Tarnfarben, dunkle Kleidung. Da machst du dir gar keine Gedanken drüber", erzählt sie. "Wir haben Fehler gemacht, die erkannt und daraus gelernt."

Wie sich die Lage entwickeln wird, wisse man nicht. Aber die Palettenpatenschaften werden erstmal bleiben, "weil wir dran glauben", sagt die Freiwillige. "Die Hilfsgüter werden wechseln. Je nachdem wie der Bedarf ist. Vielleicht sind wir irgendwann dazu gezwungen, Wasser hinzubringen. Die Situation im Winter wird nicht einfacher. Vielleicht wird es dann auch wechseln zu Schlafsäcken, Decken oder Taschenlampen."

Was sicher ist: Die Arbeit von Tamblé und dem gesamten Team wird weiter gehen. Am 27. August sei ein weiteres Projekt geplant. Dann soll ein Dankesfest für die Helferinnen und Helfer sowie die Spenderinnen und Spender stattfinden, inklusive Benefizkonzert.

Andrea Tamblé (vierte Person von links) mit einem Teil des Vereinsteams in der Lagerhalle in Wadgassen. (Foto: Tabea Prünte/SR)
Andrea Tamblé (vierte Person von links) mit einem Teil des Vereinsteams in der Lagerhalle in Wadgassen.


Wie Menschen im Saarland helfen können

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