Erster Hebammenkreißsaal des Saarlandes startet in St. Wendel

Erster Hebammenkreißsaal des Saarlandes startet in St.Wendel

Anke Birk   23.12.2023 | 10:40 Uhr

Schwangere Frauen können ab Januar eine so genannte sanfte und natürliche Geburt im Marienhaus Klinikum St. Wendel-Ottweiler erleben. Dann startet dort der erste nur von Hebammen geführte Kreißsaal im Saarland. Diese möchten eine an den Bedürfnissen der Frau orientierte Geburtshilfe anbieten.

Zwölf Beleghebammen werden künftig schwangere Frauen im neuen Hebammenkreißsaal in St. Wendel betreuen. Eine von ihnen ist Anika Scholl von der Hebammengemeinschaft “Zauberhaft“ in Ottweiler. 

Sie sagt über die Alternative zur Geburt im gewöhnlichen Kreißsaal: „Das ist ein wenig 'back to the roots'“ – also zurück zu den Wurzeln der Geburtshilfe und weg von viel Technik. Scholl sagt, immer mehr Frauen wünschten sich eine selbstbestimmte, natürliche Geburt im sicheren Umfeld einer Klinik. Viele äußerten den Wunsch, in möglichst privater Atmosphäre zu entbinden, ohne auf die Sicherheit eines voll ausgestatteten Krankenhauses zu verzichten.

Eine so genannte sanfte Geburt ohne technische Hilfsmittel sei früher nur als Hausgeburt oder als Entbindung in einem Geburtshaus möglich gewesen.

Alternative bei normalem Schwangerschaftsverlauf

Die Schwangeren werden während der Geburt durchgängig von einer Hebamme begleitet.  Solange kein absehbares Geburtsrisiko bestehe, spreche bei einer normalen Schwangerschaft nichts gegen eine solche Geburt.

Um Risiken zu minimieren, müssen die Frauen vorab einen dreiseitigen Fragenkatalog beantworten. Außerdem finden zwei Vorgespräche statt.

Frauen mit einer Risikoschwangerschaft dürfen nicht im Hebammenkreißsaal entbinden. Das ist durch Leitlinien klar geregelt. Ausschlusskriterien sind etwa Schwangerschaftsdiabetes oder Bluthochdruck. Denn dann besteht ein Risiko für Komplikationen bei der Geburt.

Ab der 24. Schwangerschaftswoche können sich die Schwangeren im Hebammenkreißsaal vorstellen. Eine Geburt ist dort ab der 37. Schwangerschaftswoche möglich.

Bei Komplikationen ist ärztliche Hilfe möglich

Der Hebammenkreißsaal versteht sich als zusätzliches Angebot für Schwangere, er soll nicht den Standardkreißsaal unter ärztlicher Leitung ersetzen. Im Hebammenkreißsaal haben die Frauen eine höhere Wahrscheinlichkeit, eine Geburt ohne Interventionen wie Wehentropf, Dammschnitt oder Saugglocke zu erleben.

Ärztliche Hilfe wird nur hinzugezogen, wenn während der Geburt Komplikationen auftreten. Im Notfall sei die entsprechende Infrastruktur vorhanden, sagt Anika Scholl. Dann könnten die Hebammen jederzeit einen Arzt rufen.

Der Chefarzt der Frauenklinik am Knappschaftsklinikum Saar in Püttlingen, Martin Deeken, sieht das allerdings kritisch. Er betont, bei auftretenden Pathologien dauere es unter Umständen zu lange, bis ein Arzt anwesend sei. Zum Beispiel könnten Geburtsstillstände zu spät erkannt werden. Auch könnten sich Hebammen selbst überschätzen oder Situationen falsch einschätzen. Er hält es für sinnvoller, Entscheidungen in Teamarbeit zu treffen.

Hebamme Anika Scholl erklärt, wenn eine Frau an den Punkt komme und während der Geburt merke, das sei nichts für sie, könne sie sich noch für eine Geburt im normalen Kreißsaal entscheiden.

Geburt wird mit Naturheilkunde erleichtert

Um die Geburt zu erleichtern, werden von den Hebammen naturheilkundliche Verfahren angewendet. Anika Scholl betont: „Die Geburt ist nicht schmerzfrei“. Eine Periduralanästhesie (PDA), also eine rückenmarksnahe Narkose wie im normalen Kreißsaal, gebe es nicht.

Die Hebammen wenden Akupunktur an, um die Schmerzen während der Geburt zu lindern. Das Taping der Akupunkturpunkte wirkt sich nach Angaben der Hebammen besonders positiv auf das Bindegewebe des Muttermundes aus, so dass sich dieser unter der Geburt schneller öffnet.

Auch ein sogenannter „Geburtskamm“ zur Akupressur kann die Frau während der Wehen ablenken und Schmerzen lindern, erklärt Anika Scholl. Zudem könne durch elektrische Nervenstimulation mittels Elektroden die Schmerzintensität reduziert werden. Diese werden auf dem Rücken angelegt. Das stört die Weiterleitung des Schmerzimpulses von der Gebärmutter zum Gehirn.

Anika Scholl macht auch eine Hypnobirthing-Fortbildung, um Frauen die Wehen zu erleichtern. Hypnose während der Geburt ziele darauf ab, diese nicht mit Schmerz zu verbinden oder den Geburtsschmerz nicht negativ zu bewerten. Auch Lachgas könne während der Geburt eingesetzt werden.

Arzt: Ausreichende Schmerzlinderung nur mit Anästhesie

Chefarzt Martin Deeken hält eine ausreichende Schmerzlinderung während der Geburt „im Prinzip nur durch eine Periduralanästhesie“ für möglich. Diese dürfe aber nur von Anästhesisten durchgeführt werden.

Deeken sagt aber auch, es seien oft nicht die Mittel selbst, sondern das „Kümmern“ um die Person, das Schmerzen während der Geburt erträglich mache. Hinzu komme der Placebo-Effekt. Bei vielen Frauen reiche eine „einfache“ Schmerzbekämpfung, bei anderen aber nicht.

Bewährtes Modell in anderen europäischen Ländern

In der Schweiz, Österreich, Skandinavien und Großbritannien gibt es schon länger Hebammenkreißsäle als in Deutschland. Der erste deutsche Hebammenkreißsaal wurde 2003 im Klinikum Bremerhaven Reinkenheide gegründet. Das Konzept wurde von Anfang an vom Verbund Hebammenforschung an der Hochschule Osnabrück wissenschaftlich begleitet.

Der bisher vom Saarland aus nächstgelegene Hebammenkreißsaal ist in Pirmasens. Studien konnten zeigen, dass eine Geburt im Hebammenkreißsaal zu einer größeren Zufriedenheit bei den Frauen führt. Das hat etwa eine vom Bundesministerium für Bildung und Forschung unterstützte Studie mit mehr als 1200 Schwangeren ergeben.

Die meisten Frauen erleben demnach die Geburt im nur von Hebammen geführten Kreißsaal positiv. Es gebe dort weniger Dammschnitte oder Zangengeburten. Auch seien künstliche Geburtseinleitungen seltener. Außerdem kämen weniger Schmerzmedikamente zum Einsatz. Darauf deuten auch die Ergebnisse eines Forschungsprojektes des Universitätsklinikums Bonn (UKB) hin.

Hebamme Anika Scholl sieht für die Frauen auch den Vorteil darin, dass sie eine intensivere Betreuung erfahren. Darüber hinaus stillen die jungen Mütter nach einer Geburt im Hebammenkreißsaal häufiger und länger – wie die Studien belegen. Sie leiden demnach auch seltener unter einer Wochenbettdepression.

Am 23. Januar findet eine offene Infoveranstaltung zum Hebammenkreißsaal in St. Wendel statt. Dann informieren die Hebammen über das Zusatzangebot. Voraussichtlich im Februar oder März werden die ersten Frauen dann im Hebammenkreißsaal in St. Wendel ihre Kinder zur Welt bringen.

Über dieses Thema berichtet auch der SAARTEXT am 23.12.2023.


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