Fall Dillinger: Beweismittel offenbar vor Verfahrenseinstellung vernichtet
Zur umstrittenen Asservatenvernichtung im Missbrauchsfall Dillinger sind nach SR-Informationen weitere Ungereimtheiten aufgetaucht. So wurden die Asservate offenbar noch vor Einstellung des Verfahrens vernichtet. Allerdings soll das Material zuvor ausgewertet worden sein.
Vergangene Woche war bekannt geworden, dass die Staatsanwaltschaft Saarbrücken umfangreiche Beweismittel im Missbrauchsfall rund um den Priester Edmund Dillinger voreilig vernichtet hat.
Hat der Erbe zugestimmt?
In der durchaus entscheidenden Frage, ob der Erbe der Dokumente der Vernichtung zugestimmt hat, steht offenbar Aussage gegen Aussage. Während der Neffe des verstorbenen Priesters gegenüber mehreren Medien erklärt hatte, keine Einwilligung erteilt zu haben, soll der zuständige Polizeibeamte nach Aktenlage das Gegenteil behaupten.
Einen zeitnahen Vermerk zu seinem Gespräch mit dem Neffen soll es allerdings nicht gegeben haben. Der Beamte soll die mutmaßliche Einwilligung des Neffen vielmehr erst im Nachhinein zu Papier gebracht haben, nachdem die Asservate bereits vernichtet waren. Eine Notiz über das Telefongespräch mit dem Neffen ist nach SR-Informationen in den Akten der Staatsanwaltschaft bisher jedenfalls nicht aufgetaucht.
Das Innenministerium wollte sich zu den Vorgängen, insbesondere zur offenbar fehlenden Telefonnotiz, zunächst nicht äußern. Minister Reinhold Jost (SPD) verwies auf SR-Anfrage auf die laufenden internen Prüfungen.
Umgang mit Asservaten wird neu geregelt
Das Justizministerium will die Richtlinien zum Umgang mit Asservaten nun konkretisieren. In sensiblen Strafverfahren - wie sexuellem Missbrauch in der Kirche - sollen vermutlich weitergehende Dokumentationspflichten eingeführt werden.
Asservate vor Verfahreneinstellung vernichtet
Zudem gibt es in dem Verfahren eine zweite Merkwürdigkeit: Die Asservate wurden nämlich noch vor Einstellung des Ermitttlungsverfahrens zu dem vermuteten pädophilen Netzwerk rund um Dillinger vernichtet. Die Unterlagen wurden demnach am 5. Juli zur Müllverbrennungsanlage Velsen gebracht, das Verfahren wurde aber erst sieben Tage später, am 12. Juli, förmlich eingestellt.
Rechtlich ist das gemäß Strafprozessordnung durchaus möglich. Die Eile allerdings verblüfft. Wobei die Vernichtung der Dillinger-Asservate kein exklusiver Vorgang gewesen sein soll. Sie fand vielmehr im Rahmen einer größeren "Reinemachaktion" statt: die Asservatenkammer im Landespolizeipräsidium sollte wohl ausgemistet werden.
Vernichtete Unterlagen wurden wohl zuvor ausgewertet
Wie der SR weiter erfahren hat, sollen die vernichteten Unterlagen - wie der Terminkalender Dillingers - zuvor vollständig ausgewertet worden sein. Die sichergestellten elektronischen Medien, Laptops, Handys und Kameras, wurden zudem von einer Fremdfirma untersucht und gespiegelt. Diese Inhalte sind also in jedem Fall noch vorhanden.
Gleiches gilt für die verdächtigen Fotos von Jungen, die bei der Staatsanwaltschaft in Mainz gelagert sind. Bei der Auswertung der anderen Beweismittel hätten sich keine Hinweise auf ein pädophiles Netzwerk ergeben. Deshalb sei ja auch letztlich die Einstellung des Verfahrens durch die Staatsanwaltschaft erfolgt.
Hochgradig unprofessionelles Vorgehen
Dennoch: Das Vorgehen von Polizei und Staatsanwaltschaft war hochgradig unsensibel und unprofessionell. Denn Opfer von sexuellem Missbrauch brauchen erfahrungsgemäß oftmals Jahre wenn nicht Jahrzehnte, um sich offenbaren zu können.
Zum Nachweis möglicher Bezüge zu Dillinger wäre dann dessen Terminkalender hilfreich und ein wichtiges Beweismittel gewesen. Der Leiter der Saarbrücker Generalstaatsanwaltschaft Manfred Kost hatte vergangene Woche vermutlich auch vor diesem Hintergrund Fehler eingeräumt und sich für das Vorgehen entschuldigt.
Staatsanwaltschaft für Anzeige zuständig
Auch nach der Strafanzeige eines Dillinger Bürgers gegen den zuständigen Staatsanwalt, bleibt Kost als Generalstaatsanwalt auch für dieses Verfahren voraussichtlich zuständig. Eine Abgabe an eine andere als die Saarbrücker Staatsanwaltschaft dürfte rechtlich nicht so einfach möglich sein. Auch wenn in diesem Fall die Staatsanwaltschaft gegen ihre eigenen Reihen ermitteln muss.
Umfangreiche Aufklärung nötig
Die beteiligten Ministerien, das Justiz- und das Innenministerium, haben eine vollumfängliche und transparente Aufklärung der Vorgänge zugesagt.
Am Freitag wird es auf Antrag von CDU und SPD eine Sondersitzung des Justizausschusses im Landtag geben. Dabei sollen die Ergebnisse der internen Untersuchungen aus dem Innen- und Justizministerium vorgestellt werden.
Die Ausschusssitzung ist nicht wie sonst üblich hinter verschlossenen Türen, sondern öffentlich. Transparenz scheint auch bitter nötig. Denn Verschwörungstheorien schießen schon aus dem Boden.