Anruf aus dem Jenseits: Lässt Künstliche Intelligenz bald Tote auferstehen?
Mit Menschen in Kontakt bleiben, auch wenn sie längst gestorben sind? Das ist die Vision einiger Techunternehmen aus den USA. Und so abwegig ist die Vorstellung gar nicht, im Gegenteil. Wie das funktionieren soll und welche Probleme es birgt.
Es ist zunächst nichts Ungewöhnliches daran, mit Verstorbenen zu sprechen. Das wird es erst, wenn aus dem Monolog ein Dialog wird. Genau das versprechen aber sogenannte Grief- bzw. Trauer-Techfirmen. Mit Hilfe Künstlicher Intelligenz (KI) wollen sie schon bald das Chatten mit Toten ermöglichen. Dabei geht es nicht nur um Textnachrichten. Hinterbliebene sollen auch die Stimme ihrer verstorbenen Geliebten hören können, wann immer es ihnen beliebt. Ein Anruf ins Jenseits? Kein Problem.
Was mit Künstlicher Intelligenz alles möglich ist, hat der ChatBot GPT bereits beweisen. Basierend auf dieser Technologie soll auch die Kommunikation mit Toten funktionieren, wie Lea Schönherr, Leitende Wissenschaftlerin am CISPA-Helmholtz-Zentrum für Informationssicherheit in Saarbrücken erklärt.
Möglichst authentische Kommunikation
Heißt konkret: Ein KI-Modell wird gefüttert mit jeder Menge Daten, in dem Fall mit sämtlichen Text- und Sprachnachrichten bzw. aufgezeichneten Telefonaten oder anderen Stimmaufzeichnungen von der Person, die den Tod zumindest virtuell überdauern soll. "Die Idee ist, dass die KI quasi so antworten würde wie die verstorbene Person, auf Grundlage von Informationen, die das Modell vorher bekommen hat." Schließlich soll die Kommunikation möglichst authentisch sein.
Dass die tatsächlich "erstaunlich gut funktionieren könnte", davon ist Schönherr überzeugt. Gleichzeitig schränkt sie ein: Der KI-generierte Text- und Telefonbot wird die Eigenarten eines Menschen nicht in seiner ganzen Fülle nachbilden können und auch nicht in der Lage dazu sein, Neues zu erfinden. "Die Modelle erkennen Muster und folgen ihnen stumpf, das unterscheidet sie von einem Menschen, der in bestimmten Situationen auch mal anders reagiert als erwartet", erklärt Schönherr.
Die Modelle, die es bald geben könnte, wären dann vielmehr als eine Art interaktive Erinnerung zu betrachten. Sie könnten beispielsweise nach Aufforderung persönliche Geschichten, wie die Kennenlerngeschichte der Eltern, mit der Stimme der verstorbenen Person nacherzählen – vorausgesetzt, sie haben diese gelernt. "Dann wird das Modell das wahrscheinlich ganz gut auf unterschiedliche Arten und Weisen erzählen können. Das könnte ich mir tatsächlich als etwas Nettes vorstellen, wenn einem sowas zusagt."
Wenn eine Nachricht des Verstorbenen aufploppt
Das US-amerikanische Grief-Techunternehmen "You, Only Virtual" (YOV) will sogar noch einen Schritt weiter gehen: Der "Zeit" erzählte dessen Gründer Justin Harrison, dass sich die von ihnen erstellte virtuelle Kopie der verstorbenen Person, die sogenannte "Versona", sogar von sich aus melden können soll – plötzlich könnte dann also der Name des verstorbenen Vaters auf dem Bildschirm des Smartphones aufploppen.
"Technisch wäre auch das möglich, die Modelle kennen Eröffnungsfloskeln und würden die Gesprächsaufnahme schon hinbekommen. Da ist eher die Frage, wie die Hersteller das umsetzen würden", sagt Schönherr. Hier geht es etwa um die Frage, ob die Kundinnen und Kunden selbst einstellen können, zu welchem Zeitpunkt beziehungsweise unter welchen Bedingungen eine Kontaktaufnahme erlaubt ist. "Also das kann ich nur hoffen, dass das so geregelt wird."
YOV wirbt auf seiner Webseite mit den Worten "By creating a digital version of yourself, you ensure that you’ll always be in contact, even when the unthinkable happens", auf Deutsch: Indem Sie eine digitale Version Ihrer selbst erstellen, stellen Sie sicher, dass Sie immer in Kontakt bleiben, selbst wenn das Unvorstellbare passiert. Aber was macht sowas eigentlich mit den Hinterbliebenen und wie wirkt sich das auf deren Trauer aus?
Trauerbegleiterin skeptisch
Die Trauerbegleiterin und psychologische Beraterin Vanessa Horn aus Saarbrücken sieht darin Risiken – insbesondere für Trauernde, die Probleme damit hätten, einen schmerzlichen Verlust zu akzeptieren. "Ein solches Angebot würde eine Verdrängung geradezu befeuern." Zudem könnte es zu einer zunehmenden Vereinsamung beitragen.
"In einer Gesellschaft, die Trauer nur bis zu einem gewissen Grad akzeptiert, würde das Kommunizieren mit einem Bot, der eine verstorbene Person nachahmen soll, meiner Einschätzung nach eher auf Unverständnis stoßen." Hinterbliebene, die sich in ihrer Trauer ohnehin oft alleingelassen fühlten, könnten so noch mehr vereinzeln.
Horn hält auch Traumata für denkbar. "Wenn Hinterbliebene ihre Trauer noch nicht verarbeitet haben und dann wie aus dem Nichts der Name des oder der Verstorbenen auf ihrem Smartphone auftaucht, dann kann das schwerwiegende Folgen haben."
Dass hier nicht wirklich die geliebte Person schreibt bzw. anruft, sondern nur eine digitale Kopie von ihr, das sei im ersten Moment wohl kaum richtig zu begreifen – insbesondere Kinder könnten hier nicht differenzieren. "Insofern wäre das ein völlig ungeeigneter, höchst problematischer, wenn nicht gar gefährlicher Umgang mit ihrer Trauer."
Gleichzeitig sieht Horn auch Chancen für die Trauerbewältigung, "allerdings nur für eine sehr geringe Zahl von Trauernden". Und zwar für jene, die das peinigende Gefühl hätten, "sich nicht richtig von ihrem geliebten Menschen verabschiedet haben zu können und glauben, ohne richtigen Abschluss keinen inneren Frieden finden zu können."
Die Simulation eines solchen Abschluss"gespräches" sollte dann aber in jedem Fall begleitet stattfinden, also in Anwesenheit einer Trauerbegleitung oder eines Psychologen bzw. einer Psychologin – und auch nur dann, wenn die Person nach deren Einschätzung belastbar genug dafür ist. "Als einmalige Angelegenheit, bei der sich Trauernde noch einmal alles von der Seele sprechen, kann ich mir das unter diesen Umständen noch am ehesten vorstellen."
Auch datenschutzrechtliche Fragen offen
Dennoch ist die Trauerbegleiterin davon überzeugt, dass das "Risiko bei solchen Anwendungen den Nutzen klar überwiegt". Bedenken hat auch die CISPA-Wissenschaftlerin Lea Schönherr – diese betreffen jedoch datenschutzrechtliche Aspekte. Zwar gehen die digitalen Daten eines Verstorbenen nach aktuellem Recht auf seinen Erben über. Ob dieser die persönlichen Daten einem Dritten zur Verfügung stellen will, damit der einen Bot daraus entwickelt, ist also eher eine ethische Frage.
Möchte der Hinterbliebene seine Entscheidung aber rückgängig machen, nachdem er etwa eine Zeit lang mit dem Bot kommuniziert und festgestellt hat, dass es doch keine so gute Idee war, bleibt die Frage, was mit den bereitwillig weitergegebenen Daten geschieht. "Man hat die Daten jetzt auf irgendeinem Server liegen und hat dann auch keine Kontrolle mehr über sie", erklärt Schönherr.
Schließlich sollte man sich auch selbst die Frage stellen: Will ich Text- oder Sprachnachrichten zwischen einer geliebten Person und mir wirklich Dritten zur Verfügung stellen? Denn in der Regel handelt es sich hierbei um äußerst sensible Daten, die in den Bereich der Privat- und Intimsphäre fallen. Oder bewahre ich diese Erinnerungen lieber im Herzen – so wie die Person, die mit einer digitalen Kopie in Wirklichkeit doch niemals zu ersetzen ist.