Wie können anonyme Bewerbungen Diskriminierung verhindern?
Immer wieder erfahren Menschen bei Bewerbungsprozessen Diskriminierung. Diese nachzuweisen ist aber schwierig bis unmöglich, trotz Allgemeinem Gleichbehandlungsgesetz. Helfen könnten anonymisierte Bewerbungen, die spielen aber in der Realität kaum eine Rolle. Warum?
Name, Foto, Geschlecht – all das sollte bei der Einladung zum Bewerbungsgespräch keine Rolle spielen. Was zählt, ist die Qualifikation, zumindest in der Theorie. In der Realität kann das aber ganz anders aussehen, hatte eine Studie der Universität Linz 2014 herausgefunden.
Während Sandra Schulz von 18,8 Prozent der Unternehmen eingeladen wurde, bei denen sie sich bewarb, war Merym Öztürk nur in 13,5 Prozent erfolgreich. Trug Merym dazu noch ein Kopftuch, wollten sogar nur noch 4,2 Prozent der Unternehmen sie persönlich kennenlernen. Die Qualifikationen der Personen war jeweils identisch.
Frauen und Menschen mit Migrationsgeschichte besonders betroffen
Die Ergebnisse der Studie spiegeln sich auch im Beratungsalltag des Antidiskriminierungsforums Saar wider: „Alter, Herkunft, Behinderung und Geschlecht spielen eine Rolle. Und das vor allem in Verbindung, wir sprechen in dem Kontext von Intersektionalität“, erklärt Leiterin Behnaz Bleimehl. Treffen also mehrere Diskriminierungsmerkmale aufeinander, wird es für die Betroffenen immer schwieriger, beim Bewerbungsprozess erfolgreich zu sein.
Laut der Bundesstelle für Antidiskriminierung entfällt rund ein Viertel der Diskriminierung im Arbeitsleben auf Arbeitssuche und Bewerbung. Im speziellen werden besonders zwei Personengruppen benachteiligt: „Das klassische, deutsche Bewerbungsverfahren macht es insbesondere Menschen mit zugeschriebener Migrationsgeschichte und jungen Frauen schwer, zum Zug zu kommen“, sagt Pressesprecher Sebastian Bickerich.
Anonyme Bewerbung bietet Chancen
Helfen könnte eine anonymisierte Bewerbung – in der beispielsweise kein Foto ist, der Name, das Alter oder weitere Angaben geschwärzt sind. Für Behnaz Bleimehl gerade aus Betroffenenperspektive ein sinnvolles Instrument: „Bei Bewerbenden wie Frauen oder Menschen mit Migrationsgeschichte steigt die Chance auf eine Einladung zum Gespräch. Weil wir eben wissen, dass Geschlecht und Migrationsgeschichte Faktoren sind, die die Chancen mindern und diese dann keine Rolle mehr spielen.“
Auch die Antidiskriminierungsstelle des Bundes und die deutsche Integrationsministerkonferenz sehen das ähnlich. Der Einsatz anonymisierter Bewerbungsverfahren habe das Potenzial zum Abbau von Diskriminierungen und Benachteiligungen von Menschen mit zugeschriebenem Migrationshintergrund auf dem Arbeitsmarkt. Zudem böten sie eine Möglichkeit zu fördern.
In Deutschland kaum im Einsatz
Im Alltag spielt diese Art der Bewerbung aber keine große Rolle, geht aus der Antwort der Bundesantidiskriminierungsstelle hervor: „Es ist es wohl noch ein weiter Weg, bis sich das Verfahren durchsetzen wird. Bislang gibt es nur wenige öffentliche Arbeitgeber und – im nationalen Kontext – wenige private Unternehmen, die auf das Verfahren setzen“, sagt Pressesprecher Bickerich. Das sehe international anders aus: Dort setzten auch deutsche Unternehmen sehr häufig auf anonymisierte Bewerbungsverfahren.
Die Vereinigung Saarländischer Unternehmen (VSU) schätzt die Bedeutung des Verfahrens ähnlich ein: „Nach unserer Erfahrung spielen anonyme Bewerbungen im Rekrutierungsprozess in der Praxis eine nachgelagerte Rolle.“ Die Begründung unterscheidet sich jedoch von der der Antidiskriminierungsstellen. Laut VSU verhinderte diese Art der Bewerbung Diskriminierung lediglich „symbolisch“.
Weshalb anonyme Bewerbungen kaum eine Rolle spielen, hat für Behnaz Bleimehl mehrere mögliche Gründe. „Ein Punkt ist beispielsweise der Aufwand, der damit verbunden ist. Das geht auch aus dem Pilotprojekt der Antidiskriminierungsstelle hervor.“ Zudem gebe es Skepsis gegenüber standardisierten Formularen, weil diese als zu starr oder unflexibel betrachtet würden.
Allgemeines Gleichbehandlungsgesetz mit Hürden in der Praxis
Eigentlich soll das Allgemeine Gleichbehandlungsgesetz (AGG) helfen. Es verbietet Diskriminierung auf allen Ebenen des Arbeitslebens, das heißt im Arbeitsalltag, beim beruflichen Aufstieg und bei der Einstellung.
In der Praxis sei der Nachweis oft schwer, sagt Bleimehl: „Ich kann zwar die Benachteiligung nachweisen – also: ‚Ich wurde nicht zum Bewerbungsgespräch eingeladen‘. Aber inwieweit kann ich als betroffene Person Indizien nachweisen, die nachweisen, dass es in Verbindung mit den geschützten Merkmalen steht?“
Dafür müsse man Indizien bringen, die gesagt oder geschrieben wurden, oder eben auch andere Bewerbungen. Genau dort hätten Menschen aber keinen Einblick. Die im AGG vorgesehene so genannte Beweislasterleichterung sei daher in der Theorie gut, aber nicht in der Praxis ausreichend, da sie immer noch mit sehr vielen Hürden verbunden sei.
Beste Chance auf juristische Erfolge haben Menschen mit Behinderung
Eine ähnliche Einschätzung der Situation hat auch die Bundesstelle: „Diskriminierungen im Bewerbungskontext sind nur schwer nachzuweisen.“ Trotzdem sollten sich Betroffene juristisch beraten lassen, wenn sie klare Anzeichen für eine Diskriminierung wegen eines im AGG geschützten Merkmals (Alter, Behinderung, Geschlecht, sexuelle Orientierung, Religion und Weltanschauung oder rassistische Diskriminierung) im Bewerbungsprozess haben.
Die besten Chancen haben hierbei Menschen mit Behinderung, sagt Bleimehl. „Bei einer Behinderung reicht es als Indizienbeweis aus, wenn im öffentlichen Bereich beispielsweise die Schwerbehinderten-Vertretung bei einer Absage nicht angehört wird. Das gilt im AGG als Indiz.“
Anonyme Bewerbungen als Pflicht?
Bei allen anderen Formen der Diskriminierung ist die Beweisführung aber kaum zu leisten. Hier könnte eine Anpassung des Gesetzes helfen, sagt Bleimehl: „Im AGG könnte man zum Beispiel nominieren, dass die anonymisierte Bewerbung eine Pflicht wird. Das wäre eine konkrete Maßnahme zur Vermeidung von Diskriminierung oder zum adäquaten Umgang mit dem Diskriminierungsrisiko. Das wäre etwas, das man präventiv machen könnte.“
Das hält die Vereinigung der saarländischen Unternehmen nicht für eine zielführende Maßnahme. „Eine gesetzliche Verpflichtung von Unternehmen zu anonymisierten Bewerbungen lehnen wir ab. Ein Zwang zu anonymisierten Bewerbungen würde zu erheblichen zusätzlichen Kosten bei der Gewinnung von Talenten führen.“
VSU setzt auf Selbstverpflichtung
Man setze zur aktiven Förderung von Vielfalt auf die Selbstverpflichtung der Unternehmen gegen Diskriminierung und für eine positive Vielfalt sowie die Verwirklichung der Grundsätze des Allgemeinen Gleichbehandlungsgesetzes (AGG).
Das Problem hier: „Viele Strukturen sehen sich bereits selbst als Diversity-orientiert an.“ Man höre oft, dass Vielfalt wichtig sei – „Aber eine sehr explizite Auseinandersetzung mit Diversity und deren Kehrseite, also der Diskriminierung, erfolgt nicht so, wie es eigentlich sein sollte.“
Das nehme die Stelle bei der Arbeit mit verschiedenen Institutionen wahr. Das bedeute auch, dass Unternehmen deshalb in der anonymen Bewerbung auch keinen Nutzen sähen. „Es ist aber auch eben etwas anderes, ob ein Unternehmen Diversity-zertifiziert ist oder ob sich die Beschäftigten wirklich explizit mit diesen Themen auseinandersetzen.“