Kriegszerstörung in Alt-Saarbrücken (Foto: Saarländisches Landesarchiv / Richard Näcke)

Vor 80 Jahren: Als der Luftkrieg Saarbrücken komplett zerstörte

Sandra Schick   01.04.2024 | 15:58 Uhr

Im Jahr 1944, vor 80 Jahren, war das Saarland und insbesondere die Landeshauptstadt stark gezeichnet vom Zweiten Weltkrieg. Zahlreiche Luftangriffe versetzten die Bevölkerung in Angst und Schrecken. Am Ende des Jahres war die Stadt weitgehend zerstört und hatte nur noch 7000 Einwohner.

Wer heute in Saarbrücken lebt, kann sich das Ausmaß der Zerstörung, das die Stadt vor 80 Jahren im Zweiten Weltkrieg erlebte, nur noch schwer vorstellen. Dabei gibt es gerade in der Innenstadt noch heute an vielen Orten Hinweise darauf, die man bei genauem Hinschauen erkennen kann.

Fabian Lemmes, Historiker und Geschichtsprofessor an der Universität des Saarlandes, berichtet: "Das Ausmaß der Zerstörung durch den Luftkrieg 1944 kann man am besten an der Bahnhofstraße sehen." Wenn auch erst auf den zweiten Blick. "In dieser Straße findet man praktisch keine historischen Gebäude mehr, die vor dem Krieg erbaut wurden. Weil dieser Teil der Stadt im Krieg fast vollkommen zerstört wurde."

Man musste also nach dem Krieg große Straßenzüge insbesondere um den Hauptbahnhof herum neu bauen. Und das sieht man an der Architektur.

So sah das zerstörte Saarbrücken nach den Luftangriffen 1944 aus

Was geschah 1944?

Während des Zweiten Weltkriegs war das Saarland und insbesondere Saarbrücken immer wieder Ziel von schweren Luftangriffen durch die Alliierten. Die Stadt wurde insgesamt 32 Mal aus der Luft angegriffen, das Saarland selbst rund 100 Mal. Auch in Neunkirchen, Homburg, Völklingen, Saarlouis und anderen Städten fielen immer wieder Bomben vom Himmel.

Die schwersten Bombardements gab es im Jahr 1944 im Mai und Oktober. Die Angriffe erfolgten meist spät abends oder nachts. Wie Augenzeugen in der SR-Doku "Saar100" berichteten, schliefen die Einwohner zu dieser Zeit häufig in normaler Straßenkleidung, um bei Luftalarm möglichst schnell das Haus verlassen und in einem Bunker Schutz suchen zu können.

Den schwersten und verlustreichsten Luftangriff erlebte Saarbrücken am Abend des 5. Oktober: 2500 Sprengbomben und mehr als 350.000 Brandbomben gingen auf die Stadt nieder. 361 Menschen kamen ums Leben, 45.000 wurden obdachlos, rund 7000 Häuser waren ganz oder teilweise zerstört.

Video: Zeitzeugen erinnern sich an die Angriffe:

Das schlimmste Bombardement auf Saarbrücken fand am Abend des 5. Oktober 1944 statt. Mit dem erklärten Ziel, die Stadt als wichtige Drehscheibe für deutsche Truppenbewegungen vollständig zu zerstören, schickt die britische Royal Airforce eine Armada von hunderten Flugzeugen los. Sie hinterlassen ein Inferno.

Bahnanlagen waren Ziel

Aber warum stand Saarbrücken überhaupt im Fokus der Angriffe? "Vor allem deshalb, weil man die Verkehrsinfrastruktur zerstören wollte", erklärt Fabian Lemmes. Immer wieder habe es Angriffe auf die Bahnanlagen gegeben. "Saarbrücken und die Umgebung galten als wichtiger Umschlagsplatz für Nachschub an die Westfront." Und die war bis Oktober 1944 schon stetig näher gekommen. Seit die Allierten im Juni 1944 in der Normandie gelandet waren, rückten sie immer näher an das Saarland heran.

"Auch Industrieanlagen und Zechen wurden immer wieder bombardiert", berichtet Lemmes. "Man wollte jegliche Produktion von Kriegsgütern unterbinden."

Ein weiterer Grund für die Bombardements war auch, dass man versuchte, die Bevölkerung zu zermürben, ihren Durchhaltewillen zu brechen. "Psychologische Gründe spielen ebenso eine Rolle wie das schlichte Binden von Kapazitäten: Wer obdachlos war und damit beschäftigt war, sich um das eigene Überleben zu kümmern, konnte nicht mehr in Fabriken arbeiten", so Lemmes.

Zielgenauigkeit der Bomben schlecht

Vor allem die Bevölkerung Saarbrückens hatte unter den Luftangriffen zu leiden - aber auch auf dem Land war man nicht wirklich sicher. "Weil die Zielgenauigkeit der Bomber zu der Zeit schlecht war, verfehlten die Bomben häufig ihr Ziel und schlugen an anderen Orten ein", so Lemmes. "Je weiter ländlich man wohnte, desto sicherer war man aber prinzipiell."

Zahlreiche Flugzeugabstürze

Zudem gab es auch zahlreiche Flugzeugabstürze während der Luftangriffe. Eine private Initiative von Hobby-Heimatkundlern hat in jahrelanger Arbeit die Flugzeugabstürze über dem Saarland im Zweiten Weltkrieg recherchiert und auf einer Internetseite mit dem Titel "Flugzeugabstürze Saarland" zusammengefasst.

Laut ihren Recherchen gab es von 1939 bis 1945 insgesamt über 200 Abstürze über dem Saarland, häufig schlugen die Maschinen abseits der große Städte, im Umfeld von Dörfern ein. Über 2000 Zivilisten und rund 240 Besatzungsmitglieder sollen insgesamt dabei ums Leben gekommen sein.

Vor allem amerikanische und britische Maschinen stürzten über dem Saarland ab. "War eine Maschine von der Luftabwehr, der "Flak", getroffen worden, so versuchten die Piloten zunächst die Maschine noch wieder Richtung englischen Boden zu fliegen. Gelang das nicht, stieg die Besatzung in einer festgelegten Reihenfolge nacheinander mit ihren Fallschirmen aus", berichtet Heimatkundler Stefan Reuter dem SR.

Erreichte die Besatzung lebend den Boden, sei sie dort meist direkt festgenommen worden und dann in Gefangenschaft gekommen. Es sind aber auch Fälle dokumentiert in denen Überlebende solcher Abstürze ermordet wurden.

Auch Zwangsarbeiter litten

Den Luftangriffen fielen aber nicht nur die einheimische Bevölkerung und Soldaten zum Opfer. "Was häufig vergessen wird: auch zahlreiche ausländische Zwangsarbeiter kamen dabei ums Leben", berichtet Geschichtsprofessor Fabian Lemmes, der zu dem Thema geforscht hat.

"Bei den großen Angriffen auf Saarbrücken kamen auch hunderte ausländische Zwangsarbeiter ums Leben. Die meisten von ihnen waren aus der Sowjetunion oder Frankreich." Diese Menschen hätten häufig noch nicht einmal die Möglichkeit gehabt, in Bunkern Schutz zu suchen, weil ihnen dort der Zugang verwehrt wurde.

"Das Gefängnis Lerchesflur wurde bei den Bombardements am 11. Mai 1944 getroffen. Hier ist belegt, dass die polnischen und sowjetischen Gefangenen keinen Schutz in tiefergelegenen Stockwerken suchen durften, sondern im dritten Stock ausharren mussten", so Lemmes.

Homburg großes Ziel bei Kriegsende

Saarbrücken wurde zuletzt am 13. und 14. Januar 1945 bombardiert - exakt zehn Jahre nachdem das Saarland sich für einen Anschluss an Hitler-Deutschland entschieden hatte. Bei Kriegsende waren nur noch 7000 Einwohner in der Stadt. Vor Kriegsausbruch waren es 130.000 gewesen.

War 1944 vor allem Saarbrücken stark gebeutelt gewesen, so war es bei Kriegsende die Stadt Homburg. Am 14. März 1945 warfen britische Bomber rund 450 Sprengbomben auf die Stadt im Saarpfalz-Kreis.

Mehr als 200 Menschen fielen dem Angriff zum Opfer. Hunderte wurden teils schwer verletzt, die Innenstadt stark verwüstet. Es war der letzte und zugleich schwerste Luftangriff in der Geschichte Homburgs.

Video: Das Saarland bei Kriegsende

1945 - Die Stunde Null im Saarland
Video [SR.de, (c) SR, 17.12.2020, Länge: 01:35 Min.]
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