Der "Gloria Palast" im Jahr 1988 (Foto: Kasimir Ehmke)

Vom "Gloria Palast" übers "N8werk" und weiter

Daniel Schlemper   07.04.2023 | 16:03 Uhr

Wo Saarländerinnen und Saarländer früher feiern waren, haben SR.de-Facebook-Nutzer uns verraten. Besonders oft wurde das "N8werk" genannt. Der Saarbrücker Kult-DJ Kasimir Ehmke erzählt, wie aus dem früheren Gloria Filmpalast eine Disco wurde und was heute noch davon übrig ist.

Kasimir Ehmke ist in seinem Stamm-Café auf der Mainzer Straße in Saarbrücken gut bekannt. Die Bedienung schaut sogar erst etwas verwirrt, weil der Tisch für das Interview nicht auf seinen Namen reserviert war. Kasimir setzt sich direkt ans Fenster und bestellt einen Milchkaffee mit einem Crossiant. Mit einem Stück Zucker genießt er sein Heißgetränk.

DJ Kasimir Ehmke sitzt in seinem Stamm-Café in Saarbrücken. (Foto: Daniel Schlemper - SR)
Der erfahrene DJ Kasimir Ehmke in seinem Stamm-Café.

Um ihn herum füllt sich das Café langsam - aus anfänglichem Tuscheln, wird lauteres Geschnatter. Die leise Musik im Hintergrund dringt nur selten durch die Stimmen. Kasimir ist eigentlich ganz andere Lautstärken gewöhnt - tiefe Bässe, trampelnde Füße und jubelnde Partybesucher.

Die Anfänge - aus dem Filmpalast wird der "Gloria Palast"

Schon seit er ein Teenager ist, kann man Kasimir als DJ antreffen. Mittlerweile ist er über 60 Jahre alt, legt aber immer noch regelmäßig in saarländischen Clubs auf - über die Jahre hat er auch viele eigene Veranstaltungsorte übernommen oder aufgemacht. Das Gloria in der Saarbrücker Innenstadt hat er schon besucht, bevor es eine Disco wurde: "Zu dem Zeitpunkt war es das größte Kino in Saarbrücken, mit der größten Leinwand und der fettesten Sound-Anlage", sagt Kasimir.

 (Foto: SR)
Der Gloria Filmpalast wurde Anfang der 30er Jahre in Saarbrücken erbaut - an der Trierer Straße 42. Nach dem Zweiten Weltkrieg konnte sich bis 1983 als beliebter Freizeitort der Landeshauptstadt etablieren.

Das Gloria sei eines der wenigen Premierekinos gewesen, in denen man kurz nach Veröffentlichung auch die großen Hollywoodfilme sehen konnte. "Mein letzter Film da war 'Die Rückkehr der Jedi Ritter' - das war auch der letzte Film, der im Gloria gezeigt wurde", erzählt der DJ. Im Jahr 1984 schloss der Filmpalast seine Türen - zunächst waren Renovierungsarbeiten geplant, erinnert sich Kasimir.

Der Gloria Filmpalast 1984 (Foto: Kasimir Ehmke)
Der Gloria Filmpalast im Jahr 1984 - auf der Anzeigetafel wird "Indiana Jones und der Tempel des Todes" beworben.

Nach knapp zwei Jahren öffnete das Gloria wieder. Name und Leuchtschild auf dem Dach sind geblieben - Filme gab es aber keine mehr, sondern Musik, Scheinwerfer und eine Tanzfläche aus Marmor. "Der weiße Marmor auf dem Boden war echt, der schwarze an der Wand nur aufgemalt", erzählt Kasimir. Aus dem Kino war eine Discothek geworden. Das hatte sich auch perfekt angeboten, weil Großraumdiscotheken gerade im Kommen waren.

Der Zeitstrahl des Gloria. (Foto: N8werk - Daten von Kasimir Ehmke - Grafik Daniel Schlemper (SR))
Die lange Historie des Gloria - über die Jahre gab es immer wieder Betreiberwechsel und Neueröffnungen mit neuen Namen.

Der erste Tanzabend war der 20. Dezember 1985 - Kasimir Ehmke erinnert sich gut. Der damals 23-Jährige war schon seit einigen Jahren als DJ unterwegs gewesen und legte an diesem Abend im Club "Canossa" in Saarbrücken auf. Erst gegen 2.00 Uhr nachts kam er als Gast ins brandneue Gloria. Einer der Betreiber - Gerd Schmitz - wollte ihn direkt als DJ an die Musik lassen. Aber erst fünf Wochen später legte Kasimir zum ersten Mal im Gloria auf und wurde sogar zum Resident-DJ, also dem Stamm-Disc-Jockey der Disco.

Das Besondere am Gloria

Im Gespräch schwärmt Kasimir vom Gloria: "So etwas hatte es in ganz Südwest-Deutschland vorher noch nie gegeben." Dabei sei er vorher sogar sehr skeptisch gewesen: "Das wirkte alles erstmal so kommerziell - man musste ja eine große Masse bedienen können. Das ging eher mit Charts wie zum Beispiel Modern Talking. Und das war überhaupt nicht mein Ding", resümiert der DJ. Er wurde aber positiv überrascht, auch was die Musikauswahl anging.

Das Foyer des Gloria im Jahr 1987. (Foto: Kasimir Ehmke)
Vom Foyer aus, ging es in den Tanzsaal - links und rechts waren Aufgänge zu einem Café und einer Cocktailbar.

Musik ist für eine Disco ja nicht gerade unwichtig. Kasimir spielte aber nur selten Hits aus den Charts im Gloria. Der Fokus lag auf Independent Rock, mit Bands wie U2, The Cure und Simple Minds - etwas Heavy Metal ("AC/DC") und Hip Hop ("Public Enemy") habe er auch mal aufgelegt. Der ersten Song, den Kasimir dort auflegte, war "See You" von Depeche Mode.

Man erkennt die Begeisterung und Nostalgie in Kasimirs Augen, wenn er auf das Personal des Gloria zu sprechen kommt:"Die Hälfte davon kam aus dem Saarland, die andere aus Trier." Das Team habe einfach unglaublich gut zusammen funktioniert.

Gemeinsam mit der besonderen Innengestaltung, der Technik und dem Publikum habe es die Discothek einzigartig gemacht. "Das Gloria war der richtige Raum, mit den richtigen Gästen, der richtigen Einrichtung, dem richtigen Personal und der richtigen Musik zum richtigen Zeitpunkt", zitiert Kasimir einen Spruch aus einer Saarbrücker Facebook-Gruppe.

Die letzten zwei Jahre des Gloria

Laut Kasimir war das Gloria mit seinem Konzept ziemlich erfolgreich. 1990 stieg Gerd Schmitz aber aus der Disco aus - für Kasimir begann damit der Niedergang. "Ohne Gerd wurde sich um vieles nicht mehr richtig gekümmert - 1992 verließ ich mit fast dem gesamten Personal das Gloria", erzählt Kasimir.

Das habe auch an den veränderten Interessen der Mitarbeitenden gelegen. "Wir waren Anfang der 90er im Techno- und House-Fieber und wollten etwas anderes." Das funktionierte laut Kasimir in kleineren Clubs besser. Im Januar 1994 schloss der Gloria Palast zum ersten Mal wieder seine Türen.

Nur von kurzer Dauer – das X-Dream

Es dauerte nicht lange, da kamen neue Betreiber in die Trierer Straße. Mit dabei: Eine neue Musikausrichtung, neue Technik und ein neuer Name - "X-Dream." Die Eröffnung war am 12. Juli 1994 - die böse Vorahnung, die Kasimir wenige Jahre zuvor hatte, wurde nun wahr: "Das X-Dream war ein Gegenentwurf zum Gloria. Es wurden fast nur Charts gespielt und auch der Tanzsaal wurde umgebaut, mit Alutraversen, tausend Scheinwerfern und Lasern." Alutraversen sind die verzweigten Stangen-Konstruktionen, an denen zum Beispiel Scheinwerfer befestigt werden.

Das X-Dream traf laut Kasimir den Nerv der Zeit - es sei eine klassische 90er-Jahre Disco gewesen, die erfolgreich eine große Masse ansprach. Ein paar Mal war Kasimir auch im X-Dream - selten aber als DJ. Die Atmosphäre fand er komisch: "Da lief so Cotton Eye Joe, Barbie Girl und sowas." Der SR nutzte das X-Dream sogar für zwei Ausgaben der Sendung "Na und?"

Auch wenn das Konzept funktionierte, war die Freude nur von kurzer Dauer. Zumindest der Name "X-Dream" verschwand knapp zwei Jahre nach der Eröffnung wieder. "Einer der Betreiber war ausgestiegen - hatte aber die Namensrechte für die Disco behalten", erinnert sich Kasimir.

Das N8werk - anderer Name, gleiches Konzept

Ein neuer Name musste her - im März 1996 wurde so aus dem X-Dream das "N8werk" (gesprochen "Nachtwerk"). Zu diesem Zeitpunkt soll sich laut Wikipedia sogar die Adresse geändert haben, zur St. Johanner Str. 38. Das Gebäude hat sich aber natürlich nicht bewegt - schon das Gloria stand an der Kreuzung Trierer Straße Ecke St. Johanner Straße.

Das N8werk im Jahr 2010. (Foto: N8werk)
Ein neues Schild und auch die Autos vor dem Club sind moderner geworden.

Trotz des neuen Namens blieb die Seele des X-Dream erhalten. "Auch der DJ war der gleiche - das war damals Heiko Meyer" sagt Kasimir. Zwischen 1996 und 2016 etabliert sich das N8werk als beliebte Disco - bis heute sind bei vielen Saarländern die Themenpartys wie "Mallorca N8" oder "Geiz ist Geil" bekannt. Bei der letztgenannten Party wurde mit Mottos großer Technik-Läden geworben und extra günstige Getränke angeboten.

Eine lange Menschen-Schlange vor dem N8werk (Foto: N8werk )
Auch das N8werk war im Saarland lange sehr beliebt - noch 2015 bildeten sich lange Schlangen vor dem Club.

Immer wieder fanden Betreiberwechsel statt, wie Kasimir berichtet. Zuletzt hatte Mike Henning die Leitung. "Mike wollte auch immer wieder mal umbauen und neue Sachen probieren - das hat aber irgendwie nicht so richtig funktioniert". Man erkennt Kasimir an, dass er den Eifer von Henning bewundert - auch wenn es letztlich vergebens war. Am Ende gab Henning dem N8werk sogar nochmal den Namen "Gloria" - aber auch das konnte die Insolvenz nicht verhindern.

Am Ende bleibt nur das Leuchtschild

Auch der Name "Gloria Stages", unter dem der nächste Betreiber am 11. März 2017 die Türen öffnete, brachte dem Disco-Standort kein Glück. Schon ein Jahr später war auch das wieder Geschichte, berichet Kasimir. Es sah kurz so aus, als würde das alte Kino-Gebäude nicht mehr zum Feiern benutzt werden. "Es gab Überlegungen der Hausbesitzer, ein Parkhaus daraus zu machen", sagt Kasimir. Aber es kam wieder anders.

Der Tanzsaal des Gloria Stages im Jahr 2018. (Foto: Alfonso Puccio)
Noch ein Versuch - das Gloria Stages war nur von kurzer Dauer.

Kurz vor Beginn der Corona-Pandemie, im November 2019, eröffnete im alten Gloria Palast/X-Dream/N8werk/Gloria/Gloria Stages das "Ego". Für Kasimir fand damit der größte Stilbruch des alt bekannten Gloria statt. "Das ist was ganz anderes, als was alle Vorgänger gemacht haben", meint Kasimir. Es werde viel Hip Hop und Gangster Rap gespielt - das ist natürlich weit weg von den Anfängen des Gloria mit seinem Independent Rock. Das Konzept schien aber aufzugehen: "Bis vor Kurzem war das Ego wohl gut besucht - jetzt gibt es aber wieder mehr Konkurrenz durch andere Clubs in Saarbrücken", beobachtet Kasimir.

2023 gibt es nur noch eine Sache, die an der Trierer Straße 83 an das Gloria erinnert: Das alte Leuchtschild, das über all die Jahre nie vom Dach entfernt wurde. Auch auf dem Ego ist es noch zu sehen - und leuchtet sogar noch! Das Gloria lebt aber auch abseits des einstigen Heimat-Gebäudes noch weiter.

Wenn sogar das Revival ein Spin-off hat

Schon, als SR.de auf Facebook nach Lieblings-Feierorten gefragt hat, war schnell klar: Viele Saarländerinnern und Saarländer schwelgen gerne in Erinnerungen und denken an die alte Zeit im Gloria. Und genau für diese Nostalgie-Fans gibt es bereits seit einigen Jahren die Gloria Revival Partys, bei denen Kasimir bis heute als einziger DJ auflegt: "Ich war echt unsicher, ob das Konzept aufgehen würde - aber es war auch klar, dass ganz viele Leute von damals das toll finden würden."

Ungefähr um 2000, so erinnert sich Kasimir, kam der damalige Betreiber des N8werk auf ihn zu und erzählte von seiner Idee, das Gloria zumindest für einen Abend wiederzubeleben. Seither findet immer kurz vor Weihnachten eine Gloria Revival Party statt - damit wird quasi auch der Geburtstag des Originals am 20. Dezember zelebriert.

Der Austragungsort ist immer ein anderer - zuletzt fand die Revival Party in einem anderen Saarbrücker Kult-Feiertempel statt: der KuFa (Kulturfabrik). Und die Partys scheinen gut besucht zu sein: "Die Nostalgie lockt die Leute wieder rein, die damals im richtigen Gloria waren. Auf den Revivals feiern sie ihre Jugend", sagt Kasimir. Das Publikum sei deshalb auch zwischen 40 und 60 Jahre alt. "Manche nehmen auch ihre Kinder und Enkel mit."

Als wäre das nicht Kult genug, gibt es sogar noch Mini-Gloria-Revivals. "Die kleinen Partys sind quasi ein Spin-off der Revivals", sagt Kasimir. Die letzte fand dieses Jahr in der Nacht auf Karfreitag statt, also kurz bevor das österliche Tanzverbot anstand.

Faszination Gloria

Wer hätte gedacht, dass die Großraumdisco in einem alten Lichtspielhaus so eine Nostalgie-Achterbahn auslösen kann? Und wenn die Revivals doch so gut funktionieren, würde dann nicht auch ein richtiges Gloria wie damals auch heute noch aufgehen? "Ganz klares Jein", entgegnet Kasimir auf diese Frage. Tatsächlich gibt es seines Erachtens sogar eine Marktlücke für Menschen über 30, die ausgelassen in Saarbrücken feiern gehen wollen. "Aber das alte, nicht kommerzielle Konzept des Gloria würde heute vermutlich eher in Großstädten, wie Hamburg, Berlin oder Köln funktionieren", resigniert der alte DJ.

Wer also auf ein neues, altes Gloria in Saarbrücken hofft, sollte sich nicht zu viel Hoffnung machen. Immerhin gibt es die jährlichen Revivals und diverse Facebook-Gruppen mit Bildern und Storys aus der guten, alten Gloria-Zeit.


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