Zwei junge Mädchen telefonieren mit ihren Mobiltelefonen (Foto: dpa)

Telefonexhibitionismus

Michael Friemel   17.07.2023 | 10:40 Uhr

Im Bus oder beim Spaziergang durch die Fußgängerzone werden wir nicht selten Zeuge von Banktelefonaten oder Liebesgesprächen. Und all das scheint völlig normal. Früher zog man sich für Telefonate hinter verschlossene Türen zurück. Heute darf alle Welt daran teilhaben. Was ist aus der guten alten Privatsphäre geworden?

Früher hätte man gedacht: Der oder die habe eine an der Klatsche! Wenn einem Menschen begegnet sind, die mit sich selbst redeten. Heute ist das Alltag. Dass einem jemand entgegen kommt, der nicht nur leise vor sich hin murmelt, sondern laut spricht.

Audio

Friemeleien: Telefonexhibitionismus
Audio [SR 3, Michael Friemel (c) SR, 17.07.2023, Länge: 01:57 Min.]
Friemeleien: Telefonexhibitionismus

Inzwischen wissen wir: Da wird gerade telefoniert. Die Stöpsel in den Ohren sind ein hilfreiches Indiz. Eine Erklärung für den radikalen Hemmungsverlust gibt es allerdings nicht. Denn alle anderen Menschen in der Umgebung haben unweigerlich Teil an dem Telefonat.

Was ist da passiert? Früher hat man sich in seinem Zimmer eingeschlossen, wenn man mal privat telefonieren wollte, oder man hat die Tür der Telefonzelle sogar von innen fest beigezogen, dass nur ja niemand etwas mitbekommt.

Heute werden wir im Bus oder beim Spaziergang durch die Fußgängerzone Zeuge von Banktelefonaten, Liebesgesprächen und Arztterminierungen. Und all das, ohne, dass sich der- oder diejenige dessen auch nur ein bisschen schämt.

Jetzt könnte man – einen wohlwollenden Erklärungsversuch wagend – ja denken, dass durch die Kopfhörer die Eigenwahrnehmung verschwimmt. Dass man sich mit den Stöpseln im Ohr nicht mehr der Tatsache bewusst ist, lauter zu reden, als man es selbst wahrnimmt. Und das alle anderen AUCH hören, was nur für den Gesprächspartner gedacht ist.

Aber das wiederspricht der neuesten Mode, die auch ohne Ohrstöpsel praktiziert wird. Dem Telefonieren mit dem vors Gesicht gehaltenen Handy im Lautsprechermodus. Das Gerät wird dabei nicht wie gewohnt ans Ohr gedrückt, sondern vor sich her getragen.

Warum? Was soll das? Sind das alles Menschen mit Gehörproblemen? Können die nur verstehen, wen sie auf dem Display vor sich sehen? Oder etabliert sich da laut und deutlich eine neue Form von Zeigestolz – sprechen wir hier von der Werdung der Telefonexhibitionisten? Dann macht Euch lieber nackig. Das ertrage ich eher, als dieses aufdringliche laute Telefonieren. Standleitung hin oder her.

Michael Friemel


Die Friemeleien im Podcast


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Die Friemeleien: Immer montags in der Sendung "Bunte Funkminuten" auf SR 3 Saarlandwelle.

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