Tour de Kultur 2018: Fliegen mit Wildgänsen (Foto: François Proix)

Frei wie ein Vogel

Ein atemberaubender Ausflug mit Wildgänsen

Stefanie Otto   19.07.2018 | 12:50 Uhr

Wenn Wildgänse und Kraniche in Formation schnatternd und kreischend über den Abendhimmel ziehen, wünschen sich nicht wenige, sie könnten mit ihnen fliegen. Nur wenigstens einmal. Dieser Traum kann wahr werden. In Bassemberg im Elsass.



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Ungeduldiges Schnattern dringt aus dem weißen Transporter von François Proix. Auf einer frisch gemähten Wiese macht der Fluglehrer mit graumelierten Haaren und in Outdoor-Jacke gerade sein Ultraleichtflugzeug startklar. Mit kleinen Kosewörtern auf Französisch versucht er, die Gänseschar noch ein bisschen zu beschwichtigen. Doch die Gänse wollen raus und sich endlich wieder in die Lüfte schwingen.

Das will ich auch und habe den Co-Piloten-Sitz in François’ Ultraleichtflugzeug gebucht. Es ist noch früh am Morgen. Der Nebel hat sich gerade verzogen. Die Sonne kommt durch. Ein laues Lüftchen weht. Perfekte Flugbedingungen, wie François erklärt. Dann ist sein Gefährt bereit. Wir sind warm eingepackt und haben Helme auf. Er sitzt vorn am Steuer, ich nehme hinter ihm etwas erhöht Platz.

Eine Hupe gibt das Signal zum Abheben

Tour de Kultur 2018: Fliegen mit Wildgänsen (Foto: François Proix)
Hoch oben in den Lüften - Ausflug mit Wildgänsen


Noch einmal die Lenkung der dreieckigen Tragfläche prüfen. Dann ist der große Moment gekommen: François gibt mit einer Hupe das Signal für die Gänse und setzt zum Start an. Im selben Moment öffnet seine Frau Ingrid die Transportbox der Gänse. „Allez, allez, allez!“ ruft François. Und im Nu sind sie neben uns auf der Wiese. Ein paar Flügelschläge später sind wir alle in der Luft.

Bei etwa 100 Kilometern pro Stunde klettern wir stetig bis auf 300 Meter Höhe. Unter meinen Füßen werden die Felder, Straßen und Dörfer des elsässischen Rheintals immer kleiner. Allein dieser Anblick und das komische Gefühl im Bauch wären schon atemberaubend. Doch ich habe nur Augen für die acht athletischen Wildgänse, die uns nicht von der Seite weichen.

Mal fliegen sie in Pfeilformation links von uns, mal ziehen sie unter oder über uns hinweg auf die andere Seite. Teilweise kommen sie uns so nah, dass wir sie fast streicheln könnten. Dann kann man genau sehen, wie sie ihre Füße nach hinten strecken und mit den Flügeln schlagen. Wie perfekt ihre Bewegungen ans Fliegen angepasst sind! Ab und zu hört man ihr Schnattern. Damit melden sie ihre Position und vergewissern sich, dass alle Geschwister noch da sind, erklärt François über das Funkgerät, das in meinem Helm eingebaut ist.

Landwirt, Fluglehrer, heute Gänse-Papa

François liebt das Fliegen mit seinen Gänsen. Auch nach unzähligen Trainingsflügen. Als Sohn von Landwirten wuchs er bei Paris auf. Von ihrem Hof schauten sie quasi auf den Flughafen Charles-de-Gaulle. Schon als Jugendlicher begeisterte sich François für das Fliegen mit dem Ultraleichtflugzeug – für ihn ist es das Flugzeug des „kleinen Mannes“. Nach einigen Jahren mit wechselnden Jobs zog es ihn ins Elsass, wo er sich entschloss, sein Hobby zum Beruf zu machen und Fluglehrer zu werden.

Auf die Idee, mit Gänsen zu fliegen, kam François Proix durch sein großes Vorbild – den französischen Meteorologen Christian Moullec. Der ist mit eigenhändig aufgezogenen Gänsen sogar schon bis nach Spanien geflogen. Durch Zufall kam François Proix auch in den Genuss dieses majestätischen Schauspiels: Als Pilot durfte er bei Dreharbeiten für einen Film mitfliegen und zum ersten Mal mit Gänsen abheben. Dieses Erlebnis hat ihn so beeindruckt, dass er zusammen mit seiner Partnerin Ingrid beschloss, selbst Wildgänse aufzuziehen und zu prägen.

Tour de Kultur 2018: Fliegen mit Wildgänsen (Foto: François Proix)
Von klein auf dran gewöhnt. Keiner fliegt allein


Ein aufwändiges Unterfangen: Ab dem Tag des Schlüpfens durften die Adoptiveltern nicht von ihrer Seite weichen. Denn wen die Kleinen als erstes erblicken, dem folgen sie auf Schritt und Tritt. Also lebten die acht Küken anfangs auf der Veranda, wo sie zusammen mit François und Ingrid essen, spielen und dösen konnten. Schon von klein auf fährt François Proix jeden Tag mit ihnen zum Flugplatz, damit sie sich an das Ultraleichtflugzeug und dessen Motorengeräusch gewöhnen. Fliegen lernen sie ganz instinktiv: Erst machen sie kleine Hüpfer, bald schon drehen sie dann immer größere Runden. Sobald sie genug Kraft haben, folgen sie dem Gänse-Papa auch beim Fliegen.

Vor der Landung noch ein paar Pirouetten

So auch jetzt. Nach etwa zehn Minuten Flug über die wunderschönen Hügel der Weinstraße dreht François in einer langen Kurve ab und nimmt wieder Kurs auf den Flugplatz. Seine Gänse folgen ihm sofort. Eigentlich sind die Blässgänse Zugvögel, die stundenlang in der Luft bleiben können. In der Wildnis leben sie im Sommer in der Taiga und Tundra Russlands oder in Grönland. Im Winter ziehen sie dann nach Nordeuropa. In den ersten zwei Jahren ihres Lebens folgen die Junggänse dabei ihren Eltern. Wenn sie dann flügge werden, suchen sie sich einen festen Partner und gehen ihre eigenen Wege. Das wird auch bei der Gänseschar von François so kommen. Daher zieht er ab dem Frühsommer schon die nächste Generation auf.

Kurz vor der Landung wird das Ultraleichtflugzeug langsamer und sinkt. Unsere tierischen Flugbegleiter nutzen das, um noch ein paar Pirouetten in der Luft zu drehen. Kleine Sturzflüge, aus denen sie sich sofort wieder abfangen. Ein sichtliches Vergnügen. Oder wollen sie ihrem Papa imponieren?

Die Landung geht so schnell und unkompliziert wie der Start. Kurz nach dem Aufsetzen zupfen die Gänse schon an den Grashalmen, als wäre nichts gewesen. Ingrid bringt ihnen eine Schüssel Wasser dazu. Bei mir wirken die Eindrücke des Fluges noch lange nach. Denn so dicht an den Athleten der Lüfte – so majestätisch, so schön – kommen wir unserem ureigenen Traum vom Fliegen erstaunlich nah.

Kontakt

ULM Centre Alsace
François Proix
54, rue Principale
F-67220 Bassemberg (Elsass)
Tel.: (00336) 13 56 97 17
E-Mail: bcontact@ulm-centre-alsace.fr
www.ulm-centre-alsace.fr

Öffnungszeiten/Termine

Ganzjährig, nur nach Vereinbarung und abhängig von der Witterung. Die Flüge finden jeweils morgens vor 10.00 Uhr oder nachmittags/ abends kurz vor Sonnenuntergang statt.
Mindestalter: 10 Jahre (mit Einverständnis der Eltern)
Maximalgewicht: 120 Kilogramm
Warme Kleidung wird empfohlen.
Der Anbieter spricht auch Deutsch.

Eintritt/Preise

Flug im Ultraleichtflugzeug ohne Gänse: 50,- bis 130,- €  (Dauer 15 bis 60 Minuten),
Flug im Ultraleichtflugzeug mit Gänsen: 250,- € (Dauer circa 20 Minuten).

Anfahrt

Autobahn A 4 nach Straßburg und weiter auf A 35 Richtung Colmar. Abfahrt Ebersheim, weiter auf D 210 in Richtung Ebersheim. In Ebersheim nach links abbiegen auf die D 083 Richtung Kogenheim. Am Ortseingang Kogenheim den Hinweisen des Anbieters zur „Base ULM Kogenheim“ folgen.
Treffpunkt, Start und Landung ist am Flugplatz Kogenheim.



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