1 Auf Erkundung mit der Kräuterhexe (Foto: Marcel Lütz-Binder)

Zwischen Kriechendem Günsel und Stinkendem Storchenschnabel

Auf Erkundung mit der Kräuterhexe

  21.07.2014 | 12:50 Uhr

Bärlauch, Gundermann und Pimpernelle - Gabi Steinmann kennt alle Kräuter die in heimischen Wäldern und auf Wiesen wachsen und sie lässt gerne Interessierte, die mit ihr auf Entdeckungstour gehen wollen an ihrem Wissen teilhaben. In ihrem Café saisonal kann man ihre leckere Kräuterküche aber auch einfach nur genießen.

(21.07.2014) „Spargel-Bärlauch-Gratin mit Käse über­backen im Wein-Sahne-Sößchen mit Bio-Lachs-Frikadelle, Minestrone mit Blätterteigschnecken und Kräuterdip, Bärlauch-Lachs-Flammkuchen ...“ Köstlichkeiten aus der Tageskarte des Café saisonal in Herbitzheim Ende April.

Das „Saisonal“ im Restaurantnamen ist wörtlich zu nehmen, denn Inhaberin Gabi Steinmann kocht mit den Zutaten, die gerade Saison haben, das heißt, die gerade frisch wachsen. Dabei legt sie Wert auf Produkte aus der Region. Die Kräuter, die sie für ihre Gerichte verwendet, sammelt sie selbst. Wer sie dabei begleitet, geht auf eine Entdeckungsreise in die Natur, denn der Laie, der vieles, was da auf den Wiesen wächst, nicht zu bestimmen weiß, staunt über die Fülle an Essbarem, das sich an manchem Wegesrand finden lässt.

2 Auf Erkundung mit der Kräuterhexe (Foto: Marcel Lütz-Binder)

Bärlauch und Aaronstab

Es ist wenige Tage vor dem ersten Mai, als ich mich mit der Kräuterexpertin auf Kräuterwanderung begebe. Die startet unweit von Herbitzheim an einer Wiese in Rubenheim. Ein leichter Regenschauer hat kurz vor unserem Zusammentreffen die Luft gereinigt. Jetzt ist es wieder trocken. Vogelgezwitscher dringt ans Ohr. Gabi Steinmann setzt gerade an, von einem Bärlauchversteck zu erzählen, als ein Bauer mit seinem knatternden Traktor vorbeituckert und freundlich grüßt. Man kennt sich. Es ist unverkennbar: Wir sind auf dem Land.

Eigentlich blüht der Bärlauch schon und wenn er das tut, sieht man davon ab, ihn zu ernten, weil die Blätter dann an Aroma verloren haben. Aber Gabi Steinmann kennt einen Ort, wo der Bärlauch in seiner Entwicklung noch einige Wochen zurück geblieben ist. Wir gehen einige Schritte. Mit einem Mal deutet sie links auf ein Gestrüpp. „Hier ist es! Vorsicht, damit Sie sich die Kleider nicht zerreißen.“ Wir steigen durch eine kleine Öffnung, die die Frau vor einiger Zeit mit einer Heckenschere frei geschnitten hat. Hindurch durch dornenbesetzte Zweige. Das Innere wirkt wie ein Dom aus Hecken. Hier hinein dringt nur wenig Sonnenlicht. Das erklärt, warum der Bärlauch noch keine Blüten trägt. Die Pflanzen zu unseren Füßen wirken wie ein Teppich aus langem grünen Flokati.

Vorsichtig zupft die Kräuterfrau einzelne Blätter ab und legt sie in einen mitgebrachten Korb. Ein knoblauchartiger Geruch steigt in die Nase. Inmitten des Bärlauchfeldes steht hier und da vereinzelt ein Aronstab. „Mit dem muss man aufpassen! Wenn Sie den in den Mund nehmen, dann ätzt das“, sagt die Fachfrau. Der ausgewachsene Aronstab ist gut vom Bärlauch zu unterscheiden. Die Blätter des Aronstabs sind breit, pfeilförmig und haben an ihrem Ende Widerhaken. Diese Widerhaken fehlen der Jungpflanze des Aronstabs allerdings, und so könnte er in diesem Wachstumsstadium von Unkundigen mit Bärlauch verwechselt werden.

Bekanntermaßen droht auch Verwechslungsgefahr des Bärlauchs mit den Maiglöckchen. Wer die Blätter nebeneinander hält, wird erkennen, dass die Blattunterseite des Bärlauchs matt ist, wohingegen die des Maiglöckchens glänzt. Bärlauchblätter sind weicher als die von Maiglöckchen. An den Blüten lassen sie sich ganz klar unterscheiden: „Beim Bärlauch steht die Blüte am Stängel obenauf und beim Maiglöckchen wächst und hängt sie am Stängel seitlich runter“, erklärt Steinmann. Dem Bärlauch wird eine verdauungsanregende und blutreinigende Wirkung nachgesagt, dagegen wirkt sich das Maiglöckchen übel aus: Erbrechen, Durchfall, Krämpfe und Sehstörungen sind Anzeichen der Vergiftung durch die Pflanze bis hin zum Tod durch Herzrhythmusstörungen.

5 Auf Erkundung mit der Kräuterhexe (Foto: Marcel Lütz-Binder)

Gabi Steinmann rät dazu, Kräuter immer behutsam zu ernten. Nicht alles abzuschneiden, keine Felder leer zu räumen, sondern immer genügend Pflanzen stehen zu lassen, damit sich die Vegetation von dem Eingriff wieder erholt. Die Kräuterexpertin zupft noch ein paar einzelne Blätter ab, hinein damit in den Korb und wir verlassen die grüne Höhle und begeben uns wieder auf den Weg. „Damit die Kräuter frisch bleiben, legen Sie sie am besten in ein feuchtes Tuch im Korb und befeuchten sie ab und zu mit einer Blumenspritze“, rät sie noch und dann deutet sie auf ein kleines Pflänzlein am Wegesrand, auf dessen violetter Blüte eine Hummel Platz genommen hat. „Ein Gundermann, probieren Sie mal. Den Gundermann können Sie prima in einen Wildkräutersalat streuen.“

Sie reicht mir eine der Blüten und ein paar Blätter. Ein würziger Duft kriecht mir in die Nase, kurz bevor ich den Gundermann in meinen Mund stecke. Wäre ich ein Pferd, würde mir das nicht gut bekommen. Denn während der Gundermann beim Menschen als Heilpflanze eingesetzt wurde, ist er für Pferde giftig. Als ich auf der Blüte herum kaue, spüre ich einen schwachen, erdigen bis frischen Geschmack. „Was schmecken Sie?“, fragt sie. Tja, jetzt wird mir klar, dass die Beschreibung des Geschmackseindrucks vieler Kräuter, gerade wenn man sie das erste Mal im Mund hat, gar nicht so leicht ist. Es fehlen oft die passenden Begriffe.

Gabi Steinmann lächelt: „Neulich sagte ein Freund, dem ich vom Gundermann zu kosten gab: ‚Das schmeckt nach Pilzen. Geradeso als würde ich in einen Champignon reinbeißen.‘ Find ich eigentlich selbst nicht …“. Offenbar müssen wir erst wieder schmecken lernen. „Das ist ähnlich wie bei einer Weinverkostung, da versucht man ja auch die Aromen in Worte zu fassen, und dann sucht man eben nach Assoziierungen zu etwas, das man kennt.“

Das Märchen vom Zwerg Nase

Das Interesse für Pflanzen entstand bei der Frau mit den leuchtend roten Locken schon in Kindertagen. „Ich hab als kleines Mädchen immer schon genau hingeschaut, wenn mir jemand ein Kräutlein gezeigt hat.“ Generationen von Kindern werden sich dagegen wohl ihre ersten Gedanken über die Wirkung von Kräutern gemacht haben, als sie zum ersten Mal das Hauffsche Märchen Der Zwerg Nase gehört haben.

Da wird der arme Knabe Jakob von der garstigen Fee Kräuterweis in einen buckligen Kleinwüchsigen mit riesiger Nase verwandelt. Später wird er Koch bei einem Herzog und soll diesem eine Pastete Souzeraine zubereiten. Es geht um Leben und Tod für den bemitleidenswerten Jakob, wenn er nicht die wichtigste Zutat, das Kräutlein Niesmitlust, findet. Denn ohne Niesmitlust fehlt dem Gericht die Würze. Findet Jakob es nicht, soll er einen Kopf kürzer gemacht werden. Ein in eine Gans verwandeltes Mädchen hilft ihm bei der erfolgreichen Suche. Jakob riecht an dem Kräutlein und schwups: der Riesenzinken bildet sich zurück und der Junge erhält seine wirkliche Gestalt zurück. Soweit das Märchen.

Welche Wirkungen Kräuter im wahren Leben haben können, davon erzählt Gabi Steinmann ausführlich während der Wanderung anhand der Beispiele, die sich auf Schritt und Tritt bieten.

Sie hat vor ein paar Jahren angefangen, ihr Wissen über Heil- und Wildkräuter, wie sie selbst sagt, zu intensivieren und auszubauen. Im Hauptberuf ist die studierte Biogeographin Existenzgründungsberaterin. In einem früheren Job schob sie auch noch Projekte für Benachteiligte an. Über einen ihrer Kunden kam sie mit der Gastronomie in Berührung.

3 Auf Erkundung mit der Kräuterhexe (Foto: Marcel Lütz-Binder)

Und dann wuchs ein Traum in ihrem Kopf. Der Traum, ein eigenes Lokal zu eröffnen, das sie ganz nach ihren Vorlieben formen wollte und wo es gesunde Leckereien geben sollte. Vor zwei Jahren hat sie schließlich das Café saisonal eröffnet, im ehemaligen Stall eines alten Bauernhauses. Die gepflegte, gemütliche Wirtsstube hat freilich mit der ursprünglichen Nutzung nichts mehr gemein, sieht man mal davon ab, dass dort heute wie früher gegessen wird.

Durch die Fenster strömt an schönen Tagen der Sonnenschein, es ist hell. An der Wand hängt ein großer rechteckiger Spiegel mit dickem Rahmen. An der gegenüberliegenden Wand sind mit Kreide die Speisen der Tageskarte auf einer Tafel angeschrieben. An mehreren Holztischen finden rund 25 Personen Platz. Auf dem Tresen stehen neben einem fünfarmigen silberfarbenen Kerzenständer unter einer Glasglocke Nussecken, daneben weitere Leckereien, die Lust aufs Verweilen machen. Doch bevor uns das Wasser vom Mund in die Augen steigt, weil wir weiter müssen, zurück auf den Feldweg in Rubenheim. Gerade kommen wir an einer wohlbekannten Pflanze vorbei: dem Löwenzahn. Mancher zeigt sich noch mit seiner gelben Blüte, andere haben sich bereits in Pusteblumen mit weißem Köpfchen verwandelt. Der Löwenzahn ist harntreibend, was ihm bekanntermaßen hierzulande den Beinamen „Bettseicher“ beziehungsweise „Bettsäächer” eingebracht hat.

Brennnessel zum Frühstück

Gabi Baumann greift beherzt nach einer daneben stehenden Brennnessel. „Wenn Sie die Pflanze von unten nach oben berühren und damit nicht gegen den Strich streichen, dann bitzelt die nicht so.“ Dennoch, ich zöge es vor, diese Pflanze, wenn es denn schon sein muss, eher mit Handschuhen anzufassen. „Brennnessel mit Apfel und aufgeweichten Haselnüssen, dazu ein bisschen Ingwer und Zitrone, das alles zusammen kleingehackt, ergibt ein gesundes Frühstück innerhalb einer Entschlackungskur im Frühjahr oder Herbst“, erklärt sie.

Auf unserem Weg in der Nähe des Neubaugebiets von Rubenheim begegnen wir noch einer Fülle von Kräutern und Pflanzen. Immer wieder bleibt Gabi Steinmann stehen und erklärt die Besonderheiten von Ackerschachtelhalm, Wiesenkerbel, Wiesenlabkraut, Beifuß, Weißdorn, Wiesensalbei und dem in Hustensäften verwendeten Spitzwegerich.

Wo auch immer wir den Fuß am Wiesenrand hinsetzen, überall machen wir Entdeckungen. Und alle paar Meter wird gekostet: die Pimpinelle schmeckt gurkenartig und soll gegen Heiserkeit wirken. „Wir haben die Apotheke im Grunde vor der Tür, in der Natur. Müssen eigentlich nur wieder lernen, was da so gedeiht und wie es wirkt“, sagt Gabi Steinmann. Wir zutzeln an den Blüten des Rotklees, bis ein Honiggeschmack unsere Geschmacksknospen erreicht.

Die Expertin zeigt auf ein vertrocknetes Kraut. „Das sind die Überbleibsel des wilden Dost vom letzten Jahr. Der blüht im Sommer wieder lila und den können Sie über Nudeln streuen!“ Wilder Dost? Hinter diesem Namen verbirgt sich nichts anderes als wilder Oregano. Während der Wanderung mache ich auch Bekanntschaft mit Pflanzen mit teils abstrusen Namensschöpfungen wie dem kriechenden Günsel, dem zottigen Klappertopf oder dem stinkenden Storchenschnabel. Der riecht zwar herb und eigenartig, aber als richtigen Stinker kann man dieses Kräutlein nicht bezeichnen. Sein Alternativname Ruprechtskraut klingt dann auch versöhnlicher. Vorbei an gelbem Hahnenfuß und Brombeer- und Holunderbüschen lassen wir eine Kuhweide hinter uns und gelangen an Baldrianpflanzen vorbei zu einem von Steinmanns Lieblingskräutern: dem Heilziest. Auch den nimmt sie zum Würzen eines Salats oder zu einem Brennnesselspinatgericht. Momentan zeigt der Heilziest nur seine Blätter. Im Sommer blüht er bläulich. Im Abgang schmeckt der Heilziest – Obacht hier kommt wieder der Versuch, das Geschmeckte in Worte zu fassen – nach Pilz.

Auf der Wasserfläche des Rubenheimer Rohrentalweihers tummeln sich einige Enten. An seinem Ufer wächst das Mädesüß. Daraus macht die Kräuterfrau im Sommer einen Kaltauszug, das heißt sie legt die Blüten in Wasser ein. „Das so aromatisierte Wasser hat eine leichte Süße. Das trinke ich sehr gerne im Sommer,“ schwärmt sie. Wir laufen zu einer Anhöhe empor, treffen noch auf Gänsefingerkraut, Ackervergissmeinnicht und den Giersch mit seinen weißen Blüten. Der Giersch enthält Vitamin C und Eisen. „Der eignet sich für Suppen und Pestos.“ Dieses Wildgemüse mundet übrigens auch Hasen und Meerschweinchen. Den Kopf voller Eindrücke und Informationen finde ich mich am Ende unseres kleinen kräuterkundlichen Rundgangs. Trotz der Unzahl an Kräutern, die ich dabei kennen lernen durfte: Zwerg Nases Kräutlein Niesmitlust – es soll laut Wilhelm Hauff blaugrüne Blätter haben und oben eine „kleine Blume von brennendem Rot, mit Gelb verbrämt“ – ist uns bei Rubenheim nicht untergekommen.

Meine Führerin streicht sich zum Abschied eine ihrer roten Locken aus dem Gesicht und strahlt: „Es macht Riesenspaß, wenn man seine Zutaten draußen einsammeln kann, ohne dafür in ein Geschäft fahren zu müssen. Es ist ein toller Gedanke, sich selbst mit dem versorgen zu können, was die Natur bereit hält.“ Und um diese Entdeckerfreude und das Wissen weiterzugeben, bietet Gabi Steinmann von April bis Oktober ihre Kräuterwanderungen für Gruppen ab sechs Personen an. Rund zwei Stunden ist sie dann mit ihren Gästen unterwegs. Da wird sie manchmal regelrecht mit Fragen bombardiert wie: „Was kann ich ohne Verwechslungsgefahr ernten? Welches Kraut kann ich wie einsetzen?“ bis hin zur mit einem sardonischen Grinsen vorgetragenen Frage: „Womit kann ich jemanden um die Ecke bringen?“ Da sich Gabi Steinmann aber als nette und nicht etwa als mordlustige Kräuterhexe versteht, bleibt sie diese Antwort schuldig.

Am Schluss der Wanderungen geht es ins Café saisonal zum kulinarischen Teil. Bei einem Essen werden dann die gemeinsam gesammelten Wild- und Heilkräuter verkostet. Und spätestens da ringt dann wieder mancher nach Worten, um das, was ihm da auf der Zunge liegt, zu beschreiben: „Das schmeckt doch wie, äh, na, wie soll ich es ausdrücken, ach, schmeckt halt nach Gundermann …“

Marcel Lütz-Binder


Kontakt:


Café saisonal
Gabi Steinmann
Blieskasteler Weg 5
66453 Gersheim, Ortsteil Herbitzheim
Tel./Fax: (06843) 80 06 75
E-Mail: kontakt@cafe-saisonal.de

Öffnungszeiten/Wanderungen:

Kräuterwanderungen nach vorheriger Absprache und Anmeldung.

Café saisonal:

Sa., So. und an Feiertagen:

14.00 – 19.00 Uhr; sowie nach Absprache.

Anfahrt:

Von Saarbrücken aus über die L 107 (Saarbrücker Straße), dann rechts auf den Hüttenweg (L 245), L 237 bis zur B 423, ein kurzes Stück über die B 423 Richtung Mandelbachtal, dann links abbiegen auf die Rubenheimer Straße und weiter auf die L 231, links auf die Kremelstraße, die zweite Abzweigung rechts nehmen auf den Blieskasteler Weg. Das „Café saisonal“ mit der Hausnummer 5 liegt auf der rechten Seite.


Artikel mit anderen teilen

Push-Nachrichten von SR.de
Benachrichtungen können jederzeit in den Browser Einstellungen deaktiviert werden.

Datenschutz Nein Ja