5 La Cour de Lise, Gourmet-Gästehäuschen mit Antiquitäten (Foto: Gabor Filipp)

Genussreiche Zeitreise

La Cour de Lise, Gourmet-Gästehäuschen mit Antiquitäten

 

Im elsässischen Willgottheim finden Feinschmecker ein lukullisches Kleinod: das Restaurant Cour de Lise. Hier kocht ein ehemaliger Sternekoch und übernachten kann man hier auch.

Willgottheim hat Fachwerk und romantisch schiefe Fassaden. Zu den touristischen Perlen des Elsasses gehört das Dorf jedoch nicht. Das mittelalterliche Ensemble der Puppenhäuser fehlt. Sehenswürdigkeiten gibt es keine. Bis Straßburg sind es noch rund 20 Kilometer. Und abseits von der viel besuchten Route du Vin liegt das 1.100 Seelen zählende Ort auch.

Dennoch: Willgottheim war selbst einmal viel frequentiert, weil damals an einer bedeutenden Fernverkehrsroute gelegen, die Straßburg mit Paris verband. Es gab gleich zwei Poststationen, wo Pferde und Kutschen gewechselt wurden. Und in einer Herberge mit Gastwirtschaft konnten die Reisenden den Staub aus ihrer Kleidung klopfen, deftiges Essen zu sich nehmen und übernachten.

2 La Cour de Lise, Gourmet-Gästehäuschen mit Antiquitäten (Foto: Gabor Filipp)

Wo der König übernachtete

Die frühere – 1732 erbaute – Herberge heißt heute La Cour de Lise und ist nach Jahrhunderten der Zweckentfremdung wieder für ihre ursprüngliche Bestimmung da. Wo lange Zeit nur noch ein Bauernhaus war, ist jetzt ein Maison d’Hôtes mit fünf Zimmer und einem kleinen Restaurant.

Nichts Besonderes, sollte man meinen, denn Übernachtungsmöglichkeiten dieser Größenordnung und auch mit Gastronomie gibt es doch viele im Elsass. Jedoch kaum ein anderes Gästehaus kann von sich behaupten, einmal einen leibhaftigen König mitsamt Gemahlin beherbergt zu haben.

Und nur in wenigen Häusern dieser Art dürfte es sich heute so fürstlich nächtigen und speisen lassen wie im La Cour de Lise. Letzteres ist so, weil der Sternekoch eines Gourmet-Restaurants und eine studierte Psychologin sich als Ehepaar einen Lebenstraum verwirklicht haben: Jean-Paul Bossée verließ 2005 das Zwei-Sterne-Restaurant La Chenaudière im elsässischen Colroy-la-Roche bei Schirmeck, wollte keinen Michelin-Stress mehr, sondern sein Glück in der regionalen Küche suchen. Er und seine Frau Isabelle kauften mitten in Willgottheim an der Hauptstraße ein herunter gekommenes Elsässerhaus, ohne dessen Vorgeschichte zu kennen.

Die Bossées wollten das Original des 18. Jahrhunderts wiederherstellen, suchten und fanden schließlich alte Dokumente und Unterlagen im Postmuseum in Riquewihr. Die halfen bei der Restaurierung und offenbarten die einstige Bedeutung des nunmehr desolaten Anwesens. Nach der Freilegung und Renovierung historischer Bausubstanz konnte 2007 zunächst das Restaurant eröffnet werden.

Da zaubert Jean-Paul Bossée seither aus frischen Zutaten und Produkten der Gegend seine einfachen aber zugleich raffinierten Gerichte von seltener Köstlichkeit. Spargel-Soufflé, Kalbsfilet mit Morchelsauce oder andere Positionen der Speisekarte schmeicheln selbst dem verwöhnten Gaumen, ohne den Geldbeutel überzustrapazieren. Der teuerste Hauptgang unterschreitet die 30- Euro-Marke. Ein dreigängiges Menu du Jour kommt für 15 Euro auf den Tisch – drinnen im rustikal-eleganten kleinen Restaurant mit den alten Eichenbalken an der Decke oder draußen auf der Terrasse mit Blick auf den großen Garten mit Obstbäumen und einem Schwimmbecken.

3 La Cour de Lise, Gourmet-Gästehäuschen mit Antiquitäten (Foto: Gabor Filipp)

Stressfreie Kreativität

Zu so einem Menü für wenig Geld kann als Vorspeise Geflügelravioli auf zwei Rote Beete-Streifen gehören. Wie auch immer zubereitet, die italienischen Lieblingsgastronomen zu Hause, Giovanni, Enzo oder Mario, mögen es verzeihen, aber danach mag man bei ihnen nur noch Pizza bestellen. Und als Dessert das Fruchteis des Maître Bossée, besonders das aus Birne, ist geeignet für Verzückungen jedweder Art! Auch Leute aus der Gegend, sprich bodenständige Einheimische, kommen zur Mittagspause, um zu genießen.

6 La Cour de Lise, Gourmet-Gästehäuschen mit Antiquitäten (Foto: Gabor Filipp)

Der Ex-Sterne-Koch genießt derweil in seiner nur wenige Quadratmeter einnehmenden und durchdacht eingerichteten Küche die stressfreie Kreativität und sagt, er sei glücklich. Seine Mimik widerspricht dieser Aussage nicht. Ehefrau Isabelle hilft mit in der Küche oder kümmert sich um die Gäste, erzählt zwischendurch – wenn sie gerade Zeit hat – gerne über den königlichen Besuch in diesem Haus.

Es muss Anfang September 1725 gewesen sein, als eine hochherrschaftliche Kutsche vor der größeren Poststation von Willgottheim hielt, der eine vornehme Dame entstieg, um dann zunächst in der Herberge zu speisen und den Durst mit Bier aus der hauseigenen Brauerei zu löschen. In Windeseile war es rum im Dorf: Bei der Dame handelte es sich um die Prinzessin Maria Leszczynska, Tochter des aus seiner Heimat vertriebenen Polen-Königs. Sie war dazu be­stimmt, den erst 15 Jahre alten König von Frankreich, Ludwig XV., zu heiraten und so Königin zu werden.

Die Fernverlobten sollten sich in Willgottheim erstmals begegnen und nach dieser Premiere am nächsten Morgen nach Straßburg weiter fahren, um dort im Münster vor den Altar zu treten. Die 23-jährige Prinzessin kam aus Zweibrücken und war pünktlich. Ihr Verlobter aber hatte aus Paris die längere Anreise und das schlechtere Zeitgefühl. Er traf nicht wie vereinbart am Abend ein, sondern erst Stunden später im Morgengrauen. Die Prinzessin hatte bis dahin noch mehr Bier getrunken und machte ihrem Verlobten eine lautstarke Szene.

Zu einer vorgezogenen Hochzeitsnacht soll es angesichts der hoch gepeitschten negativen Emotionen nicht mehr gekommen sein. Dann aber wurde Maria doch zur großen Liebe des Königs – bis die Mätresse Marquise de Pompadour dazwischen funkte.

Der königliche Zwischenfall ist auch nach Generationen noch latentes Dorfgespräch in Willgottheim. Den Fremden beschleicht der Verdacht, dass die Geschichte immer mehr Ausschmückungen erfahren hat oder vielleicht auch gar nicht statt fand. Aber Madame Bossée erzählt sie so schön, dass man ihr glauben mag. Und wenn sie in eines der Gästezimmer führt, die im Stil früherer Jahrhunderte eingerichtet sind, dann zeigt sie auch auf eine schlichte Liege unter einer hölzernen Stiege. Da soll die angehende Königin versucht haben, beschwipst in den Schlaf zu fallen. Schon sind alle Zweifel wieder verflogen.

Zweifel in dieser Sache aber hat ein guter Freund der Bossées, wenige Kilometer weiter im Dorf Behlenheim. Der in ganz Frankreich geschätzte und gefragte Antiquitätenhändler und Experte, Jean-Georges Rettig, sagt, das königliche Treffen in Willgottheim sei nirgendwo dokumentiert. Aber Marie Antoinette, Gattin von Ludwig XVI., die sei erwiesenermaßen in Willgottheim abgestiegen, allerdings in der anderen Poststation. Dazu gebe es Dokumente aus der Zeit. Sie kam tatsächlich Anfang April 1770 aus Wien nach Straßburg, reiste weiter über Willgottheim nach Saverne zu Kardinal Louis de Rohan, bevor sie zur Vermählung nach Versailles weiter fuhr.

Rettig ist auf Renaissance und Barock spezialisiert. Er weiß zu berichten, dass das Elsass auf dem Möbelsektor früher der Avantgarde und Paris um Jahrzehnte hinterher war. Zwischen protestantischen und katholischen Möbeln unterscheidet er. Die katholischen Stücke hätten mehr Schnitzereien, sagt er in bestem Elsässisch.

Stilsicher hat Rettig auch bei der Einrichtung der Gästezimmer im La Cour de Lise mitgewirkt. Moderne Stücke sind in passender Koexistenz mit antiken Einzelstücke kombiniert und sorgen für eine besondere Note, so etwa eine weiße geschwungene Badewanne auf Löwenfüßen mitten im Zimmer, zum Bett hin abgeschirmt nur von einem Paravent.

Zulieferungen von Rettig gibt es auch für den Frühstücksraum, wo auf schwerem Tisch Porzellangeschirr mit nostalgischem Blümchendekor und selbstgemachte Marmelade auf die Gäste warten.

Der Frühstücksraum war früher einmal die Scheune. Umgebaut und mit Fenstern versehen ist er nunmehr gewissermaßen der Inbegriff von Gemütlichkeit. Und auch hier findet sich eine besondere Einrichtung: Bis zur Decke reichende und auch etwas übers Eck gehende historische Vitrinen verleihendem Raum prägende Akzente. Dazwischen stehen niedrigere Schaukästen, und auch sie präsentieren auf ihren Regalen hinter dem von edlem Holz eingefassten Glas kleinere alte Stücke wie Aperitifgläser, Porzellangeschirr, Silberbesteck oder auch Bilder. Madame Bossée nennt die Dinge „Kuriositäten“, hat sie teilweise geerbt, auf Flohmärkten gefunden oder aber vom Antiquitätenhändler Rettig bekommen. Wenn den Gästen etwas gefällt, dann können sie es kaufen und mitnehmen.

Unverkäuflich sind die Vitrinen. Sie stammen aus einem vor Jahren aufgelösten Uhrengeschäft mit langer Tradition in Mulhouse. Die Einrichtung wurde gerettet, schmückt den Frühstücksraum von La Cour de Lise. Das kleine weiße Schild mit dieser Aufschrift außen an der Wand zur Straße hin ist übrigens leicht zu übersehen. Links davon ist das große Holztor der Hofeinfahrt und gleich daneben im alten Mauerwerk die in Vogesen-Sandstein eingefasst Eingangstür, meistens einladend geöffnet. Eine Einladung, die angenommen werden sollte – von wegen „Leben wie Gott im Elsass“.

Gabor Filipp


Kontakt:

La Cour de Lise
26, rue Principal
F-67370 Willgottheim
Tel: (00333) 88 64 93 36
E-Mail: contact@lacourdelise.fr
http://maisondhote.lacourdelise.fr.
http://lacourdelise.fr

Öffnungszeiten:

Mi. – So.: mittags 11.45 – 13.30 Uhr, abends 19.45 – 23.30 Uhr.

Das Restaurant hat montags und dienstags geschlossen.

Anfahrt:

Ab Saarbrücken die Landstraße nach Güdingen-Unner nehmen, dann dort über die Grenze nach Frankreich und weiter Richtung Grosbliederstroff fahren. Von dort aus der Beschilderung Sarreguemines und Strasbourg folgen. Nach Saargemünd auf die Autobahn A 4 auffahren und diese erst nach circa 50 Kilometern an der Anschlussstelle 42 (Saverne) verlassen. Zuerst kommen kurze Abschnitte der D 1404 und D 421, dann geht es über die Dörfer und die D 41 direkt nach Willgottheim. Die einfache Entfernung ab Saarbrücken zum Zielort: rund 90 Kilometer.



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