Mesut Özil sitzt auf dem Rasen (Foto: dpa)

"Mehr Zwanziger, weniger Grindel!"

Ein Interview mit Imran Ayata zum Fall Özil

Jochen Marmit / Onlinfassung: Martin Breher   24.07.2018 | 11:28 Uhr

Nach dem angekündigten Rücktritt von Mesut Özil aus der deutschen Nationalmannschaft spricht der Autor Imran Ayata im SR 2-Interview über die Fehler auf beiden Seiten. Er meint, dass sich die deutsche Gesellschaft zu wenig mit dem Thema Rassismus beschäftige und fordert vom DFB den Weg zurück zur Ära Zwanziger. Außerdem ist Ayata der Meinung, dass die Identitätsfrage der Fußballer sich in Richtung Clubs verschoben habe.

Er [Mesut Özil] ist nicht das Opfer, er ist ein handelnder Akteur, so wie er handelnder Akteur war, als er sich mit Herrn Erdogan zu einem Fototermin verabredet hat", meint der Autor Imran Ayata im SR 2-Interview mit Jochen Marmit. Die wiederholten Treffen mit dem türkischen Staatspräsidenten hält Ayata für "grundfalsch". Dadurch liege die Vermutung nahe, dass "es eine politische Sympathie" gebe.

"Ausdruck rassistischer Denkmuster"

Der Autor Imran Ayata (Foto: imgao/Müller-Stauffenberg)
Der Autor Imran Ayata

In Deutschland sei es aber nicht üblich, die Fußballer der Nationalmannschaft anhand ihrer politischen Präferenzen auszuwählen. Die Reaktionsmuster auf das frühe Ausscheiden der Nationalmannschaft bei der WM in Russland und "die Zuschreibung auf Özil" von Basler, Matthäus, Grindel und anderen seien deshalb durchaus "Ausdruck rassistischer Denkmuster". Aus diesem Grund sei Özils Entscheidung, nicht mehr für die Nationalmannschaft zu spielen, nachvollziehbar, so Ayata.

Der DFB unter Reinhard Grindel

Beim DFB müsse man unterschieden "zwischen der Zeit vor und nach Herrn Grindel". Unter der Präsidentschaft von Theo Zwanziger habe sich der DFB stark für Antirassismus und Vielfalt eingesetzt – "weitaus interessanter und besser als manche politische Organisation". Unter Grindel sei das nun anders. Deshalb sollte der DFB auch wieder zurück zur Ära Zwanziger, fordert Ayata: "Vielfalt zu propagieren im Bereich des Sports ist kein Risiko, sondern ein Reichtum. Ich würde sagen: Mehr Zwanziger, weniger Grindel, dann sind wir wieder auf einem besseren Weg!"

Der gesamte Umgang mit dem Fall Özil zeige, dass "wir als Gesellschaft nicht hinreichend und nicht ausreichend das Bewusstsein haben, was es eigentlich heißt, ein Einwanderungsland zu sein, was es eigentlich heißt, sich mit Rassismus auszukennen." Özil und der DFB hätten "klar die Sache ausräumen müssen" oder alternativ hätte der DFB Özil "offen und ehrlich eingestehen" müssen, "dass er eben politisch da steht, wo er steht", sagt Ayata.

Dass er so tut, als hätte das keine politische Aussage, das ist grundfalsch.

Identitätsfrage hat sich verlagert

Die oft diskutierte Identifikation der Fußballer in der deutschen Nationalmannschaft mit Deutschland hält Ayata für problematisch. Dadurch, dass die Spieler in der heutigen "globalisierten Fußballwelt" in Top-Clubs "17 Millionen Euro und aufwärts pro Jahr verdienen", hätte sich die Identitätsfrage in Richtung der Clubs verlagert. Die Nationalmannschaft sei daher für viele Spieler bei der Identitätsfrage eher sekundär, vermutet Ayata. Vielmehr gehe es bei der Wahl der Nationalmannschaft darum, in welcher Mannschaft man sich fußballerisch behaupten könne:

Alle Spieler mit migrantischem Hintergrund, die richtig gut sind, die entscheiden sich für die deutsche Nationalmannschaft. Und die, die schon von vorne herein wissen, das reicht nicht für die deutsche, die spielen dann halt für die türkische.

Die besondere Rolle der Türkei

Außerdem glaubt Ayata, dass die türkische Nationalität eine besondere Rolle in diesem Streit spiele – vielmehr als andere politischen Gesichtspunkte:

Was würden wir denn tun, wenn sich herausstellen würde, dass zwei oder drei Nationalspieler für Herrn Gauland Feuer und Flamme sind? Würden wir dann in ähnlicher Weise debattieren? Ich bin mir nicht ganz sicher…

Ein weiteres Problem sieht Ayata darin, dass Migranten nur bei entsprechender Leistung auch als "gute Deutsche" von der Gesellschaft angenommen würden. Das sehe man auch in anderen Bereichen, wie etwa im Film: "Fatih Akin war lange Zeit deutsch-türkischer Filmemacher. Von dem Moment an, als er die Berlinale gewonnen hatte, war er der deutsche Filmemacher". Weiter sagt Ayata: "Es gibt in der Mehrheitsgesellschaft einen Zusammenhang, dass Migration dann gut ist, wenn sie bereichernd ist. Kulturell, ökonomisch, und so weiter". Wichtig sei es, differenziert auf das Thema zu blicken, denn, so Ayata:

Wir können nicht aufgrund eines sportlichen Versagens einen Rückschluss herstellen, dass jemand möglicherweise nicht hinreichend die deutschen Werte vertritt.

Mehr zum Thema:

Über dieses Thema wird in der Sendung "Der Morgen" vom 23.07.2018 auf SR 2 KulturRadio berichtet.

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