Fill In: Sounds from the ancestors - Kenny Garrett (Saxophone), Corcoran Holt (Kontrabass) (Foto: Pasquale d'Angiolillo)

Jazzfestival "fill in" ist vorbei

Ein Kommentar von Karsten Neuschwender   10.07.2023 | 12:15 Uhr

Das erste internationale Jazzfestival Saar "fill in" ist mit Hochspannung erwartet worden. Drei Tage lang haben Topacts aus der ganzen Welt den Deutsch-französischen Garten bespielt. Am Vorabend gab es Jazz in Saarbrücker Kneipen und Bars. Ein starker Aufschlag, findet SR 2-Musikredakteur Karsten Neuschwender.

Schon am ersten Abend habe ich aufgehört zu zählen, wann mir ein prickelnder Schauer über den Rücken läuft, wann es Gänsehaut gibt und wann mich dieses neue Jazzfestival „fill in“ packt.

Es gab viele Momente und nicht nur diesen: Kenny Garrett, dieser laut groovende Haudegen am Saxophon, dieser Typ, der durch Miles Davis berühmt wurde, dieser Kerl, der am Ende dutzendweise die Zuhörer von den Stühlen geholt und zum Tanzen gebracht hat.

John Scofield bei "fill in - International Jazz Festival Saar" 2023. (Foto: Pasquale d'Angiolillo)
John Scofield bei "fill in - International Jazz Festival Saar" 2023.

Als dieser Typ in seiner Musik John Coltrane, dem großen spirituellen Zeremonienmeister des Jazz huldigte, in diesem Moment fielen ein paar Tropfen vom Himmel, es gab einen Regenbogen, und am Horizont hinter der Bühne waren ein paar Blitze zu sehen.

Ein magischer Moment in dieser Beschwörung des "Spirit of Jazz". Vielleicht auch einfach nur Kitsch - aber: ergreifend. Es gibt Erlebnisse, die kann man nicht planen, doch: Ohne eine gute Planung würden sich solche Erlebnisse nicht einstellen können.

Audio

Jazzfestival "fill in" ist vorbei - Kommentar von Karsten Neuschwender
Audio [SR 2, Karsten Neuschwender, 10.07.2023, Länge: 03:39 Min.]
Jazzfestival "fill in" ist vorbei - Kommentar von Karsten Neuschwender

Nach den letzten Jahren, in denen so viele Festivals gescheitert sind - vom Saarbrücker Jazzfestival über Colours of Pop bis zu Resonanzen - hat das Festival „fill in“ das meiste von dem geliefert, was von Festivals gefordert wurde.

Es war nahbar und in der Stadt präsent: Mit lokalen und regionalen Bands, die viele Kneipen und Bars in der Saarbrücker Innenstadt bespielt haben. Es hatte internationales Format - mit Legenden wie John Scofield, dem Inbegriff der Jazzgitarre. Oder eben Kenny Garrett.

Es hat Achsen nach Frankreich geschlagen, unter anderem mit Anne Paceo und ihrem Programm Shamanes mit so einer Art auf drei Stimmen verteiltem Obertongesang, dazu viel Trommel, was ja als Reittier des Schamanen gilt, das Fortbewegungsmittel, um in Trance zu reisen. Magic… Ein sehr farbiges Festival.

fill in: Fanfare Moussaka auf dem St. Johanner Markt (Foto: Pasquale d'Angiolillo)
fill in: Fanfare Moussaka auf dem St. Johanner Markt

Michel Meis und sein Quartett waren dicht kommunizierende Musikerinnen und Musiker aus der Großregion. Dorantes hat mit arabeskenhaft verzierendem Spiel über leidenschaftlich rhythmischen Impulsen die mediterrane Musikkultur und das Herz des Flamenco nach Saarbrücken gebracht.

Ein Festival, exklusiv und nahbar zugleich. Ein Festival, das in der Stadt zu spüren war - und den deutsch-französischen Garten, wo die Haupt-Acts gestartet sind, belebt hat. Eine große Chance für Saarbrücken und das Land. Und vor dem Hintergrund sehr erstaunlich, dass niemand von der Stadt oder dem Land sichtbar war.

Auftakt zum Jazzfestival "fill in"
Video [SR.de, (c) SR, 07.07.2023, Länge: 00:15 Min.]
Auftakt zum Jazzfestival "fill in"

OK, der künstlerische Leiter Oliver Strauch kann schon nächstes Jahr planen, weil sein Festival als Leuchtturm für 2024 auserkoren wurde, mit einer Fördersumme bis zu 400.000 Euro vom Wirtschaftsministerium.

Studien belegen, dass jeder öffentliche Euro, der in ein funktionierendes Festival fließt, bis zu neunfach zurückfließt. Weil es ja Menschen gibt, die zu Festivals reisen und dann Essen, Trinken und Umsatz machen.

Die erste Ausgabe des internationalen Jazzfestivals „fill in“ war ein starker Aufschlag und hat, wie man so schön sagt, Potenzial. Klar, auf vielen weißen Plastikstühlen war noch Platz. Aber viele Zuhörerinnen und Zuhörer lagen und saßen bei herrlichem Wetter auch auf Decken in der Wiese.

Laut Veranstalter 800 am ersten Abend. Im nächsten Jahr gibt es Kooperationen mit St. Ingbert und Saarlouis. Und eigentlich ist da auch Raum und es gibt Möglichkeiten, die saarländische Jazzszene mit einzubeziehen und weiter an diesem Projekt zu arbeiten.

Man hat ja im Vorfeld aus der Konzertveranstalterszene Stimmen gehört nach dem Motto: Wenn ich so viel Geld hätte, würde ich auch so was machen können. Na ja ,… Vernetzung und Sponsorenpflege ist eine Begabung, die nicht jeder hat.

Oliver Strauch hat die - und jetzt: Gerne weiter Synergien schaffen, einbringen und entwickeln. Die Kunst ist es doch, nach dem ersten Aufschlag das Spiel zu machen. Ich bitte doch sehr darum. Es gibt hervorragende Gewinnchancen.


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Samstag, 8. Juli 2023, 11.20 Uhr: MusikWelt
"Man muss verrückt sein und man darf nicht jammern"
Am Wochenende startet das neue, viel diskutierte Jazzfestival „fill in“ mit Jazz-Legenden wie John Scofield und Kenny Garrett. Kurator und Direktor ist der Schlagzeuger und Professor Oliver Strauch. "MusikWelt"-Redakteurin Gabi Szarvas hat mit ihm gesprochen.


Ein Thema in der Sendung "Der Morgen" am 10.07.2023 auf SR 2 KulturRadio.

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