"Unrühmliches Ende für die Berlinale 2024" - Ein Kommentar von Oda Tischewski

"Unrühmliches Ende für die Berlinale 2024"

Oda Tischewski  

Es begann mit einem Streit über die Einladung von AfD-Politikern zur Eröffnung und endete mit einem Skandal über israelfeindliche Äußerungen bei der Abschluss-Gala: Die Berlinale stand in diesem Jahr im Zeichen von politischen Auseinandersetzungen.

Die Berlinale, nein, gleich die ganze Kulturszene habe ein "Riesenproblem", hieß es nach den Misstönen bei der Abschluss-Gala am vergangenen Samstag. Da hatten Filmemacher, deren cineastische Auseinandersetzung mit dem Nahost-Konflikt mit Auszeichnungen des Festivals gewürdigt wurden, im Rahmen ihrer Dankesreden ihre Haltung zum Thema deutlich gemacht.

Unter anderem kritisierten die Filmemacher Basel Adra und Yuval Abraham, die gemeinsam den Film "No Other Land" über die Lage im Westjordanland gedreht hatten, in unmissverständlichen Worten das militärische Vorgehen Israels im Gazastreifen, das sie als "Abschlachten" bezeichneten. Basel Adra ist Palästinenser, Yuval Abraham stammt aus Israel. Dort gehen seit Wochen Tausende Menschen gegen die Politik von Benjamin Netanjahu auf die Straße.

Auch sie sind überzeugt davon, dass die Militäroffensive Israels in Gaza enden, dass eine Waffenruhe vereinbart werden muss. Sind die alle Antisemiten? Sind ihnen die israelischen Geiseln schlichtweg egal? Die Lage im Nahen Osten ist so kompliziert, dass sie nicht selten als Beispiel für ein unlösbares Dilemma genannt wird. Der Konflikt schwelt seit mehr als 80 Jahren, bricht immer wieder auf und vergiftet mit immer neuen Gewaltexzessen jede junge Generation und damit jede neue Chance auf konstruktive Friedensgespräche.

Aufgrund seiner Geschichte hat Deutschland dabei lange einen eindeutigen, aber auch recht einfachen Weg gewählt: Als Nachfahren der Nazis, der Verantwortlichen für den Holocaust, stehen wir schon aus Gewissensgründen fest an der Seite Israels, komme, was und vor allem wer wolle. Ein ultrarechter Regierungschef wie Benjamin Netanyahu, zum Beispiel. Die Filmemacher Adra und Abraham sind keine Deutschen. Sie sind direkt betroffen von dem, was wir nur aus der Ferne betrachten.

Ihre Haltung ist die Haltung von jungen Männern, deren Leben durch den Konflikt geprägt wurden – dass sie stehen, wo sie stehen, kann ihnen niemand vorwerfen. Und dass sie ihre Aussagen nicht relativieren, indem sie den Ausgleich suchen und das Leid der Gegenseite wenigstens erwähnen, ist aus ihrer Sicht verständlich. Wichtiger wäre zu fragen: Ist es richtig, dass Deutschland das Vorgehen Israels im Gaza aus Gründen der Staatsräson bis heute kaum kritisiert?

Wäre es nicht richtig, den eigenen Einfluss geltend zu machen, um einen Friedensprozess nicht nur sanft zu befürworten, sondern immer wieder zu fordern, auch mit außenpolitischem Druck? Sowohl der Berlinale als auch der Kulturstaatsministerin wird nun vorgeworfen, zu spät reagiert zu haben. Beide übergingen die provokanten Aussagen zunächst, äußerten sich erst im Nachhinein: Die Berlinale verwies auf die Meinungsfreiheit, Claudia Roth kündigte eine Aufarbeitung an.

Beide mögen dabei überfordert und wenig souverän gewirkt haben. Aber Fakt ist: Der Nahostkonflikt überfordert. Niemand, der begriffen hat, wie schlimm die Lage dort ist, kann noch routiniert Statements dazu abspulen, spontan aus der Hüfte "einordnen", was zwei wütende, verzweifelte junge Filmemacher auf der Bühne sagen. Wäre die Situation andersherum gewesen, hätten sie angeprangert, wie die Hamas am 7. Oktober die Besucher des Supernova-Festivals abgeschlachtet hat – niemand wäre gezwungen gewesen, es einzuordnen.

Ist das ein unbefriedigendes Ergebnis? Ja. Aber es ist die einzige Haltung zum Nahost-Konflikt, derer ich mir bislang sicher bin: Die Gewalt muss aufhören, die Beteiligten müssen reden. Es ist mir gleich, wer damit anfängt.

Ein Thema in der Sendung "Der Morgen" am 27.02.2024 auf SR 2 KulturRadio.

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