Historische Zeichnung, Die Türken vor Wien (Foto: IMAGO / imagebroker)

Die zweite Belagerung Wiens durch das Osmanische Reich

ZeitZeichen: 14. Juli 1683

 

Sendung: Freitag 14.07.2023 9.05 bis 9.20 Uhr

Sie gilt als Wendepunkt der europäischen Geschichte und wurde zum heroischen Abwehrkampf des christlichen Abendlandes gegen islamische Eroberung stilisiert. Doch heute wird die zweite Belagerung Wiens im Jahr 1683 anders bewertet.

Ein Ring von 120.000 Mann schließt sich um die Hauptstadt des Habsburger Reiches. Angeführt von Kara Mustafa Pascha, dem mächtigen Großwesir Mehmet des Vierten, streckt das Osmanische Imperium die Hand nach dem sogenannten "Goldenen Apfel" aus.

Audio

Der österreichische Kaiser ist bereits geflohen und überlässt die Stadt seinem Stadtkommandanten Graf Ernst Rüdiger von Starhemberg. Dieser soll mit einer Handvoll Verteidigern einem zehnmal stärkeren Angreifer widerstehen.

Truppen aus Polen-Litauen und dem Heiligen Römischen Reich schließen sich zusammen, um der Stadt zu Hilfe zu eilen. Es ist ein Rennen gegen die Zeit.

Die Zeitgenossen sehen die Belagerung in erster Linie als Eroberungskrieg eines der größten Imperien der damaligen Zeit. Religion spielt hierbei eine untergeordnete Rolle: Auf dem Balkan rebellieren Moslems gegen die osmanische Vorherrschaft, auf Seiten des Osmanischen Heers kämpfen protestantische Ungarn gegen die Herrscher im Kaiserhaus.

Mit Frankreich wünscht sich sogar ein katholischer König die Niederlage für das verfeindete Habsburger Herrscherhaus. Vor allem aber scheint der gesamte Feldzug ohne Absprache mit dem osmanischen Sultan auf persönliches Bestreben des machthungrigen Kara Mustafa Pascha geplant worden zu sein.

Die Belagerung dauert. Die Mauern Wiens sind von monatelangen unterirdischen Sprengungen durchlöchert und schwanken. Aus berechtigter Angst vor Grausamkeiten der Eroberer lehnt Starhemberg die Kapitulation rundweg ab. Buchstäblich in letzter Sekunde erreicht das Entsatzheer unter Führung des polnischen Königs Johann III. Sobieski die eingeschlossene Stadt. Das osmanische Heer wird vollständig aufgerieben und zerstreut.

Ist für die Zeitgenossen die Abwehr der Osmanen in erster Linie ein Teil europäischer Machtpolitik, wird die Schlacht bald danach zur Abwehr der Islamisierung Europas stilisiert. Gleichzeitig fing man in West- und Nordeuropa an, die Niederlage als Beginn eines generellen Niedergangs des Osmanischen Reiches zu betrachten. Heute ist der Blick differenzierter geworden: Das Osmanische Reich durchlief in der Folge eine notwendige strukturelle und ökonomische Transformation.

Und ob tatsächlich, wie lange behauptet, ganz Europa flächendeckend islamisch geworden wäre, darf angesichts des eher toleranten Umgangs mit Religionsvielfalt im osmanischen Reich ebenfalls bezweifelt werden. Europa ist heute ethnisch und konfessionell vielfältig, so wie es das Osmanische Reich vor und nach der Niederlage in Wien war. Die Belagerung Wiens bleibt Teil des kollektiven Gedächtnisses, auch wenn sich der Blick auf das Geschehene wandelt.

Von Murat Kayı


Das Bild ganz oben zeigt eine Historische Zeichnung der Türken vor Wien (Bildquelle: IMAGO / imagebroker).


"ZeitZeichen"

Montag bis Freitag um 9.05 Uhr auf SR 2 KulturRadio

Seit über 40 Jahren ist die Sendung "ZeitZeichen" eine feste Institution in der deutschen Radiolandschaft. Mit erzählerischer Kraft, analytischer Brillanz und publizistischer Kompetenz erinnert das "ZeitZeichen" an wichtige Daten und Ereignisse. Dabei geht nicht nur um Geschichte, Politik, Kunst und Kultur, sondern auch das Alltägliche, bis hin zum Skurrilen.

Neben dem aufwändig komponierten Beitrag sind im 15-minütigen "ZeitZeichen" alle Darstellungs- und Stilformen des Hörfunks zu erleben, von der reinen O-Ton-Collage über die Reportage bis hin zum Mini-Hörspiel.

Das ZeitZeichen ist eine Kooperation von SR 2 KulturRadio mit dem Westdeutschen Rundfunk.

Redaktion SR: Peter Weitzmann

Redaktion WDR: Gesa Rünker

E-Mail: sr2@sr.de

Artikel mit anderen teilen


Push-Nachrichten von SR.de
Benachrichtungen können jederzeit in den Browser Einstellungen deaktiviert werden.

Datenschutz Nein Ja