Zucker und Zimt

"Zucker und Zimt"

Brunners Welt - die politische Glosse der Woche zum Nachlesen und Nachhören

Von Peter Tiefenbrunner  

Sendung: Freitag 07.06.2024 16:45 Uhr

Nr. 991

Nicht dass Sie denken, wir hielten nicht an unseren Vorsätzen fest. Natürlich nicht an allen, aber in puncto Nordreise sind wir zielstrebig dabei. Unser mobiler Treppenabsatz grüßt Sie also heute aus Stockholm. Genauer gesagt: Von einem Campingplatz außerhalb Stockholms. Leider war es unserer Aufmerksamkeit entgangen, dass am 6. Juni der schwedische Nationalfeiertag begangen wird – die Stadt ist voll.

Die Feierlaune der Schweden ist offenbar groß, was vielleicht auch an einem etwas anderen Verständnis eines solchen Feiertags liegen mag. Auf der offiziellen Webseite dazu ist zu lesen, dass man an diesem Tag doch bitteschön feiern möge, was man will: Die schöne Fahne, die großartige Natur, die spannende Kultur, die langanhaltende Friedensperiode, die Freiheit  oder gar die Industrie – egal. Und: Es ist ein säkularer Feiertag, sprich: Anhänger:innen aller Religionen können mitfeiern ohne ihren jeweiligen Herrn zu inkommodieren. Ist ja auch schon mal was.

Damit es nicht ganz so entspannt bleibt, wird natürlich auch hier am nächsten Sonntag gewählt und vermutlich werden wieder die rechtspopulistischen Schwedendemokraten den zweiten Platz machen. Die natürlich „europakritisch“ sind und lieber einen freien Bund tapferer nordischer Länder hätten. Und sich gegen Rassismus aussprechen aber Immigration nicht so gerne sehen. Kennt man ja durchaus von daheim.

Um’s Haar wäre übrigens die schwedische Ablehnung der EU noch stärker ausgefallen: Im Jahre 2013 wurde ruchbar, dass einige, weitverbreitete Sorten Zimt den leberschädlichen Wirkstoff Kumarin enthalten. Flugs wurde die EU tätig und bestimmte einen Grenzwert von maximal 15 mg Kumarin je Kilo Gebäck. Was natürlich die verehrte schwedische Zimtschnecke, Kanelbullar genannt, zu einer schwächlichen, ja fast dänisch anmutenden Backware gemacht hätte. Doch Odin sei Dank, die schwedische Regierung hatte den süßen Kringel noch rechtzeitig vor 2013 als „traditionelle nationale Spezialität“ eintragen lassen. Und für so etwas gelten natürlich andere Regeln, weshalb die Schweden weiterhin mit bis zu 50 mg Kumarin pro Kilo Bullar ihre Lebern attackieren dürfen. Glück gehabt, EU!

Die Geschichte stimmt übrigens, no fake news! Apropos: Amerikanische Wissenschaftler haben gerade in einer Studie belegt, dass der weitaus größte Teil der Fake News auf X (vormals Twitter), nämlich 80 %, von weniger als einem Prozent der User verbreitet werden. Genauer gesagt von 2107 Usern bei 660.000 untersuchten Teilnehmern. Noch genauer gesagt: Userinnen, denn diese 0,3 Prozent sind überwiegend „mittelalte weiße Frauen“ aus konservativen Staaten. Meine Nachbarin Barscheck diskutiert seitdem von jedem Internetzugang aus, den wir erreichen, mit ihren Freundinnen daheim mögliche methodische Mängel der Studie. Bislang wohl erfolglos.

Erklärungen für das Verhalten dieser Gruppe fanden die Foscher.innen übrigens nicht wirklich. Klar ist aber: Die Damen nutzen nicht etwa irgendwelche Automatisierungstools für ihre zahlreichen Posts. Nein, "sie sitzen sprichwörtlich vor ihren Computern und drücken Retweet", erklären die Wissenschaftler. Manche, so lässt sich vermuten, rufen dabei gelegentlich „Bingo!“ Aber das ist selbstverständlich eine völlig unwissenschaftliche Behauptung. Sorry.

Wir jedenfalls machen uns weiter auf gen Norden, nicht ohne einen bangen Blick zurück auf das deutsche EU-Wahlergebnis. Sie daheim können’s ja noch rausreißen, gehen Sie auf jeden Fall an die Urnen. Wir waren natürlich schon, vor unserer Abfahrt. Die Hoffnung wählt zuletzt. Wird auch schon wieder Zeit für ein paar Milligramm Kumarin. Echt heißer Stoff!


Ein Thema in der Sendung "Der Nachmittag" am 07.06.2024 und in "Der Morgen" am 08.06.2024 auf SR 2 KulturRadio.

 


Brunners Welt

Jeden Freitagnachmittag in "SR 2 - Der Nachmittag" und als Wiederholung jeden Samstagmorgen gegen 8.40 Uhr in "SR 2 - Der Morgen"!

Brunner hält für SR 2 die Augen offen. Und wenn er was nicht mitkriegen sollte, dann wird ihn Frau Barscheck, seine Nachbarin, schon mit der Nase drauf stoßen. Dann kann er sich nämlich seine Gedanken darüber machen, was wichtig ist und wo die Trends der Zeit zu spüren sind.

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