?Wunder geschehn!?

"Wer die Wahl hat"

Brunners Welt - die politische Glosse der Woche zum Nachlesen und Nachhören

Von Peter Tiefenbrunner  

Sendung: Freitag 26.07.2024 16:45 Uhr

Nr. 998

Nicht dass Sie denken, ich dächte daran meinen Wohnsitz in den Vereinigten Staaten von Amerika zu nehmen. Nein, überhaupt nicht, keinesfalls und oh Gott! Ich gebe zu, es hat Phasen in meinem Leben gegeben, da war das durchaus eine Option in meinem Gehirn. Aber da war das auch noch sehr jung und Amerika das Land von Rock’n Roll, Hippies, Woodstock und Easy Rider, Bob Dylan klampfte noch akustisch und der Marlboro-Mann hatte noch keinen Lungenkrebs.

But the times they are changing und die Chancen stehen nicht schlecht, dass dieses Land Donald den Schrecklichen noch einmal zu seinem Präsidenten wählt. Und was heißt schon „wählt“ in diesem Zusammenhang? Für einen deutschen Staatsbürger sind die US-Wahl-Gepflogenheiten schwer zu verstehen und – wenn man sie zumindest rudimentär kapiert hat – ebenso schwer noch unter der Rubrik „demokratisch“ einzusortieren. Längst nicht jede und jeder Amerikaner:in kann an der Wahl überhaupt teilnehmen. Die Registrierung im Wählerverzeichnis ist kompliziert, aufwändig und unter Umständen auch teuer, der Wahltermin fällt regelmäßig auf einen Arbeitstag und auf Briefwahl auszuweichen ist maximal schwierig.

Zudem ist es wegen des Wahlrechtes für kleinere Parteien nahezu unmöglich sich durchzusetzen, dafür ist es ohne weiteres möglich, mit weniger Wählerstimmen die Wahl zu gewinnen. Und wozu Wahlmänner und -frauen gut sein sollen, hat mir auch noch niemand zufriedenstellend erklären können. Darüber hinaus muss man um überhaupt erfolgreich kandidieren zu können, schon von Haus aus stinkend reich sein und dazu noch soviel Spendengelder auftreiben, dass kaum noch vorstellbar ist, wie der oder die dann irgendwie Gewählte noch unabhängig sein Geschäft betreiben sollte. Und das alles gilt natürlich immer noch, auch wenn nun Kamala Harris den greisen Joe Biden als Kandidaten ablösen darf.

Klar war auch unser Treppenabsatz durchaus erleichtert, als die Nachricht von Bidens Verzicht uns erreichte. Und natürlich macht es diebischen Spaß zu sehen, wie Donald Trump plötzlich im Leeren strampelt wie sein Namensvetter aus Entenhausen, wenn der versehentlich über einen Abgrund geraten ist. Ist ja auch hart, von einem Augenblick zum anderen vom jüngeren, agileren und robusteren Wahlkämpfer als das wahrnehmbar zu werden, was er eigentlich immer war: Ein alter weißer Mann mit schütterem Haar, ungünstigem Body-Mass-Index, übersteigertem Selbstbewusstsein und mehr als lückenhafter Allgemeinbildung, dem nun sein Lieblingsgegner, dem das Alter noch übler mitgespielt hat, abhanden gekommen und durch eine zwanzig Jahre jüngere, intelligente, schlagfertige und kampfbereite Frau ersetzt worden  ist. Zu der dem alten Donald bislang nichts anderes eingefallen ist, als zu verkünden, Kamala Harris sei „verrückt“ und das erkenne man an ihrem Lachen. Ach Gott.

Aber wie gesagt: Das Rennen ist trotzdem nach wie vor offen und wie es auch immer ausgeht, Sieger oder Siegerin ist nicht wirklich Präsident:in des amerikanischen Volkes. Hierzulande dagegen dürfen wir davon ausgehen, dass wenn im Herbst tatsächlich die AfD mancherorts zur stärksten Partei wird, das tatsächlich auch dem Wählerwillen entspricht. Ob’s das besser macht, weiß ich nicht.

Meine Nachbarin Barscheck findet zumindest etwas Positives am US-Wahlrecht: Als Vorbestrafter darf Trump zwar gewählt werden, aber nicht selbst wählen. Immerhin: Eine Stimme weniger für das größere Übel.



Ein Thema in der Sendung "Der Nachmittag" am 26.07.2024 und in "Der Morgen" am 27.07.2024 auf SR 2 KulturRadio.

 


Brunners Welt

Jeden Freitagnachmittag in "SR 2 - Der Nachmittag" und als Wiederholung jeden Samstagmorgen gegen 8.40 Uhr in "SR 2 - Der Morgen"!

Brunner hält für SR 2 die Augen offen. Und wenn er was nicht mitkriegen sollte, dann wird ihn Frau Barscheck, seine Nachbarin, schon mit der Nase drauf stoßen. Dann kann er sich nämlich seine Gedanken darüber machen, was wichtig ist und wo die Trends der Zeit zu spüren sind.

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