SR 2-Kolumnist Brunner (Foto: SR)

„Ein bisschen kühn“

Brunners Welt - die politische Glosse der Woche zum Nachlesen und Nachhören

Von Peter Tiefenbrunner  

Sendung: Freitag 01.03.2024 16:45 Uhr

Nr. 977

Nicht dass Sie denken, ich hätte ein besonders gutes Gedächtnis. Aber ich erinnere mich noch recht gut an all die medialen Wortmeldungen von mehr oder weniger prominenten Zeitgenossen, die nach dem Überfall Russlands auf die Ukraine den verborgenen Krieger in sich entdeckt haben. Campino von den Toten Hosen, Robert Habeck, der SPIEGEL-Journalist Tobias Rapp oder auch der evangelische Landesbischof Gohl versicherten öffentlich, dass sie heutzutage den Wehrdienst nicht mehr verweigern würden. Damals vor eineinhalb Jahren noch ein recht wohlfeiles Bekenntnis zur bewaffneten Landesverteidigung.

Auch wenn die Herren allesamt zwischen Anfang 50 und Anfang 60 Jahren sind und zumindest theoretisch der Deutsche bis zum 65. Geburtstag als „wehrrechtlich verfügbare Person“ gilt. Praktisch war es mehr als unwahrscheinlich, dass einer von ihnen nochmal willig in den Drillich schlüpfen müsste. Was im übrigen auch die FDP-eigene Langstreckenwaffe Strack-Zimmermann betrifft. Und auch ihrem grünen Waffenbruder im Geiste dem Hofreiter-Toni spricht nicht gerade die Wehrfähigkeit aus dem wohlgerundeten Leib.

Wär ja auch irgendwie wurschd, hätte sich da nicht gerade Monsieur Macron vor die Presse gestellt und verkündet, das er nicht ausschließen möchte, französische Bodentruppen in die Ukraine zu entsenden. Was denn dann doch die Wahrscheinlichkeit erhöht, dass die NATO und damit auch wir in den Krieg ziehen müssten. Immerhin ist Frankreich EU-Land, NATO-Mitglied und Atommacht. Sprich: Sobald Russland das als Kriegseintritt werten würde und evtl. französische Ziele angriffe, wären wir dabei. Und natürlich hat Russland auch bereits entsprechend klar gemacht, dass es genau so reagieren würde.

Am Morgen danach machten denn auch eilig die anderen EU-Partner deutlich, dass sie keineswegs daran denken, Truppen in die Ukraine zu schicken. Und auch der französische Außenminister beeilte sich, das unabgesprochene Zündeln seines Chefs einzuhegen: Truppen, wenn überhaupt, dann nicht zum Kämpfen, sondern irgendwie friedlicher, eher so zum Aufräumen. Kasernenhof kehren, Kantine, sowas. Deutsche Unterstützung für den plötzlich vereinsamten Staatspräsidenten kommt nur von Wolfgang Ischinger, einstiger Spitzendiplomat und Chef der Münchner Sicherheitskonferenz. Der sagt, Macrons Überlegungen seien zwar „ein bisschen kühn, aber nicht falsch.“ Also doch Zeit, sich zu fragen, wie es denn mit dem persönlich Einsatz aussähe?

2023 gab es da eine erhellende Umfrage von YouGov: Im Falle eines militärischen Angriffs auf Deutschland wäre gut jeder zehnte Bundesbürger darauf eingestellt, sein Land mit der Waffe in der Hand zu verteidigen. Davon würde sich allerdings nur die Hälfte freiwillig melden. Fast ein  Viertel der Befragten gab schamlos zu Protokoll, dass sie „im Kriegsfall so schnell wie möglich das Land verlassen“ würden. Und von geradezu verblüffender Verdrängungsleistung zeugt die größte Gruppe dieser Umfrage: Ganze 33 Prozent möchten auch im Kriegsfall „ihr gewohntes Leben weiterführen“. Nimm das, Russe.

Meine Nachbarin Barscheck glaubt ja fest, dass auch in den Umfragen zu weiteren und weiter reichenden Waffenlieferungen ganz andere Zahlen herauskämen, wenn dabei die Risiken der Kriegsbeteiligung jedes Mal ebenfalls deutlich gemacht würden. Weshalb diese Fragen auch so nicht gestellt werden. Wäre ja auch schon ein bisschen kühn. Aber nicht falsch.


Ein Thema in der Sendung "Der Nachmittag" am 01.03.2024 und in "Der Morgen" am 02.03.2024 auf SR 2 KulturRadio.

 


Brunners Welt

Jeden Freitagnachmittag in "SR 2 - Der Nachmittag" und als Wiederholung jeden Samstagmorgen gegen 8.40 Uhr in "SR 2 - Der Morgen"!

Brunner hält für SR 2 die Augen offen. Und wenn er was nicht mitkriegen sollte, dann wird ihn Frau Barscheck, seine Nachbarin, schon mit der Nase drauf stoßen. Dann kann er sich nämlich seine Gedanken darüber machen, was wichtig ist und wo die Trends der Zeit zu spüren sind.

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