?Auf der Standspur?

"Auf der Standspur"

Brunners Welt - die politische Glosse der Woche zum Nachlesen und Nachhören

Von Peter Tiefenbrunner  

Sendung: Freitag 09.02.2024 16:45 Uhr

Nr. 974

Nicht dass Sie denken, ich glaubte an düstere schicksalsbestimmende Mächte. Aber wenn ich bei einer meiner seltenen Autofahrten im Stau stehe und mir ausgerechnet dabei im Autoradio die jüngste Staubilanz der Verkehrsweisen vom ADAC vor Ohren kommt, frage selbst ich mich: Kann das wirklich Zufall sein? Oder doch ein Wink des Höchsten, dass nicht nur das letzte Hemd keine Taschen sondern auch das letzte Gefährt kein beheizbares Lenkrad hat und im Himmel ohnehin flächendeckend Tempo 15 herrscht – Flattergeschwindigkeit.  In der Hölle? Ist es eher so wie hienieden: Man hockt eine Ewigkeit bei schlechter Luft in einem überheizten Metallkasten und kommt nicht vom Fleck.

Aber mal im Ernst: Wie haben wir denn das wieder hingekriegt? 504.000 Staus mit einer Gesamtlänge von 877.000 Kilometern und einer Dauer von insgesamt 427.000 Stunden. In einem Jahr! Wo das doch nur 8760 Stunden hat. Macht also 49 Jahre Stau – allein 2023! Ja, das wirft Fragen auf! Ebenso wie die Länge der Verkehrsstörungen. Mal eben nachgucken und -rechnen – ich hab ja Zeit. Genau: Wir hatten 877.000 Kilometer Stau auf nur 630.000 Kilometer Straßen. Ein paar von uns müssen übereinander gestanden haben. Soll ja vorkommen.

Aber: Wie kommt man überhaupt in einen Stau, wenn schon alle Straßen vollstehen? Und natürlich harrt auch noch das uralte Problem seiner Lösung: Warum, in Gottlieb Daimlers Namen, fährt der oder die erste in einem Stau nicht einfach weiter?

Ich versuche, diese tiefschürfenden Überlegungen meiner Nachbarin Barscheck mitzuteilen, die auf dem Beifahrersitz neben mir die Saarbrücker Zeitung liest, werde aber von ihr unterbrochen. Sie zitiert aus einem Konzertbericht: Der verwendete Hammerflügel, steht da, mache es möglich, „Schuberts Weiterreise eine gewisse Originalität zu verleihen“. Wissen auch nur wenige: Schubert blieb einst auf einer Kutschenfahrt wegen Personen auf der Fahrbahn für einige Stunden liegen, nutzte die Zeit zum Komponieren und seitdem ist eben dem Kundigen ein Teil seines Liederzyklus „Winterreise“ als „Weiterreise“ bekannt.

Apropos Weiterreise – in dieser Hinsicht tut sich bei uns nichts. Gerne hätte ich mir die Zeit mit einer Fußball-Reportage vertrieben, das Radio aber teilt mir mit, das Spiel sei wegen Unbespielbarkeit des Rasens in letzter Minute abgesagt. Was soll man machen, wenn’s regnet? Kann ja keiner was dafür. Der einstens zuständige Bauchef Welker war ja seinerzeit dermaßen überarbeitet, dass er  glaubte, ein Schwimmbad zu bauen. Da ist es ja wirklich mehr als unfair, wenn jetzt einige Fans davon fantasieren, Herrn Welker solange auf dem Rasen umher zu rollen, bis der trockengelegt ist.

Meine Nachbarin teilt indessen unserem Staupartner nebenan durch das geöffnete Fenster mit, dass ihm angesichts seiner Leibesfülle sowieso etwas mehr Fahrradfahren gut täte. Nur weil der adipöse SUV-Besitzer vorher lautstark getobt hatte, dass das ganze Elend nur daher rühre, dass die links-grün-versiffte Regierung Fahrradwege statt breiterer Straßen baue.

2023, so habe ich gelesen, hat die Autoindustrie 2,8 Millionen Neufahrzeuge in die verstopften Straßen unseres Landes gepumpt. 2024 sollen das – dem Wachstumsgebot geschuldet – noch mehr sein. So langsam sollten wir uns Gedanken machen, wie man stehende Autos nutzbringend verwenden kann. Begrünung der Dächer zur Naherholung? Vereinter Einsatz von 60 Millionen Klimaanlagen gegen den Klimawandel? Oder… Aber jetzt geht’s weiter. Schade fast. Stau macht mich immer so kreativ.


Ein Thema in der Sendung "Der Nachmittag" am 09.02.2024 und in "Der Morgen" am 10.02.2024 auf SR 2 KulturRadio.

 


Brunners Welt

Jeden Freitagnachmittag in "SR 2 - Der Nachmittag" und als Wiederholung jeden Samstagmorgen gegen 8.40 Uhr in "SR 2 - Der Morgen"!

Brunner hält für SR 2 die Augen offen. Und wenn er was nicht mitkriegen sollte, dann wird ihn Frau Barscheck, seine Nachbarin, schon mit der Nase drauf stoßen. Dann kann er sich nämlich seine Gedanken darüber machen, was wichtig ist und wo die Trends der Zeit zu spüren sind.

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