SR 2-Kolumnist Brunner (Foto: SR)

"Schwitzende Standortfaktoren"

Brunners Welt - die politische Glosse der Woche zum Nachlesen und Nachhören

Von Peter Tiefenbrunner  

Sendung: Freitag 02.02.2024 16:45 Uhr

Nr. 973

Nicht dass Sie denken, ich begänne jeden Morgen mit zupackender Munterkeit. Spränge beherzt aber fröhlich von meiner Lagerstatt, um den Tag bei den Hörnern zu packen. Stünde verquollenen Auges vor dem beschlagenen Badezimmerspiegel und murmelte positiv bestärkende Mantren in den Kosmos. Nein, da muss ich Sie enttäuschen. Die meisten meiner Tage haben gar keine Hörner, und wenn doch, rät mir meine Lebenserfahrung, mich noch mal kurz abzulegen und zu warten bis es vorbeigeht. Tut’s auch meistens.

Damit bin ich nun doch schon einige Jahrzehnte ganz gut gefahren. Aber halt auch nicht CEO irgendeines global operierenden Konzerns geworden. Damit kann ich leben, nicht besonders luxuriös, aber doch. Und auch ohne große Gewissensbisse. Nun aber musste ich aus dem berufenen Munde unseres Finanzministers erfahren, dass es so eben doch nicht geht. Weil ich offenbar nicht einfach ein etwas schlumpfiger Kunstschaffender bin, sondern ein „mentalitätspolitischer Standortfaktor“ und als solcher muss ich natürlich ganz anders werden. Also insgesamt einfach leistungsbereiter. Überstundenaffiner und arbeitszeitflexibler. Transpirationspolitisch engagierter. Wie es ein Geschäftsführer der Firma Bosch formulierte: „Allein durch Genialität wird man es nicht schaffen, man muss auch schwitzen.“

Gut, das kann man auch im Liegen oder in der Sauna, ist aber hier nicht gemeint. Sondern die ehrlichen Schweißtropfen auf der Stirn hart arbeitender Genies an ihren Schreibtischen in den Chefetagen, ebenso wie die durchgeschwitzten Blaumänner der Kolleg:innen in den Produktionshallen. Klar, wenn’s zum Zahltag kommt ist nicht jeder Schweißtropfen gleich viel wert, aber so ist es halt. Und ohne Arbeitgeber hätte ja der Arbeitnehmer auch gar nix zu nehmen. Kompliziert wird es natürlich, wenn einer sowohl Arbeitgeber als auch Arbeitnehmer ist. Wie Martin Welker etwa. Also jetzt nicht nur, weil er als Geschäftsführer der Saarbrücker GIU stets eine orangene Bauarbeiterweste trug und den passenden Helm zumindest in der Hand hielt. Wie Sie wissen ist Herr Welker nach einigen, sagen wir mal: Merkwürdigkeiten aus seinem Job rausgeflogen und klagt jetzt auf Wiedereinstellung.

Das Arbeitsgericht hat die Klage wegen Nichtzuständigkeit abgelehnt, weil Geschäftsführer eben Arbeitgeber seien und nicht Arbeitnehmer. Trotz Weste. Dazu kommt noch, dass der malochende Martin stattliche 190.000 Euro jährlich für seine Bemühungen bekam. Was nun nicht gerade für eine abhängige Tätigkeit spräche.  Ja, aber, sagt der Geschäftsführer wider Willen, aber er habe ja wie ein Angestellter beaufsichtigt und weisungsgebunden schuften müssen, bei festgelegten Arbeitszeiten von sechs Uhr bis 22 Uhr, fünf Tage die Woche. Auf der Baustelle am Ludwigspark. Potztausend. 16 Stunden am Stück, das ist das Holz, aus dem Christian Lindner seine mentalitätspolitischen Faktoren zimmern möchte. Also: Von der Bezahlung mal abgesehen.

Und wahrscheinlich, meint meine Nachbarin Barscheck, auch von solchen Regelungen wie in Welkers Dienstvertrag: Darin wurde ihm nämlich das Recht eingeräumt, jederzeit Termine für anderweitige Tätigkeiten wahrnehmen zu dürfen, auch wenn die mit seiner eigentlichen Tätigkeit kollidierten. Je nach Lukrativität, lässt sich vermuten.

Das ist der Geist, der wehen muss im Lande! „Wir können nicht per Gesetz vorschreiben, dass alle zehn Stunden mehr arbeiten müssen“, sagt Kanzler Scholz. „Aber wir können dafür sorgen, dass mehr Bürgerinnen und Bürger länger arbeiten wollen.“ Nehmen Sie sich ein Beispiel an Herrn Welker! Oder vielleicht doch lieber nicht.


Ein Thema in der Sendung "Der Nachmittag" am 02.02.2024 und in "Der Morgen" am 03.02.2024 auf SR 2 KulturRadio.

 


Brunners Welt

Jeden Freitagnachmittag in "SR 2 - Der Nachmittag" und als Wiederholung jeden Samstagmorgen gegen 8.40 Uhr in "SR 2 - Der Morgen"!

Brunner hält für SR 2 die Augen offen. Und wenn er was nicht mitkriegen sollte, dann wird ihn Frau Barscheck, seine Nachbarin, schon mit der Nase drauf stoßen. Dann kann er sich nämlich seine Gedanken darüber machen, was wichtig ist und wo die Trends der Zeit zu spüren sind.

Artikel mit anderen teilen


Push-Nachrichten von SR.de
Benachrichtungen können jederzeit in den Browser Einstellungen deaktiviert werden.

Datenschutz Nein Ja