SR 2-Kolumnist Brunner (Foto: SR)

"Gemeinsam sind wir stark"

Brunners Welt - die politische Glosse der Woche zum Nachlesen und Nachhören

Von Peter Tiefenbrunner  

Sendung: Freitag 26.01.2024 16:45 Uhr

Nr. 972

Nicht dass Sie denken, ich sei nicht dabei gewesen. Einige der veröffentlichten Fotos beweisen es: Die ca. sieben Pixel am linken Bildrand, unteres Drittel, das bin ich. Ist nicht viel, aber mehr kann man nun wirklich nicht erwarten als einer von dreizehntausend Demonstrant:innen "gegen Rechts". Polizeischätzung! Hätte ich als alter 68er-Kämpe auch nicht gedacht, dass mal die Polizei mehr Demonstrant:innen zählt als mancher Veranstalter. Aber okay. Ist natürlich auch ein Unterschied, ob auf den Transparenten steht "Das Übel an der Wurzel packen, alle Großkonzerne knacken" oder "Lillifee statt AfD".

Heute ist eben mehr Lametta. Selbst die Überwachungsmethoden haben sich deutlich geändert. Früher: mühsam als Zivilisten verkleidete Polizeibeamte hinterm Straßenbaum, die mit klobigen VHS-Kameras Aufnahmen  machten, die wir allenfalls mal zu sehen bekamen, wenn’s vor Gericht ging. Heute dagegen bereits zwei Stunden nach der Schlusskundgebung bei minus 5 Grad zuverlässig bei Google die Werbung für Thermo-Einlegesohlen, Funktions-Unterwäsche und der Link zum angesagten Outdoor-Versand. Auch eine Art von Zeitenwende. Und auch sonst: Ehrlich, das war meine erste Demo, bei der die Junge Union, die Jusos, Fridays for Future, die Antifa und die Jungen Liberalen gemeinsam auf der Bühne standen. Wahnsinn! Wie schön, dass hier ein so breites Bündnis gemeinsam aufsteht gegen Rechts! Da kriecht einem doch gleich so ein kleines "Wir-sind-das-Volk"-Gefühl unter die daunengefütterte Winterjacke.

Erst Stunden später kommt so ein kleines Unwohlsein dazu. "Wir sind das Volk" schrie die Pegida auf ihren unsäglichen Montags-Demos. Und das war geklaut von den Menschen, die in der DDR friedlich für ihre Freiheit auf die Straße gegangen sind. Und bislang hat sich auch die AfD im wärmenden Lichte der Umfragen in der Überzeugung geräkelt, sie seien das Volk. Ist doch super, wenn denen jetzt ein beträchtlicher Teil eben dieses Volkes zeigt, dass dem nicht so ist. Wurde ja auch mal Zeit! Trotzdem gebe ich zu, dass es sich irgendwie falsch anfühlt, wenn ausgerechnet Friedrich Merz bei Caren Miosga die Demos lobt, der Bundespräsident seine Hochachtung für die neue Bewegung verkündet ebenso wie der Kanzler, die Innenministerin und zahlreiche andere Politikgrößen. Die aber doch eben noch in jämmerlicher Angst vor den kommenden Wahlen sich die Themen von der AfD haben diktieren lassen.

Wollte nicht Olaf Schulz zukünftig "in großem Stil abschieben"? Hetzte nicht der biedere Friedrich Merz gegen "kleine Paschas" und "Asyltouristen" und haben nicht auch die Grünen sich klaglos in die neue,verschärfte Asylpolitik eingefügt? Ja, natürlich ist unser Treppenabsatz auch auf der nächsten Anti-Rechts-Demo wieder dabei. Wenn’s gegen die faschistischen Ideen der AfD geht, jederzeit! Und mit (fast) jedem und jeder. Aber deswegen darf der Streit um die politischen Positionen untereinander doch nicht aufhören. Muss er auch nicht! Meine Nachbarin Barscheck meint auch, dass man doch nach der Schlusskundgebung noch mit dem einen oder der anderen Mitdemonstrant:in auf einen Kaffee oder ein Glas Wein in die nächste Kneipe ziehen und etwas konkreter diskutieren könnte, wie man der braunen Brut wirklich beikommt. Um sozusagen das Übel an der Wurzel zu packen. Ist auf jeden Fall besser, als der einsame politische Katzenjammer am Nachdemo-Sonntagabend bei Tagesschau und Tatort.


Ein Thema in der Sendung "Der Nachmittag" am 26.01.2024 und in "Der Morgen" am 27.01.2024 auf SR 2 KulturRadio.

 


Brunners Welt

Jeden Freitagnachmittag in "SR 2 - Der Nachmittag" und als Wiederholung jeden Samstagmorgen gegen 8.40 Uhr in "SR 2 - Der Morgen"!

Brunner hält für SR 2 die Augen offen. Und wenn er was nicht mitkriegen sollte, dann wird ihn Frau Barscheck, seine Nachbarin, schon mit der Nase drauf stoßen. Dann kann er sich nämlich seine Gedanken darüber machen, was wichtig ist und wo die Trends der Zeit zu spüren sind.

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