SR 2-Kolumnist Brunner (Foto: SR)

„Bauernopfer“

Brunners Welt - die politische Glosse der Woche zum Nachlesen und Nachhören

Von Peter Tiefenbrunner  

Sendung: Freitag 19.01.2024 16:45 Uhr

Nr. 971

Nicht dass Sie denken, ich hätte etwas gegen Bauern. Nein, wir wissen ja alle: Im Märzen der Bauer die Rösslein einspannt... Im Januar dagegen setzen sich Bauer und Bäuerin auf ihren hoffentlich noch mit subventioniertem Diesel gefüllten Trecker und fahren nach Berlin zur großen Bauerndemo. Wo laut Polizei 8500 Menschen mit 6000 Fahrzeugen zusammenkamen, laut Bauernverband 30.000 Menschen und 10.000 Fahrzeuge. Eine Differenz, die kein allzu günstiges Licht auf die Rechenleistung bäuerlicher Unternehmer:innen wirft – aber vielleicht lag es ja auch an den Strapazen und der Aufregung, die so ein Trip in die Hauptstadt mit sich bringt. Wo einen dann auch noch der leibhaftige Lindner von der Bühne zutextet – wer mag da noch korrekt zählen? Zum Pfeifen und Buhrufen hat es aber noch gelangt, aber das kann einen Lindner natürlich nicht aufhalten.

Dessen Plan war einfach, wenn auch nicht genial. Erklär den zornigen Landwirten zuerst, dass Sie ja nun nicht wegen dem bisschen Agrardiesel und Steuerbefreiung nach Berlin gekommen seien, sondern wegen ganz anderer Dinge. Und über die redest du dann. Es ärgert ihn halt, sagt er, dass er vor dem „fleißigen Mittelstand über Kürzungen sprechen muss, während auf der anderen Seite in unserem Land Menschen Geld bekommen fürs Nichtstun“. Damit meinte er natürlich die Asylbewerber:innen und Bürgergeldbezieher:innen.

Das wollten die Bauern zwar auch nicht hören, aber dafür hat CDU-Mann Jens Spahn immer ein offenes Ohr für Hetze gegen arme Schweine und sprang umgehend vors gebeutelte Wahlvolk. Natürlich müsse als Strafe bei Verfehlungen das Bürgergeld gekürzt oder auch ganz gestrichen werden dürfen. Und weil der japsende Jens natürlich weiß, dass das Verfassungsgericht den Einbehalt der Existenzsicherung für grundgesetzwidrig erklärt hat, will er dann eben das ändern. Erstaunlich genug, wo doch das Grundgesetz gerade der Union heilig und unantastbar ist, wenn’s um Sondervermögen oder Schuldenbremse geht.

Und ebenso weiß der Spahn auch, dass so eine Grundgesetz-Änderung gar nicht geht. Nicht nur, dass eine für solche Unterfangen nötige Zweidrittel-Mehrheit in Bundestag und Bundesrat nicht wahrscheinlicher ist als ein Lottogewinn, wenn man vergessen hat den Tippschein abzugeben – selbst die 2/3 würden im vorliegenden Falle nicht ausreichen. Denn die Existenzsicherung fällt unter die sogenannte Ewigkeitsklausel. Die wiederum dafür da ist, dass selbst für den Fall, dass das Volk auf die Idee käme, jemanden wie Jens Spahn nochmal in ein höheres Regierungsamt zu wählen, er gefälligst seine gierigen Finger von den Grundlagen unserer Verfassung halten muss. Von jetzt an bis in Ewigkeit.

Zudem kann der ehemalige Minister offenbar noch schlechter rechnen als die demonstrierenden Agrarökonomen. Mit den paar „Totalverweigerern“, denen man die ohnehin knappe Stütze entziehen will, lässt sich kein Haushalt sanieren, keine Schuldenbremse ausgleichen und kein Trecker aufs Feld fahren. Meine Nachbarin Barscheck fühlt sich angesichts solcher Manöver von Lindner oder Spahn an mich erinnert, sagt sie, als ich kürzlich vergessen hatte, den Recycling-Müll runter zu bringen. Weil ich da ein paar Ausführungen über die ungenügende Recycling-Quote in unserem Staate und generell den Umgang mit Müll hierzulande in die Debatte gebracht habe. Durchschaubare Ablenkungsmanöver, meint die Nachbarin.

Da muss ich ihr recht geben. Was Lindner und Spahn angeht. Alle anderen Vergleiche hinken wie Käptn Ahab an Deck seines Walfängers. Mindestens.


Ein Thema in der Sendung "Der Nachmittag" am 19.01.2024 und in "Der Morgen" am 20.01.2024 auf SR 2 KulturRadio.

 


Brunners Welt

Jeden Freitagnachmittag in "SR 2 - Der Nachmittag" und als Wiederholung jeden Samstagmorgen gegen 8.40 Uhr in "SR 2 - Der Morgen"!

Brunner hält für SR 2 die Augen offen. Und wenn er was nicht mitkriegen sollte, dann wird ihn Frau Barscheck, seine Nachbarin, schon mit der Nase drauf stoßen. Dann kann er sich nämlich seine Gedanken darüber machen, was wichtig ist und wo die Trends der Zeit zu spüren sind.

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