SR 2-Kolumnist Brunner (Foto: SR)

„Same procedure“

Brunners Welt - die politische Glosse der Woche zum Nachlesen und Nachhören

Von Peter Tiefenbrunner  

Sendung: Freitag 05.01.2024 16:45 Uhr

Nr. 969

Nicht dass Sie denken, ich hätte nicht auch meine Gewohnheiten. Kein Jahreswechsel ohne „Dinner for one“ und die Neujahrsansprache des oder der Bundeskanzler:in. Beides bringt doch ein Gefühl von Stabilität in die unruhigen Zeiten. Same procedure as last year eben. Ebenso zuverlässig wie Butler James seiner Miss Sophie den unterstützenden Arm anbietet, wenn sie zu Bett gehen möchte, beschwören Kanzler oder Kanzlerin Gemeinsamkeit, Stärke und Optimismus: I’ll do my very best. Auch wenn in beiden Fällen berechtigte Zweifel über das Gelingen der beabsichtigten Aktivitäten bestehen – man hört’s doch immer wieder gerne.

Im Falle der Neujahrsansprache wird ja zumindest gelegentlich der oder die Akteur:in ausgetauscht, während Freddie Frinton auf ewig als Butler James über den Tigerkopf stolpern wird. Gottseidank. Olaf Scholz hat sich diesmal weit hervorgewagt: Die Welt, so sagte er, verändere sich „mit atemberaubender Geschwindigkeit“ und so müssten auch wir uns ändern. Die Aussicht, Olaf Scholz irgendetwas mit atemberaubender Geschwindigkeit tun zu sehen, wird mich mindestens bis Februar in Atem halten. Auch wenn aus dem Merkelschen „wir schaffen das“ nun ein Olafsches „wir kommen da durch“ geworden ist – an der grundsätzlichen Menüfolge hat sich nichts geändert: Suppe, Fisch, Hühnchen, und Früchte, wie wir es gewohnt sind. Beziehungsweise Probleme, Katastrophen, Hoffnung und Siegesgewissheit. Und natürlich braucht Olaf uns dafür alle, „die Spitzenforscherin genauso wie den Altenpfleger“, die Polizistin und den Paketboten. Auch wenn dann doch der eine im Ruhestand eher nach den Pfandflaschen sucht und die andere nach neuen Urlaubszielen – hey, es ist Silvester.

Spätestens ab 22 Uhr vernebeln ohnehin gnädige Schwarzpulverschwaden die allzu kritische Sicht auf die Zukunft und die böllertauben Ohren wollen keine Unkereien mehr hören. I think we have champagne with the bird. Den härteren Stoff brauchen wir dann, wenn das Jahr so richtig in Gang gekommen ist. Die jüngste Umfrage, die der AfD in Thüringen 37% in Aussicht stellt und die SPD mit 3% im Aus sieht – da kommt als erste Idee zur Gegenmaßnahme ein Verbot der blauen Partei auf den Tisch. Das ist ebenso peinlich wie vermutlich undurchführbar und würde mit Sicherheit die AfD-Reihen fest geschlossen halten. Eine entschlossene und aufrichtige inhaltliche Gegenposition wäre wohl richtiger – aber wo soll die auf einmal herkommen und reicht dafür überhaupt die Zeit noch. Das Geräusch, das sie jetzt vielleicht im Hintergrund wahrnehmen, das sind Höcke, Weidel und Chrupalla, die sich die Hände reiben und ins rechte Fäustchen lachen.

Die Zeit bis zu den Wahlterminen im September können wir uns ja mit den lustigen Auftritten des irren amerikanischen Präsidentschaftsanwärters vertreiben – bevor uns dann im November das Lachen vergeht, wenn er die Gelegenheit bekommt die Demokratie in den USA einzustampfen. Dass die ebenfalls im November stattfindende Weltklimakonferenz zum Licht am Ende von irgendwas wird, bezweifelt meine Nachbarin Barscheck stark. Der Austragungsort Baku in Aserbeidschan spricht, so meint sie, Bände: Die Hauptstadt eines Landes, das von Öl- und Gasverkäufen lebt und den herrschenden Familienclan unter Missachtung von Menschenrechten und Pressefreiheit an der Macht hält – einen würdigeren Nachfolger für Dubai hätte man kaum finden können. Aber wir kommen da durch, gell Olaf? Notfalls, meint die Nachbarin, geht Sherry, Wein, Champagner und Portwein ja auch zusammen. Skol!

Ein Thema in der Sendung "Der Nachmittag" am 05.01.2024 und in "Der Morgen" am 06.01.2024 auf SR 2 KulturRadio.

 


Brunners Welt

Jeden Freitagnachmittag in "SR 2 - Der Nachmittag" und als Wiederholung jeden Samstagmorgen gegen 8.40 Uhr in "SR 2 - Der Morgen"!

Brunner hält für SR 2 die Augen offen. Und wenn er was nicht mitkriegen sollte, dann wird ihn Frau Barscheck, seine Nachbarin, schon mit der Nase drauf stoßen. Dann kann er sich nämlich seine Gedanken darüber machen, was wichtig ist und wo die Trends der Zeit zu spüren sind.

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